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Kevin Kuranyi, wir machen uns große Sorgen um Sie.

Kevin Kuranyi: Warum, ist etwas pas­siert? 

Angeb­lich haben Sie bei Dynamo Moskau zur Waffe gegriffen. Warum nur?

Kevin Kuranyi: Alles halb so wild. Der Prä­si­dent von Dynamo kam vor dem ersten Trai­ning in die Kabine und kün­digte Schuss­trai­ning an. Ich fragte mich noch, warum dass nicht der Trainer macht, und begann mich umzu­ziehen. Aber dann wurden wir mit dem Bus auf ein Mili­tär­ge­lände gefahren, dort drückte mir ein Soldat eine echte Kalasch­nikow in die Hand, zeigte auf eine Ziel­scheibe und ich habe abge­drückt. 

Und wir dachten, Sie seien ein fried­li­cher Mensch!

Kevin Kuranyi: Stimmt schon, ich mag keine Waffen. Aber dieses Ritual ist Teil der Dynamo-Tra­di­tion, dem hätte ich mich nicht ent­ziehen können. Und eins ist sicher, ich hatte noch nie so viele ver­schie­dene Waffen in der Hand wie an diesem Tag. 

Das bestä­tigt ein Kli­schee: Die Russen lieben Waffen.

Kevin Kuranyi: Wir waren ja auf einem Mili­tär­ge­lände, im Alltag sieht man hier nie­manden mit einer Pis­tole her­um­laufen. Auch auf unserem Trai­nings­ge­lände patrouil­lieren keine Sol­daten. Diese Art von Schuss­trai­ning war wirk­lich die Aus­nahme. 

Hier­zu­lande gibt es noch mehr Vor­ur­teile über Russ­land …

Kevin Kuranyi: Ich weiß schon, was jetzt kommt: Hier ist es immer arsch­kalt, alle sind kor­rupt, und an jeder Ecke wird einer erschossen. Alles Unsinn, und bevor Sie auch das noch fragen wollen: Nein, hier laufen keine wilden Bären durch die Straßen. Moskau ist eine Welt­stadt. Es ist wirk­lich toll hier. 

Was muss man denn gesehen haben?

Kevin Kuranyi: Die Stadt hält wirk­lich an jeder Ecke Über­ra­schungen bereit. Nehmen wir nur mal die Metro­sta­tionen: überall Marmor, Gold und rie­sige Sta­tuen. Woan­ders sehen so doch bes­ten­falls Museen aus. 

Sie ver­dienen viele Mil­lionen Euro im Jahr und fahren U‑Bahn?

Kevin Kuranyi: Wer hier einmal im Stau gestanden hat, meidet das eigene Auto. In meinen ersten Tagen wollte ich ins Zen­trum Mos­kaus fahren. Was glauben Sie, wie lange ich für die 20 Kilo­meter von unserem Trai­nings­ge­lände in die Stadt gebraucht habe? 

Eine Stunde?

Kevin Kuranyi: Von wegen. Ich war in der Rush­hour drei Stunden unter­wegs, zwei davon habe ich nur gestanden. Der Rest war Hupen, Anfahren, Hupen. Der Ver­kehr ist hier ein­fach der Horror. Jetzt nehme ich meist die U‑Bahn. 

Haben Sie noch einen Geheim­tipp für Mos­kau­be­su­cher?

Kevin Kuranyi: Es gibt ein tolles Restau­rant namens Turandot. Dort sieht es aus wie in einem Palast. Das Besteck ist aus Gold, die Bedie­nungen tragen tra­di­tio­nelle Gewänder und es gibt Musiker, die Harfe und Kla­vier spielen. Man kommt sich vor wie im Mit­tel­alter. Es gibt aber ein Pro­blem: Es ist sehr teuer, aber daran muss man sich in Moskau ohnehin gewöhnen. 

Auch beim Bau des Trai­nings­ge­ländes Ihres Klubs Dynamo Moskau soll nicht gespart worden sein.

Kevin Kuranyi: Das stimmt. Ich dachte, ich hätte auf Schalke bereits unter den besten Bedin­gungen trai­niert, aber das hier über­trifft alles. Das Gelände ist dreimal so groß wie in Gel­sen­kir­chen, hat eine eigene Schwimm­halle mit 50-Meter-Becken, per­fekte Rasen­plätze, Whirl­pool für zwölf Per­sonen und jeder Spieler bekommt seinen eigenen Ruhe­raum. 

Wie haben Sie Ihren ein­ge­richtet?

Kevin Kuranyi: Ganz klas­sisch: Ich habe meine Play­sta­tion auf­ge­baut und Bilder von meiner Familie auf­ge­hängt. Außerdem liegen immer ein paar deut­sche Zeit­schriften bereit. Ein Stück Heimat sozu­sagen. 

Das muss auch durch eine Mam­mut­saison helfen, denn durch die Anpas­sung des Spiel­plans an die anderen euro­päi­schen Ligen begann ihre aktu­elle Spiel­zeit im März und wird erst im Mai 2012 enden.

Kevin Kuranyi: Das ist wirk­lich unglaub­lich, wir werden ins­ge­samt 44 Liga­spiele haben. Kör­per­lich wird das eine echte Her­aus­for­de­rung für uns alle. Ich kenne nie­manden, der über­haupt Erfah­rung mit einer so langen Spiel­zeit hat. 

Ihr Mit­spieler Igor Semt­schow sagte über Sie: Er ist die wich­tigste Figur der Liga.“ Außerdem wählten die Fans Sie zum belieb­testen Spieler der Saison. Es scheint, als liege Ihnen Russ­land nach nur einem Jahr bereits zu Füßen.

Kevin Kuranyi: Die Zuschauer haben schon viele Spieler kommen sehen, die nach drei Monaten wieder weg waren, weil sie mit dem Leben hier nicht zurecht­ge­kommen sind. Viel­leicht hono­rieren sie mit dieser Wahl meine Offen­heit ihrer Kultur gegen­über.

Sind Sie nach den Dis­kus­sionen über Ihr Äußeres und das Nutella-Boy-Image froh, in Russ­land der Häme der deut­schen Fans zumin­dest räum­lich ent­kommen zu sein?

Kevin Kuranyi: Ich habe in meiner Kar­riere Fehler gemacht und viel Spott ein­ge­steckt. Ich bereue das und habe daraus gelernt. Außerdem ist es nicht meine Art, vor unan­ge­nehmen Dingen weg­zu­laufen. Das bin ich nur einmal, als ich im Oktober 2008 in Dort­mund die Natio­nal­mann­schaft ver­lassen habe. Und für diesen Fehler bin ich mitt­ler­weile wirk­lich hart genug bestraft worden.