Alphonso Davies ist endgültig beim FC Bayern angekommen: am Montag verlängerte er seinen Vertrag bis 2025. Wie einige Talente vor ihm hatte auch er einen schwierigen Start in München – doch der Kanadier ist es gewohnt, auf seine Chance zu warten.
Es war der 6. März 2010. Bayern traf am 25. Spieltag auf den 1. FC Köln und Louis van Gaal wechselte in der 73. Minute ein aufstrebendes Talent namens David Alaba für den verletzen Diego Contento ein. Weil der etatmäßige Linksverteidiger (das war damals wirklich Contento) noch länger ausfiel, durfte Alaba drei Tage später auch direkt sein Champions-League-Debüt gegen den AC Florenz geben. Beide Spiele konnte der FC Bayern zwar nicht für sich entscheiden, etwas gewonnen hatten die Münchner mit diesen Partien aber trotzdem: einen neuen Linksverteidiger für die kommende Dekade – und damit bis heute den letzten Stammspieler aus der eigenen Jugend.
Auch wenn Alphonso Davies von einer solchen Karriere zumindest noch sieben Meistertitel und einen Champions-League-Sieg entfernt ist, wirkt es so, als könne sich der FC Bayern bei ihm auf eine ähnliche Entwicklung freuen. Seit dem neunten Spieltag stand der Kanadier in jeden Bundesligaspiel in der Startelf. Beim Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund im vergangenen November lieferte er seine erste Spitzenvorstellung: Mit 85 Prozent gewonnenen Zweikämpfen und einer 94-prozentigen Passquote hatte der Kanadier nicht nur Anteil an der frühen Auswechslung Jadon Sanchos, sondern auch am deutlichen 4:0‑Sieg der Münchner.
Nicht das übliche Talent
Dabei wirkte sein erstes Jahr fast schon wie der typische Talent-wechselt-viel-zu-früh-zu-den-Bayern-und-wird-danach-nur-noch-ausgeliehen-Verlauf: Hochgelobt angekommen in München, wenig Spielzeit im ersten halben Jahr und danach bereits von „Sport1“ zum dauerhaften Bankdrücker auserkoren. Doch im Vergleich zu all den gescheiterten Talenten beim FCB, den Sinan Kurts, Pierre-Emile Højbjergs oder Gianluca Gaudinos, ist es Alphonso Davies gelungen, seine erste Chance zu nutzen.
Der 19-Jährige ist es gewohnt, auf seine Chance zu warten, die härteste Prüfung hatte er bereits vor seiner Karriere zu meistern. Davies kam am 2. November 2000 in einem Flüchtlingsauffanglager in Ghana auf die Welt, seine Eltern flohen zuvor aufgrund des Bürgerkriegs aus ihrem Heimatlandland Liberia. Zwar gelang der Familie 2005 im Rahmen eines Umsiedlungsprogramms die Ausreise nach Kanada, in der Millionenstadt Edmonton wuchs Davies jedoch in ärmlichsten Verhältnissen auf. Es dauerte mehr als zehn Jahre, bis die Familie die kanadische Staatbürgerschaft erhielt und so endlich Sicherheit über ihren Aufenthalt erfuhr.
„Ich sah ihn das erste Mal kicken und wusste direkt: Dieser Junge hat ein besonderes Talen.t“
In dieser Zeit des Wartens reichte das Geld trotz des Talents von Davies nicht für die Kosten eines Fußballvereins. Durch eine „After-School“-Liga für Jugendliche, die sich die Ausrüstung und Gebühren für einen Fußballverein nicht leisten können, spielte Davies zumindest gelegentlich gegen andere Teenager der Stadt. Tim Adams, Gründer dieser „Free-Foot“-Initiative, berichtete einst über seinen alten Schützling: „Ich sah ihn das erste Mal kicken und wusste direkt: Dieser Junge hat ein besonderes Talent“, so der Ex-Trainer. „Ich hatte schon andere Jugendliche mit ähnlicher Athletik gesehen, doch Alphonso unterschied sich durch seine Einstellung. Er war sehr geduldig, beharrlich und dadurch viel mehr als ein Typ, der gut Bälle ins Netz schießt.“
Diese Geduld zahlte sich aus. Durch die Hobbyliga wurden endlich auch „richtige“ Vereine auf ihn aufmerksam. Mit 14 Jahren erhielt Davies von den Vancouver Whitecaps ein Voll-Stipendium, mit 15 unterschrieb er seinen ersten Profivertrag und avancierte damit zum jüngsten Spieler der dritten nordamerikanischen „United Soccer League“, kurz: ULS. In der Folge wurde er zudem nicht nur der früheste MLS-Debütant, sondern dank der erhaltenen Staatsbürgerschaft auch der jüngste Nationalspieler Kanadas.
Kein Zufall
Im Vergleich zu dieser Periode muss die Zeit auf der FCB-Ersatzbank kurz gewirkt haben. Sechs Joker-Einsätze absolvierte Davies in der letzten Rückrunde, wenigstens beim 6:0‑Schützenfest gegen Mainz gelang ihm ein Treffer. In der jetzigen Saison profitiert er auch von den Verletzungen Niklas Süles und Lucas Hernández’, sowie der Beförderung von Joshua Kimmich ins defensive Mittelfeld. Dass seine starke Leistung gegen Dortmund jedoch mehr als das Zusammenspiel glücklicher Zufälle ist, erklärte Manuel Neuer nach dem 4:0‑Erfolg so: „Phonzie hat schon gegen Frankfurt ein ordentliches Spiel gemacht und war einer der wenigen, der da vernünftig ausgesehen hat. Das heute war die Krönung. Das ist ein gutes Modell“, so der Nationaltorhüter.
Warum es zu diesem „Modell“, mit Davies auf der linken Seite im Münchner Abwehrverbund, nicht viel eher kam, lag im Übrigen auch an der Fehlplanung des Jungnationalspielers: Im September kam er zu spät vom Besuch bei seiner Freundin und Paris-Saint-Germain-Spielerin Jordyn Huitema zurück – natürlich zum Ärger seines damaligen Trainers Niko Kovac. Das Hauptproblem Kovacs war jedoch nicht die Verspätung, sondern dass Davies, sich der drohenden Unpünktlichkeit bewusst, auf Schlaf verzichtet hatte, um es doch noch rechtzeitig zum Trainingsbeginn zu schaffen.
Fester Platz im System
Der mangelnde Schlaf sorgte damals für eine Geldstrafe von 20.000 Euro, nachhaltigen Ärger gab es aber nicht. Nachhaltig ist hingegen der Eindruck, den Davies sportlich hinterlässt. Auch die Rückkehr von Lucas Hernández war für Bayern-Trainer Hansi Flick kein Anlass, Davies aus der Viererkette zu nehmen.
Einzig Leidtragender dieser Konstellation ist David Alaba: Der Österreicher muss im Abwehrzentrum aushelfen. In bester Phrasenmanier erklärte er, zwar „grundsätzlich lieber links“ spielen zu wollen, doch so lange er in der Innenverteidigung gebraucht werde, spiele er natürlich dort, wo es der Mannschaft am meisten helfe.
Doch es scheint, als müsste sich David Alaba vielleicht auf Dauer mit dieser Lösung anfreunden. Am Montag verlängerte Alphonso Davies seinen Vertrag beim FC Bayern bis 2025.