30.000 Fans von Dynamo Dresden sorgen beim Pokalspiel in Berlin für „Yellow Madness“. Unser Autor war mittendrin. Ein Erlebnisbericht.
Die Zeit vergeht, ich gönne mir die ein oder andere Pause vom Singen, Hüpfen und Pöbeln. Grund gibt es vor allem für letzteres ohnehin keinen. Die Mannschaft macht ein kämpferisch tolles Spiel. Rennt, grätscht, köpft, zeigt Wille. Das wollen wir Fans genau so sehen. Auch die vielen Gesichter um mich herum ähneln dem Geschehen auf dem Platz: kämpferisch, aber ohne jede Leichtigkeit.
Ich stelle mich auf die Verlängerung ein, die jetzt nur noch vier Minuten entfernt ist. Zwei Elfmeter später steht es 2:2 und die emotionale Achterbahnfahrt nimmt jetzt so richtig Fahrt auf. Drei Minuten vor Schluss verwandelt Duda seinen Strafstoß. Wir haben das sichere Aus vor Augen. Stark tut uns aber den Gefallen, rennt im Fünfmeterraum Koné um. Ausgerechnet Hertha-Kultfigur Patrick Ebert verwandelt zum 2:2.
Verlängerung. 30.000 Dynamofans holen kurz Luft, um dann rund um das Marathontor das Stadion zum Beben zu bringen. Bengalos sind inzwischen weniger geworden, offenbar waren sie nur für 90 Minuten kalkuliert. Die Mannschaft traut sich auf einmal mehr zu. Zwischen Minute 114:30 und 114:45 brilliert sie sogar mit One-Touch-Fußball, der in einem (erfolglosen) Torabschluss endet. Die Kurve schreit verzückt auf. So etwas haben wir von unserer Liebe lange nicht zu sehen bekommen.
„Wir sind füreinander da!“
Dann liegt der Ball im Dynamotor. Aus, vorbei, noch eine Führung wird sich Hertha nicht nehmen lassen. Aber nein! Auch ohne VAR wird auf Abseits entschieden. Im direkten Gegenzug trifft Stor zum 3:2 für Dynamo – und lässt die gelbe Hälfte des Stadions im Freudentaumel versinken. Therapie erfolgreich, Fans und Mannschaft lieben sich wieder so wie am ersten Tag! So schlecht sind sie dann doch nicht. Nur noch sieben Minuten, das schaffen wir jetzt gemeinsam! Wir sind füreinander da!
Dem Polizeiführer ist die Atmosphäre jedoch offenbar noch nicht leidenschaftlich genug. Anders lässt es sich nicht erklären, warum er schwarz gekleidete und behelmte Polizisten in den Innenraum vor die Dynamoblöcke schickt. Sein Angebot wird dankend angenommen. Führung und Feindbild vor Augen erreicht die Stimmung nun langsam ihren Siedepunkt.
„Ich glaube, wir versuchen es weiter miteinander“
Zehn Sekunden fehlen noch, vielleicht sind es auch nur fünf, eigentlich nur ein Pass, der ins Aus rollt, oder ein Schuss, der am Tor vorbei geht oder drüber oder an den Pfosten. Dann wären die eigenen Gesetze des Pokals endlich mal wieder zu unseren Gunsten ausgelegt worden. Aber nein. Natürlich. Nicht. Der letzte Schuss des Spiels, abgefeuert von Torunarigha schlägt im Tor ein.
Elfmeterschießen. Meine Nerven kollabieren. Kraft im Hertha-Tor hält und hält. Broll im Dynamo-Tor leider nicht. Aus. Jetzt wirklich.
Keine 10 Sekunden später applaudieren die 30.000 ihren Helden und feiern sie minutenlang. Das war eine gelungene Therapie. Auch wenn’s für beide anstrengend war und sich jetzt erst einmal sehr leer anfühlt. Ich glaube, wir versuchen es weiter miteinander.