Horst Hrubesch ist erneut Trainer von Deutschlands besten Nachwuchskickern. Er löst hohe Erwartungen aus – und sorgt für einen Mentalitätswechsel. Was macht er anders?
Nach dem EM-Qualifikationsspiel in Wiesbaden am vergangenen Freitag ist Horst Hrubesch in die Fankurve gegangen und hat ein wenig applaudiert. Man kann das außergewöhnlich nennen bei Hrubesch, dem gebürtigen Westfalen. Dem an sich doch so schmalllippigen Kopfballungeheuer a.D. und passionierten Angler. Aber wer Hrubesch in Wiesbaden die 90 Minuten zuvor beobachtet hat, für den ist dieser kleine Fan-Dialog nach Schlusspfiff nur das Abklingen seines Mitteilungsdrangs, der ihn während des Spiels packt. Zuvor nämlich hatten die etwa 6000 Zuschauer nicht nur den souveränen 2:0‑Sieg der deutschen U21 gegen Montenegro gesehen – sondern unweigerlich auch einen Trainer, der alle zehn Sekunden von seiner Trainerbank aufgesprungen war. Nichts hält ihn auf dem Sitz. Alles zieht ihn aufs Feld oder zumindest an den Rand der Coaching-Zone. Bei vergebenen Chancen haut er gegen das Trainerhäuschen, so dass sich die Zuschauer erschrecken; er rudert mit den Armen, er gestikuliert wild. Ständig pfeift er sich Spieler heran, oder, wenn sie nicht zu ihm an die Seite kommen, brüllt Anweisungen über das halbe Feld: „Marvin!“, „Leo, geh mit!“, „Armin, andere Seite!“ Einen Dorsch fängt man so nicht. Aber Hrubesch will ja auch nicht deswegen 2015 nach Tschechien und 2016 nach Rio de Janeiro.
Auch wenn Verband und Spieler diesen Vergleich öffentlich scheuen: Mit seiner Art ist Hrubesch ein ganz anderer Trainertyp als sein Vorgänger Rainer Adrion. Nach der missglückten U21-EM im Juni in Israel, wo die deutsche Mannschaft in der Vorrunde ausschied, wurde Adrions Vertrag kurzerhand aufgelöst. Der DFB entschied sich mit Hrubesch für eine risikoarme Lösung: Der 62-Jährige hatte schon einmal eine U21 trainiert und die damalige Mannschaft um Özil, Neuer, Boateng, Hummels und Khedira im Jahr 2009 zum Europameister gemacht. Natürlich weckt solch ein Trainer Erwartungen. Und weil viele etablierte Kräfte altersbedingt aus der U21 ausschieden, unter anderem Holtby, Herrmann, Rode, Baumann und Lasogga, befindet sich die Mannschaft gleich in doppelter Hinsicht im Umbruch. Gleichwohl gibt es einige Spieler, die schon unter Adrion dabei waren, und die nun Hrubesch als neuen Trainer kennenlernen. Ein Vergleich drängt sich auf.
„Man kann ihn nicht ruhig stellen“
Hrubesch sei ein sehr aktiver Trainer, heißt es aus der DFB-Pressestelle. Während Rainer Adrion meist erst nach den Trainingseinheiten die Dinge, die ihm nicht gefielen, ansprach, unterbreche Hrubesch immer wieder zwischendurch. „Er macht grundsätzlich andere Ansprachen als Adrion“, sagt ein Sprecher. „Der Horst schaut, was ihm die Spieler anbieten und gibt sofort Hilfestellung. Er packt sich die Spieler während des Trainings.“ Interessanterweise wählt Hrubesch in einem FAZ-Interview vom vergangenen Montag ganz ähnliche Worte, um seine Arbeitsweise zu beschreiben: „Ich nehme das, was sie (die Spieler) mir bieten, und versuche, es in eine Form zu packen.“ Seine Spieler nennt er „Lehrlinge“, sie ihn „Mister Gnadenlos“. Und so dürfte man auch seine Ansage im Sportschau-Club verstehen, direkt nach dem Spiel gegen Montenegro, als er verfügte, keiner seiner jetzigen U21-Spieler komme für Joachim Löws A‑Mannschaft bei der WM 2014 infrage. Unter Rainer Adrions Ägide bediente sich Löw noch ziemlich frei in der U21 – und schwächte so das Team, das zum Turnier nach Israel reiste.
Verteidiger Antonio Rüdiger muss schmunzeln, als er, nicht ganz zitierfähig, erzählt, wie Hrubesch „auf gut Deutsch gesagt“ auf dem Trainingsplatz manchmal sein kann – „aber das ist auch gut so“, fügt er schnell an, „wir wissen ja, wie er außerhalb ist.“ Da nämlich, so Rüdiger, übernehme er die Vaterrolle. Hrubesch sei viel aktiver als „der Herr Adrion“, wobei beide Trainer viel Wert auf das Spielerische legen. Neuerdings aber spiele die Mannschaft noch mehr Pressing als zuvor. „Er unterbricht sehr viel im Training“, sagt Rüdiger. „Und auf der Linie kann man ihn nicht ruhig stellen. Er ist immer mittendrin.“ Und Matthias Ginter, der ebenfalls beide Trainer erlebt hat, ergänzt, „dass der neue Trainer sehr viel Wert legt auf Gemeinschaft und Mentalität. Ihm ist es sehr wichtig, dass wir zu 100 Prozent zusammenhalten und zusammen arbeiten. Danach erst kommt das Spielerische.“
In der Tat hatte Hrubesch nach dem Spiel in Wiesbaden verraten, dass all die Spieler, die wegen Verletzungen nicht dabei sein konnten, dem Team E‑Mails und SMS geschickt hätten. Und das, obwohl „wir erst 18 Tage miteinander gehabt haben.“ Unter den verletzten Nominierten waren unter anderem Moritz Leitner, Leon Goretzka und Bernd Leno. Vor allem am Beispiel Leitner lässt sich ein Unterschied zu Adrion in Personalfragen festmachen: Adrion hatte für die EM-Endrunde überraschenderweise auf den quirligen Dortmunder verzichtet, was Jürgen Klopp zu der hämischen Aussage trieb: „Wer ihn nicht mitnimmt, muss ein tolles Team haben.“ Nachfolger Hrubesch hingegen setzt voll auf den mittlerweile an den VfB Stuttgart ausgeliehenen Mittelfeldspieler: Leitner ist Vizekapitän, zudem traf er je einmal in den beiden ersten EM-Qualifikationsspielen in Irland und auf den Färöern.
„Doof und dumm“
Noch mehr im Mittelpunkt der Mannschaft aber steht nun, nachdem Lewis Holtby diese Rolle nicht mehr ausfüllen kann, Kevin Volland. Er ist bislang Deutschlands gefährlichster Schütze, ist der Kapitän, dirigiert seine Mitspieler. Nach den Spielen ringen sich die meisten Mikrofone und Kameras um ihn, dann sagt er abgeklärte Sätze wie: „Wir haben das Ding souverän runtergespielt.“ Zudem entwickelt sich Emre Can zum neuen Ballverteiler im Mittelfeld. Can debütierte unter Adrion in der U21, und Hrubesch kommt nun zugute, dass Can durch seinen Wechsel vom FC Bayern zu Bayer Leverkusen auch außerhalb der U21 weitaus mehr Spielpraxis sammeln darf. Wie wichtig diese beiden Spieler für das Gefüge der Mannschaft sind, zeigte der sehr mühsame 3:2‑Sieg am gestrigen Dienstag gegen die Färöer. Drei Mitglieder seiner Viererkette hatte Hrubesch ausgetauscht, dazu die Doppelsechs neu besetzt. Die Folge: schlimme Abstimmungsprobleme, Deutschland geriet gegen den Fußballzwerg vor heimischem Publikum zweimal in Rückstand. Erst als in der zweiten Hälfte Volland und Can kamen, drehte Deutschland das Spiel; Volland schoss ein Tor, Can traf den Pfosten und bereitete das 3:2 vor. Hrubesch analysierte die Partie in „Mister Gnadenlos“-Manier: „Wir haben uns doof und dumm angestellt.“
Bei der Frage, welche Spieler die Löcher im Team stopfen sollen, die der U21 entwachsen sind, verlässt sich Hrubesch auch auf das Urteil seines Co-Trainers Ralf Peter. Der unterstützt ihn bei der Sichtung von Bundesligaspielen und bei Spielanalysen. Sein anderer Co-Trainer Thomas Nörenberg, mit dem er schon über zehn Jahre zusammenarbeitet, unterstützt ihn vor allem bei der Trainingsgestaltung. Neueste Änderung war die Personalie Klaus Thomforde, der Uwe Gospodarek als Torwarttrainer ablöste. Unter den neuen hoffnungsvollen Spielern im Kader ist neben Yunus Malli vom FSV Mainz und Wolfsburgs Robin Knoche auch Philip Hofmann vom Zweitligisten FC Ingolstadt, der gegen Montenegro gleich mal ein Tor schoss. Hrubesch verhalf Dortmunds Talent Jonas Hofmann zum U21-Debüt, beim Testspiel gegen Frankreich kam der Mittelfeldspieler erstmals zum Einsatz. „Das gesamte Paket hat sich richtig gut entwickelt“, sagt Hrubesch und meint damit die Nachwuchsabteilung des DFB. Er muss es wissen: Vor seiner Rückkehr zur U21 im Juni war er Trainer der U18. Und angesichts von vier Siegen in vier Qualifikationsspielen mag man sein Urteil teilen. Andererseits: Auch Rainer Adrion reiste mit einer U21 zur EM-Endrunde, die ohne Niederlage durch die Qualifikation gekommen war.