Bei der WM am Kap der Guten Hoffnung – 2010 in Südafrika – rechnete man mit Hexenmeistern und Medizinmännern. Stattdessen kam Maradona.
Im Vorfeld der Afrikameisterschaft 2002 versuchte der Kontinentalverband CAF, eine weitverbreitete Praxis einzudämmen. „Die CAF hat den ›Beratern‹ der teilnehmenden Mannschaften untersagt, irgendeine Funktion beim Turnier einzunehmen“, meldete die BBC am 16. Januar 2002. Die Rundfunkanstalt schob auch gleich nach, warum der Begriff in An- und Abführung stand und wen oder was man unter „Beratern“ zu verstehen hatte: „witch doctors“, also Medizinmänner, Hexenmeister.
Diese Verordnung war Teil der groß angelegten Kampagne des afrikanischen Verbandes, rituelle oder gar okkulte Praktiken aus dem Fußball zu vertreiben. Allerdings waren die meisten Beobachter schon damals eher skeptisch, ob das funktionieren würde. In ihrem Bericht schrieb die BBC jedenfalls: „Es gibt Hinweise darauf, dass einige Mannschaft versuchen, die Anordnung zu umgehen, indem sie ihrem spirituellen Beistand Eintrittskarten für die Spiele kaufen.“
Kurswechsel
Offenbar mussten die Funktionäre einsehen, dass sie auf diesem Weg nicht weiterkamen, denn acht Jahre später klang ihre Einstellung zu den Medizinmännern etwas anders. Im Februar 2010, im Rahmen der 3. Internationalen-Fußballmedizin-Konferenz, erklärte Michel D’Hooghe, der Vorsitzende der FIFA-Medizin-Kommission, dass es den afrikanischen Teams bei der WM in Südafrika erlaubt sein würde, ihre Wahrsager und Medizinmänner zu Rate zu ziehen. Etwa 300 westliche Ärzte und Physiotherapeuten nahmen an der Konferenz teil und wie die Website Goal schrieb, „traf sie diese Enthüllung ein wenig unvorbereitet“.
D’Hooghe erwähnte nach seiner Erklärung allerdings in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP auch, dass ihm die neue, liberale Einstellung ein klein wenig Sorgen bereitete. „Wir versuchen, in einer Welt des Fußballs ohne Doping zu leben“, sagte er. „Aber wenn wir keine Kontrolle über diese speziellen traditionellen Arzneimittel haben, können wir auch nicht sagen, dass wir die Kontrolle über die Medikation im Fußball haben.“ Mit anderen Worten: Ganz geheuer waren ihm die Medizinmänner nicht, weil er nicht wusste, was sie taten und benutzten.
Doch vor der ersten WM auf dem afrikanischen Kontinent hatte die FIFA kaum eine andere Wahl, als etwas gelassener mit Hexerei und Zauberkunst umzugehen. John Lockley, ein bekannter weißer Schamane aus Südafrika, schrieb einige Wochen vor Beginn des Turniers auf seiner Homepage: „Die Sangomas, die traditionellen Geistheiler im südlichen Afrika, werden bei der WM eine wichtige Rolle spielen. Die meisten großen Fußballvereine in Südafrika nutzen Sangomas so, wie moderne Vereine in Übersee Sportpsychologen nutzen. Sangomas sind Psychologen, Naturheilkundige und Priester in einer Person.“
Trotz dieser übernatürlichen Unterstützung wurde Südafrika zum ersten Gastgeber in der Geschichte der WM, der schon in der Gruppenphase ausschied. Doch wer an dieser Stelle des Textes den in Afrika so tief verwurzelten Glauben an Zauberkräfte belächelt, der sollte noch einen Moment warten. Denn der Mann, der sich bei jener WM in Südafrika am offenkundigsten auf höhere Mächte verließ, kam nicht aus Kamerun, Nigeria oder Ghana, sondern aus dem Großraum Buenos Aires.
Der Papst lächelt
Argentiniens Nationaltrainer Diego Maradona befolgte an den Spieltagen so viele Rituale, dass man sich fragen durfte, wie er sie alle behalten konnte. So musste er als Erster aus dem Mannschaftsbus steigen (und dabei einen Schrei ausstoßen) oder trug bei öffentlichen Auftritten immer zwei Uhren, an jeder Hand Gottes eine. Das Auffälligste jedoch war der Rosenkranz, den Maradona während der Spiele seines Teams unablässig knetete. Trotz allem schied Argentinien nach einem 0:4‑Debakel gegen Deutschland aus und Maradona wurde entlassen.
Dabei wusste er doch schon vorher, dass mit seiner Gebetskette etwas nicht stimmte. In seiner Autobiografie hatte Maradona nämlich erwähnt, dass der Papst persönlich ihm den Rosenkranz mit den Worten „Das ist ein besonderer, er ist für dich“ überreicht hatte. Maradona schrieb weiter: „In Wirklichkeit war der Rosenkranz der gleiche, den er meiner Mutter gegeben hatte. Ich sagte es ihm. Er sah mich nur an, gab mir einen Klaps und lächelte.“