Aber woher sollen in der Golfregion auch klassische Sportfans kommen, wie man sie aus den meisten anderen Gegenden der Welt kennt? Der Besuch einer normalen Sportveranstaltung hat schon deshalb keine Tradition, weil Sport an sich keine besitzt. In Katar sind mehr als 42 Prozent der Bevökerung stark übergewichtig, damit liegt das Land auf Platz sieben der weltweiten Adipositätstabelle. (Die Vereinigten Arabischen Emirate findet man auf Rang elf.) Wer selbst und aktiv Sport treibt, ist vermutlich Tourist oder ein Ausländer, der hier arbeitet. Deshalb ging der Dialog, den ich 2016 mit dem Taxifahrer führte, so weiter:
„Interessieren Sie sich denn für Sport?“, fragte ich.
„Oh ja, natürlich!“
„Und welche Sportarten gefallen Ihnen?“
„I love racing.“
„Car racing or horse racing?“
„Camel racing.“
(Aber natürlich als Zuschauer, nicht als Jockey. Früher wurden die Kamele von im Grunde versklavten Kindern geritten, heute von kleinen Robotern.)
Noch drei Jahre Zeit
In vielen Sportarten kann man ein solches Desinteresse der Menschen offenbar verschmerzen. So kamen vor vier Jahren bei der Handball-WM nur 600 Leute zum Spiel zwischen Deutschland und Russland in die Halle, ohne dass die Öffentlichkeit sich darüber auch nur ansatzweise so aufregte wie jetzt gerade über die Rahmenbedingungen bei der Leichtathletik-WM. Das hat aber natürlich nichts mit der Leichtathletik zu tun. Sondern mit dem Fußball. Die Welt schaut auf die Geisterwettkämpfe der besten Läufer, Springer und Werfer und rechnet hoch, wie das Ganze wohl in 37 Monaten aussehen wird, wenn ein Sport in Katar gastiert, der viel, viel mehr als Handball oder Leichtathletik oder Kamelrennen davon lebt, dass es auf den Rängen laut, bunt, lebhaft und leidenschaftlich zugeht.
Noch hat man drei Jahre, um das Problem zu lösen. Drei Jahre, in denen sich die FIFA und der WM-Gastgeber überlegen können, wie sie ein PR-Desaster vermeiden, von dem sie gerade nur einen kleinen Vorgeschmack bekommen. Es wird nicht reichen, so wie Katar das aktuell versucht, die Abwesenheit von Atmosphäre durch Lasershows zu kaschieren. Es wird auch nicht reichen, sich wie vor vier Jahren Fans im Ausland anzumieten oder Gastarbeiter für den Stadionbesuch zu bezahlen. Im Grunde bleibt nur eine vom Kamelrennen inspirierte Lösung: Roboter auf den Rängen.