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Es war eine holp­rige Fahrt, als die Fan­szene von Dynamo Kiew über die schlag­loch­über­sähten Auto­bahnen vom Aus­wärts­spiel ihres Her­zens­klubs zurück­kehrten. Dass ihr Verein am Tag zuvor, dem 28.11.2013, gegen KRC Genk keine Schnitte gesehen und mit 1:3 baden gegangen war, inter­es­sierte aller­dings nur noch am Rande. Wich­tiger waren die Nach­richten, die über Face­book zu den Fans drangen. Macht­haber Viktor Janu­ko­witsch hatte das Asso­zi­ie­rungs­ab­kommen mit der Euro­päi­schen Union abge­lehnt und ver­hin­derte so die erhoffte außen­po­li­ti­sche Annä­he­rung an die EU. Die gut eine Woche vorher mit knapp 2000 Teil­neh­mern gestar­teten Euro­maidan-Pro­teste flammten wieder auf: Nun kamen Hun­dert­tau­sende. Es ging nicht mehr länger nur um EU-Politik, son­dern auch um die Über­hand neh­mende Kor­rup­tion im Staats­ap­parat und die aus­ufernde Poli­zei­ge­walt.

Oppo­si­tio­nelle riefen zur fried­li­chen Revo­lu­tion auf und for­derten den Rück­tritt Janu­ko­witschs. Die Regie­rung reagierte mit mehr Gewalt. Gegen vier Uhr am nächsten Tag räumte eine Spe­zi­al­ein­heit des Innen­mi­nis­te­riums ein Pro­test­camp, Demons­tranten suchten Schutz in einem Kloster. Der bru­tale Über­griff sorgte dafür, dass noch mehr Men­schen zu den Pro­testen kamen. Dabei stellte sich ein breites Bündnis aus Par­teien wie der Ukrai­ni­schen demo­kra­ti­schen Allianz für Reformen von Vitali Klit­schko, aber auch ein buntes Sam­mel­su­rium an reli­giösen Ver­ei­ni­gungen und mili­tanten Neo­nazis auf – und den Hoo­li­gans von Dynamo Kiew. Erst kamen sie ver­ein­zelt, später folgten öffent­liche Auf­rufe, die Demons­tra­tionen zu besu­chen.

Mensch­liche Schutz­schilde

Durch die gute Ver­net­zung ihrer Szene ent­wi­ckelten die mit Aus­ein­an­der­set­zungen erprobten Hoo­li­gans eine Sicher­heits­struktur, die bei den Pro­testen die erste, schlag­kräf­tige Reihe bilden sollte. Als mensch­liche Schutz­schilde stellten sich die Hoo­li­gans zwi­schen bewaff­nete Spe­zi­al­ein­heiten und ihre Mit­bürger. Auf­fällig ist dabei vor­allem der Schul­ter­schluss mit ihrem ärgsten Feind. Die Dynamo-Fan­szene, die sich auf ihren Auf­kle­bern und Fahnen mit Kel­ten­kreuzen und Reichs­ad­lern prä­sen­tiert und ihren Verein als White Boys Club“ sieht, steht neben den Anhän­gern des damals noch exis­tenten Stadt­ri­valen Arsenal Kiew. Diese gelten durch ihre anti­fa­schis­ti­sche Posi­tio­nie­rung in der Ukraine als vogel­frei, ein ansonsten gül­tiger Ehren­kodex untern den gewalt­be­reites Fans im Land findet bei den Hoo­li­gans von Arsenal keine Anwen­dung. Den­noch stehen die Fan­szenen nun neben­ein­ander. Der gemein­same Feind ver­bindet, wenn auch mit unter­schied­li­chen Ideo­lo­gien.

Ein wei­terer Grund für die Ver­brü­de­rung: Hoo­li­gans und Staat haben ihr eigenes Hühn­chen zu rupfen. Die über­bor­dende Poli­zei­ge­walt trifft auch die, die jedes Wochen­ende zu den Spielen ihrer Mann­schaft reisen. Als direkte Reak­tion auf die immer zahl­rei­cher ver­tre­tenen Fuß­ball-Hoo­li­gans ent­brennt eine große Repres­si­ons­welle. Die Lage wird immer bedroh­li­cher, als sich Sicher­heits­be­hörden mit pro-rus­si­schen Sepe­ra­tisten ver­brü­dern.

Tot oder lebendig

So gelangt eine umfang­reiche Daten­samm­lung der Polizei über die Fan­szene des Seri­en­meis­ters Shakhtar Donezk in der Ost-Ukraine auf kurzem Dienstweg zu den pro-rus­si­schen Sepe­ra­tisten. Pikante Daten mit Fotos, Wohn­orten und sons­tigen Infor­ma­tionen werden ver­wendet, um Fahn­dungs­pla­kate zu ent­werfen. Wie im wilden Westen steht auf ihnen: Tot oder lebendig. Die Shaktar-Anhänger sind in ihrer eigenen Stadt zum Frei­wild geworden. Viele tau­chen unter, die größte Flucht­be­we­gung zieht viele der Fans nach Kiew, in die Stadt ihres Erz­ri­valen, Rekord­meister Dynamo Kiew, dem die mil­lio­nen­schwere Truppe aus dem Don­bass seit der Jahr­tau­send­wende regel­mäßig die Meis­ter­titel streitig macht. Doch die Hoo­li­gans, die sich in den vor­he­rigen Jahren bis aufs Blut bekriegten, finden ihre Einig­keit im natio­na­lis­ti­schen Gedan­kengut. Der Feind steht nicht mehr mit Fahnen auf der anderen Tri­büne oder ban­da­gierten Fäusten auf dem Acker, son­dern mit scharfer Muni­tion im eigenen Land.

Die gute Ver­net­zung von frü­heren Ver­ab­re­dungen zu Schlä­ge­reien wird jetzt auf kurzem Wege für eine außer­ge­wöhn­liche Ver­brü­de­rung genutzt. Ein Nicht­an­griffs­pakt wird aus der Traufe gehoben. Hoo­li­gans von 38 Ver­einen, von Lwiw im Westen, bis Donezk im Osten, von ultra­na­tio­na­lis­tisch wie Dynamo bis anti­fa­schis­tisch wie Arsenal Kiew, geben ihr Wort. Zukünftig wollen sie ihre Energie nicht mehr auf Angriffe oder Fah­nen­dieb­stähle ver­schwenden. Eine Ver­brü­de­rung gegen den in ihren Augen ein­zigen wich­tigen Feind: die pro-rus­si­schen Sepe­ra­tisten. Viele von ihnen gehen sogar noch weiter: Sie ent­scheiden sich, in den Krieg zu ziehen, sie schließen sich Frei­wil­li­gen­ba­tail­lonen an und ziehen mit wenig bis gar keiner Aus­bil­dung in einen bewaff­neten Kon­flikt.