Wie kommt man an einem Verteidiger vorbei, was ist wichtig im Eins-gegen-Eins und warum war Didier Drogba eigentlich so gut? Salomon Kalou erzählt, worauf es auf dem Platz wirklich ankommt.
Wie Fußball funktioniert, habe ich erst bei Chelsea wirklich kapiert. In der Jugend, an der Fußballakademie in Abidjan, ging es für uns Stürmer nur darum, wer am besten dribbeln konnte und wer die meisten Tore schoss. In Europa wurde ich dann taktisch geschult. Wie fordere ich den Ball mit einem Laufweg? Wie arbeite ich gegen den Ball? Seit ich unter José Mourinho gespielt habe, fühle ich mich auf jedes Spiel und auf jede Situation gut vorbereitet.
Mit der nötigen Erfahrung habe ich verstanden, auf welche Aspekte meines Spiels ich mich konzentrieren muss – und welche ich wie Ballast abwerfen sollte. Das habe ich von Spielern wie Lampard oder Drogba gelernt. Die haben sich immer wieder neu erfunden. Als 19-Jähriger war ich schnell wie der Blitz. Ich konnte den Ball am Fuß haben – und ab ging die Post! Jetzt spiele ich sehr simplen Fußball. Wenn du jung bist und vor Kraft strotzt, vergisst du, wie einfach Fußball ist. Aber die Basis sind eine saubere Annahme, ein sauberes Abspiel und das Freilaufen. Je älter ich werde, desto mehr kehre ich zu diesen Ursprüngen zurück. Ich lasse die anderen sich austoben, orientiere mich Richtung Tor und versuche, effektiv zu sein.
Eins gegen Eins
Wenn ich mit dem Ball am Fuß auf den Verteidiger zulaufe, habe ich genau ein Ziel: ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das mache ich nicht mehr nur durch Geschwindigkeit oder Power, ich mache lediglich kleine, feine Bewegungen. Ein bisschen nach rechts, ein bisschen nach links. Irgendwann gibt er mir mit der einen falschen Gewichtsverlagerung einen Winkel, den ich nutzen kann, um vorbeizukommen. Macht er das nicht, dribbele ich ihn aktiver an, bis er sich auf den Ball stürzt. In dem Moment versuche ich vorbeizukommen. Wenn der Verteidiger Glück hat, gewinnt er so den Ball. Habe ich Glück, ist er aus dem Spiel genommen und der Weg zum Tor ist frei.
Wenn ein Verteidiger schneller als ich ist, tue ich so, als würde ich mit ihm ins Laufduell gehen. Sobald er den Sprint anzieht, verlangsame ich das Tempo wieder. Also muss er abbremsen und ich habe ihn da, wo ich ihn haben will. Gegen Frankfurt gab es in der vergangenen Rückrunde so einen Moment. Ich führte den Ball bei einem Konter und Frankfurts Kapitän Abraham rannte im Vollsprint hinter mir her. Ich selber war erst am Beschleunigen, er dagegen schon extrem schnell. Also musste ich Chancengleichheit herstellen. Ich verlangsamte das Tempo, so dass er auch abbremsen musste. Dann zog ich wieder an. Das habe ich zweimal gemacht, beim zweiten Mal war ich an ihm vorbei. Mein Vorteil in solchen Situationen ist, dass ich selbst im Kopf meine Bewegungen vorbereiten kann, der Verteidiger aber nur auf das reagieren kann, was er sieht. Und dass er, obwohl er ohne Ball ja eigentlich schneller ist als ich, nicht stumpf geradeaus rennen kann. Nach dem Dribbling legte ich den Ball quer und Esswein erzielte das 3:0.
Wenn ich mit dem Rücken zum Tor angespielt werde, drehe ich nie auf, diese Art Bewegung vermeide ich. Sobald ich spüre, dass ich einen Verteidiger im Rücken habe, gibt es für mich drei andere Optionen: Entweder ich schirme den Ball ab und warte, bis meine Mitspieler nachrücken. Oder ich ziehe ein Foul, weil der Verteidiger zu ungestüm den Zweikampf sucht. Oder ich lasse den Ball klatschen. Ich habe akzeptiert, dass ich nicht so robust bin wie viele meiner Gegenspieler. Würde ich aufdrehen, wäre es für sie recht einfach, mich vom Ball zu trennen. Sie müssen nur ihre körperliche Überlegenheit nutzen, die Hüfte oder den Arm leicht ausfahren, schon habe ich kaum mehr eine Chance. Also lasse ich das Aufdrehen weg, werde den Ball mit dem Rücken zum Tor fix wieder los und laufe mich frei.
Laufwege
Alles, was Stürmer an Zick-Zack-Bewegungen im Strafraum machen, um einen Gegner abzuschütteln, verwirrt den Flankengeber am Ende mehr als den Verteidiger. Deshalb gibt es im Strafraum für mich nur zwei Laufwege: Entweder ich täusche kurz an und sprinte dann zum langen Pfosten. Oder andersherum. Ibisevic und ich haben für diese Momente die nötige Erfahrung, wir wissen, wie wir uns bei Flanken verhalten müssen. Ein Mann wie Selke ist dagegen noch jung und steckt voller Energie, er täuscht viel mehr Laufwege an. Aber das braucht er gar nicht zu machen. Ein überzeugter Sprint zur richtigen Zeit reicht. Wenn die Flanke gut kommt, hast du alle Trümpfe in der Hand.
Wenn ich selbst bis zur Grundlinie vorgestoßen bin, spiele ich den Ball in den Rücken der Abwehr. Immer. Perfekt ist ein Zuspiel von der Grundlinie, wenn es zum Elfmeterpunkt kommt. Denn dort bekommt der Keeper Probleme, weil er so weit nicht rauskommen darf. Landet die Flanke dagegen im Fünfmeterraum, fischt er sie weg. Deswegen spiele ich den Ball blind und automatisch in den Rücken der Abwehr. Der Job meines Mitspielers ist es, dort zu stehen und die Flanke zu verwerten. Der Stürmer, der das Spiel am besten verstanden hat, war Didier Drogba. Die Leute denken immer, er war so gut, weil er so robust und kräftig war, doch das ist Quatsch. Er war so gut dank seiner Spielintelligenz und seiner Laufwege. Er hat für andere Spieler Räume kreiert. Er wich im richtigen Moment auf den Flügel aus. Wenn ich ins Eins gegen Eins ging, hat er mir Platz geschaffen, indem er zur anderen Seite sprintete und Gegenspieler verwirrte. Es gibt andere Stürmer, die kommen dir entgegen und bringen die halbe gegnerische Mannschaft mit, so dass du plötzlich sechs Gegenspieler hast statt einem.
Ballbesitzspiel gegen kompakte Gegner
Das Offensivspiel hängt massiv von den Spielern im Zentrum ab. Hast du einen Sechser, der spielt und nicht nur zerstört? Dann ist es auch gegen defensiv eingestellte Gegner leicht. Bei Bayern, Barcelona oder Manchester City, also bei all den Mannschaften, die Fußball spielen wollen, gibt es jeweils Sechser im Team, die keine Angst haben, den Ball abzuholen und ihn mit Risiko nach vorne zu spielen. Bei uns gibt es beispielsweise Arne Maier, der mir sehr gefällt. Er ist noch jung und muss noch viel lernen, aber obwohl er erst 19 Jahre alt ist, spielt er ohne Furcht. Er kann eine Mannschaft Fußball spielen lassen.