Wenn die Mannschaft von Adi Hütter nichts Dummes mehr anstellt, spielt Eintracht Frankfurt nächste Saison erstmals in der Champions League. Eine große Überraschung. Und die gute Nachricht der Saison. Weil sie Hoffnung macht, dass die ganz großen Fleischtöpfe (noch) nicht unerreichbar sind.
2020/21 ist eigentlich keine gute Saison für Fußballromantiker. Der unaussprechliche Verein aus dem Osten etabliert sich als Deutschlands Nummer zwei, der Volkswagen-Konzern stellt Champagner-Flaschen für die Königsklasse kalt und mit Schalke 04 steigt höchstwahrscheinlich ein echtes Zugpferd der Liga ab. Diese Lage führte bei einigen Nostalgikern sogar so weit, dass sie dem sonst verhassten FC Bayern München im Titelrennen die Daumen drücken, um eine Meisterschaft des sächsischen Emporkömmlings zu verhindern.
Dass die neunte Bayern-Meisterschaft in Serie als kleineres Übel wahrgenommen wird, ist ein Alarmsignal. Vieles, was den modernen Fußball so furchtbar macht, schlägt sich in den Ergebnissen nieder. Das gilt auch für die Verteilung der deutschen Champions-League-Plätze. Eigentlich ist vorgesehen, dass dort neben den vermeintlich gesetzten Teams Bayern und Dortmund noch Gladbach, Leverkusen, die Salzburger Filiale und Wolfsburg rotieren. Die ersten Plätze, so scheint es, sind in diesen Tagen allesamt durch die finanziellen Gesetzmäßigkeiten zementiert. Doch wenn der Fußballromantiker beim Osterfrühstück mit seinem Zeigefinger die Tabelle entlangfährt, stößt er überraschend weit oben auf einen Namen, der dort eigentlich nichts zu suchen hat. Auf Platz vier steht die große Überraschung aus Hessen. Leverkusen, Dortmund, Gladbach – sie alle hatten oder haben ihre Schwächephasen und die Eintracht hat sie ausgenutzt.
Der hessische Höhenflug erklärt sich aber nicht nur durch die Schwäche der Anderen.
Eintracht Frankfurt im Jahr 2021 ist eine Spitzenmannschaft. Er ist das Ergebnis jahrelanger umsichtiger Transferpolitik unter Fredi Bobic und geschickten Agierens von Erfolgscoach Adi Hütter. Die Mannschaft zeichnet sich durch enorme Stabilität aus. Auch Gegentore und Rückstände werfen die Frankfurter nicht zurück. Die Frankfurter spielen Fußball, den der geschlagene BVB-Trainer Edin Terzić als “wild” bezeichnete und damit nicht verkehrt lag. Frankfurt spielt sehr körperbetont und schnell – für die meisten Gegner momentan nicht zu beherrschen. Der Erfolg beruht auf dem sehr starken Umschaltspiel. Djibril Sow, Amin Younes, Daichi Kamada und der häufig tief stehende Luka Jović verfügen über die Fähigkeit nach Balleroberung auch unter Druck, öffnende Pässe zu spielen.
Der Frankfurter Mannschaft gelingt es so, ihre Gegner zu überraschen. Vorne wartet dann zuverlässig André Silva, um die überfallartigen Angriffe in Zählbares umzumünzen. Der schwer berechenbare Filip Kostić wirbelt im Mittelfeld und stellt gegnerische Defensivabteilungen mit seinem unbändigen Offensivdrang vor unlösbare Aufgaben. Auch Stefan Ilsanker ist zu nennen. Er erfüllt seine Rolle als Hinteregger-Ersatz mit Bravour und räumt hinten alles weg. Fußball-Routiniers, wie Makoto Hasebe oder Timothy Chandler, finden ihre Rolle im kampfbetonten Spiel der SGE.
Vor allem zeichnet sich die Mannschaft – und damit nähern wir uns wieder den romantischen Aspekten – aber durch Identifikation und Einsatz aus. Die Spieler zeigen nicht nur auf den Social-Media-Kanälen ihren Stolz, Teil der Eintracht zu sein, sondern auch auf dem Platz. Frankfurt kämpft immer am Limit – zuweilen auch darüber. Wie etwa bei der Rudelbildung beim Kampfspiel in Bremen am 23. Spieltag – der einzigen Frankfurter Niederlage in diesem Jahr. Die Spieler ließen und lassen nie einen Zweifel daran aufkommen, dass sie sich zu 100 Prozent mit dem Verein und dem großen Ziel Champions League identifizieren – das schmeckt nicht immer allen, ist aber erfolgreich.
Eintracht Frankfurt in der Champions League. Das ist also kein Fußballwunder, es ist das Ergebnis kontinuierlicher, kluger Arbeit. Das ist vielleicht auch die gute Nachricht für andere Mittelklasse-Vereine wie Werder Bremen, den VfB Stuttgart oder sogar irgendwann mal wieder Schalke 04: Mit Geschick und ein wenig Glück ist es immer noch möglich, oben anzuklopfen – eine romantische Vorstellung.
Romantische Realität hingegen wird – höchstwahrscheinlich – die Champions League im Waldstadion. Vielleicht, ganz vielleicht, auch mit Fans. Mittwochabend, gefüllte Äppelwoi-Bembel, eine Choreografie über sämtliche Tribünen, “Im Herzen von Europa”, gefolgt von der Champions-League-Hymne. Selbst Fußball Realisten werden sich diesem Zauber nicht entziehen können.