2001 bestritt Miroslav Klose sein erstes Länderspiel. 2012 ist er immer noch da und soll die DFB-Auswahl endlich zum Titel führen. Das Porträt eines Stürmers der ganz besonderen Art.
Am Morgen nach dem 1:0‑Sieg über Florenz überschlagen sich die italienischen Zeitungen mit Lob. Miroslav Klose allein sei für Lazios Sieg verantwortlich, jubiliert die „Gazzetta dello Sport“ und der „Corriere de la Sera“ ergänzt nicht minder euphorisch: „Klose ist ein Torphänomen.“ Der so gerühmte Stürmer liest die Schlagzeilen nicht, er sitzt bereits im Flugzeug, das ihn zum Länderspiel der deutschen Nationalelf gegen Frankreich in Bremen bringt. Es ist ein letzter Lackmustest für die deutsche Elf, der zugetraut wird, dass sie im Sommer in Polen und der Ukraine nach 16 sieglosen Jahren endlich wieder einen Titel holen wird. Und weil der Münchner Philipp Lahm verletzt fehlt, wird Klose die Mannschaft als Kapitän aufs Feld führen. Keine schlechte Bilanz für einen 33-Jährigen.
Am Dienstagmorgen sitzt Miroslav Klose in einem Sessel in der Lobby des noblen Bremer Parkhotels und wirkt beinahe ein wenig verwundert, dass er tatsächlich immer noch mit von der Partie ist. „Als ich 2001 mein erstes Länderspiel gemacht habe, spielten noch Jens Jeremies und Carsten Ramelow“, erinnert er sich. „Dann kamen neue Leute wie Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger. Und jetzt gibt es schon wieder einen Schwung junger Spieler.“ Einer dieser Jungspunde, der Dortmunder Mats Hummels, schlurft in diesem Moment gerade durch die Lobby und es fällt plötzlich auf, wie sehr sich der deutsche Fußball und wie sehr sich auch Miroslav Klose verändert hat, seit jenem 24. März 2001, als Teamchef Rudi Völler in der 73. Minute des Länderspiels gegen Albanien in Leverkusen beim Stand von 1:1 seinen Stürmer Oliver Neuville vom Feld holte und dafür den Debütanten Miroslav Klose aufs Feld schickte.
Sein erster Klub: SG Blaubach-Diedelkopf
Damals rumpelte sich die Nationalmannschaft mühsam durch die Qualifikation zur Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea. Die argen Probleme, welche die Elf im Vorwärtsgang hatte, traten beim Spiel gegen die Albaner schaurig klar zu Tage. Fantasielos rannte die Elf gegen die vielbeinige Abwehr der Gäste an. Und als die Albaner in der 66. Minute die deutsche Führung durch Sebastian Deisler ausglichen, wurde das deutsche Spiel eher schlechter als besser, bis zwei Minuten vor Schluss Miroslav Klose einen von rechts auf Hüfthöhe in den Strafraum getretenen Ball per Kopf ins Netz bugsierte. Was nicht nur die deutsche Elf auf Qualifikationskurs hielt, sondern auch den vorläufigen Karrierehöhepunkt eines jungen Mannes markierte, der drei Jahre zuvor noch für den pfälzischen Bezirksligisten SG Blaubach-Diedelkopf gegen den Ball getreten hatte. Dass Rudi Völler ihn überhaupt zum Länderspiel eingeladen hatte, war der Lohn einer Blitzkarriere, die ihn über den Regionaligisten FC Homburg zunächst in die Reserve und schließlich in den Bundesligakader des 1. FC Kaiserslautern geführt hatte. Schon dieser Aufstieg war in der Pfalz mit Staunen registriert worden. „Ich bin jetzt seit vierzig Jahren dabei und kann mich nicht erinnern, dass ein deutscher Spieler jemals eine solche Entwicklung genommen hätte“, gab FCK-Präsident Jürgen Friedrich ehrfüchtig zu Protokoll. „Der kann es ja selbst ab und zu nicht glauben. Der ist aus dem absoluten Nichts gekommen.“
Nach dem Sieg gegen Albanien trat jedenfalls ein schüchterner Youngster vor die Mikrofone. „Höher geht‘s nichts“, stellte er ehrfürchtig fest und nannte den Teamchef, sonst für alle der Rudi, brav „Herrn Völler“. Warum er bei seinem Tor den Ball nicht mit dem Fuß angenommen habe, wurde er gefragt. „Ich hatte mir halt vorgenommen, meinen Kopf zu benutzen.“
Kloses Zurückhaltung stand im scharfen Kontrast zu den Elogen, die seinerzeit auf den Nachwuchsstürmer gesungen wurden. Mehmet Scholl wusste zu berichten, er habe Klose in der Kabine prophezeit, er werde erstens spielen und zweitens ein Tor machen. Und Rudi Völler fühlte sich spontan an einen großen deutschen Stürmer, nämlich an sich selbst, erinnert.
In den folgenden Tagen waren die Zeitungen gut gefüllt mit Versuchen, die rasante Karriere des Miroslav Klose zu erklären, die ja eigentlich schon mit 16 Jahren zu Ende schien, noch bevor sie richtig angefangen hatte. Damals wurde Klose, noch in Blaubach aktiv, bereits am ersten Tag eines überregionalen Sichtungslehrgangs in der Sportschule Edenkoben wieder nach Hause geschickt – gewogen und zu leicht befunden. Wer einmal als Talent durch solch ein Raster fällt, wird nicht noch einmal eingeladen. Das war auch Klose klar. „Aber da haben mir meine Eltern sehr geholfen“, sagt er heute. „Beide wussten als Sportler, dass es immer wieder Hindernisse gibt, über die man hinwegsteigen muss.“
Vater: Fußballer, Mutter: Handballerin
Die Eltern. Beides Sportler. Bei Jozef Klose und Barbara Jez, er Fußballer beim polnischen Erstligisten Odra Opole, sie ehemalige Handballnationalspielerin, landen viele Erklärungsversuche. Denn von Geburt an gehörte der Leistungssport mit zur Familie. Klose kam 1978 im oberschlesischen Oppeln zur Welt, doch noch im gleichen Jahr zog die Familie nach Frankreich, wo Vater Jozef im gesetzten Fußballeralter unter Guy Roux für den AJ Auxerre stürmte und später bei einem Viertligisten die Karriere ausklingen ließ. 1985, ein Jahr nach der Rückkehr nach Polen, übersiedelte die Familie als Angehörige der deutschen Minderheit in die Bundesrepublik, nach Kusel im Nordpfälzer Bergland. In einem Land, das Mitte der achtziger Jahre der wachsenden Zahl der Aussiedler aus Polen und Russland zunehmend skeptisch gegenüberstand, kein leichter Schritt, weder für die Eltern noch für die Kinder.
Klose selbst hat die erste Zeit in Deutschland oft als schwierig beschrieben. Die Wochen in den tristen Baracken des Grenzdurchgangslagers Friedland mit all dem Geschrei, der Enge und den Ängsten der Neuankömmlinge, die Fremdheit in der pfälzischen Provinz, die schwer zu lernende Sprache, die Probleme in der Schule, wo sich Klose freiwillig von der vierten in die zweite Klasse zurückstufen ließ. „Man darf nie vergessen, wo man herkommt“, wurde Klose in den ersten Porträts über ihn zitiert.
Es war dann auch vor allem der Fußball, der Klose aus der Isolation des Neulings und Außenseiters holte. Zunächst auf dem Schulhof, später bei der SG Blaubach-Diedelkopf, zu der ihn der Schulhausmeister Erich Berndt lotste. Auf dem Fußballplatz lernte Klose die deutsche Sprache, schneller noch als die Eltern.
Keineswegs jedoch ist Kloses eminente Begabung damals jedem Übungsleiter aufgefallen. Andere Kicker seines Jahrgangs wurden zunächst als talentierter eingeschätzt, und der abgebrochene Lehrgang schien jene zu bestätigen, die Kloses Potential für begrenzt hielten. Erst der Wechsel zum FC Homburg brachte seine Karriere in Schwung. Der ehemalige Bundesligist war in finanziellen Nöten und beförderte deshalb Klose kurzerhand aus der zweiten Mannschaft in die Regionalliga. Seine Auftritte dort weckten wiederum das Interesse des 1. FC Kaiserslautern, in dessen Reserveteam er ab 1999 auflief. Ungeachtet der steten Forderung an die Bundesligisten, dem eigenen Nachwuchs eine Chance zu geben, war für die meisten Spieler aus der Zwoten des FCK der Sprung in den Profikader illusorisch. Auf dem Papier galt das auch und besonders für Miroslav Klose, der mit 22 Jahren für ein hoffnungsvolles Talent eigentlich schon zu alt war. Und doch nahm seine Karriere nun richtig Fahrt auf, weil Amateurcoach Michael Dusek ein ums andere Mal bei Cheftrainer Otto Rehhagel vorstellig wurde, um für Klose ein gutes Wort einzulegen. „Ich hatte Glück, immer Trainer zu haben, die auf mich standen“, stellte Klose später fest. Das galt auch für Rehhagel, der nach den ersten Auftritten, damals noch im Mittelfeld, gleich ins Schwärmen geriet: „Klose ist endlich mal wieder ein Kombinationsspieler, der balltechnisch sehr gut ist.“ Erst Rehhagels Nachfolger Andreas Brehme und Reinhard Stumpf sollten ihn dann in den Sturm versetzen – nicht die schlechteste Entscheidung des ansonsten glücklosen Duos.
Im Trikot von Olaf Marschall am Betzenberg
Es waren Etappen eines rasanten Aufstiegs, den niemand auf dem Zettel hatte. Möglich geworden war diese Blitzkarriere durch Disziplin, Talent und Ehrgeiz, möglich geworden auch durch den Fußball selbst. Ein Jahr zuvor hatte Klose noch im Trikot von Olaf Marschall im Fanblock auf dem Betzenberg gestanden, nun skandierten die Anhänger seinen Namen. Vielleicht rührt noch aus dieser Zeit die Begeisterung, mit der Klose heute über Fußball spricht. Ausführlich kann er erläutern, wie sehr sich die Nationalelf in den letzten Jahren unter Joachim Löw weiter entwickelt habe, wie sie gereift sei an den Anforderungen, die sie sich selbst gestellt hat. „Die Mannschaft ist viel flexibler geworden. Wir können unterschiedliche Systeme spielen. Toni Kroos, Bastian Schweinsteiger, Mesut Özil sind jeder für sich unglaublich variabel“, sagt er und fügt hinzu, als könne das übersehen werden: „Und ich selbst hab ja auch eine Entwicklung durchgemacht.“
Diese Entwicklung begann im Norden, beim SV Werder. In den frühen Jahren in Kaiserlautern war Klose, ungeachtet seiner technischen Fertigkeiten, doch ein klassischer Stürmer, ungemein kopfballstark und ein passionierter Strafraumspieler. Das änderte sich, als er 2004 dem Werben von Thomas Schaaf nachgab. „Erst in Bremen habe ich mich zum mitspielenden Stürmer weiterentwickelt“, sagt Klose heute. Eindrucksvolle Zahlen belegen das. Am Ende seiner ersten Saison hatte Klose 15 Treffer selbst geschossen, zugleich aber neun Vorlagen zu Toren gegeben. In den folgenden Jahren war dieses Verhältnis nicht weniger beeindruckend. Urs Siegenthaler wird später einen Begriff finden, der diese Spielart auf den Punkt bringt. Klose sei ein perfekter „Wandspieler“. Einer, der den laufenden Ball in der Vorwärtsbewegung in höchstem Tempo für die nachrückenden Mittelfeldspieler weiterleiten oder prallen lassen kann, der wahlweise Vorbereiter oder Vollstrecker ist.
Als am Mittwochabend im ausverkauften Weserstadion das Freundschaftsspiel gegen die Franzosen angepfiffen wird, ist schnell klar, wie ungemein perfekt Klose inzwischen diese Rolle des variablen, kombinierenden Stürmers spielt. Anders etwa als Konkurrent Mario Gomez, der sein Heil in der Regel klassisch in der Box sucht, lässt sich Miro Klose von Beginn an zurückfallen. „Mein Platz ist meistens in der Schnittstelle, dort wo die Verteidiger an die Mittelfeldspieler übergeben“, hat er am Dienstag erklärt. „Schon in der Vorbereitung auf das Spiel schaue ich, welche Schwächen und Stärken die beiden Innenverteidiger haben.“ Im Spiel gegen die Franzosen entzieht er sich so konsequent dem Zugriff der französischen Abwehrleute Adil Rami und Philippe Mexès, sein Zusammenspiel insbesondere mit Mesut Özil ist intuitiv. All das macht Klose derzeit zu einem der wichtigsten Spieler in Joachim Löws Planspielen für die Europameisterschaft im Sommer.
Hat sich Klose mit seinem Wechsel zu Lazio verschlechtert?
Was auch dann gegolten hätte, wenn sich Kloses Wechsel zu Lazio Rom im Sommer letzten Jahres als großer Irrtum herausgestellt hätte. Ein Transfer, der zumindest in Deutschland für etwas Verwunderung gesorgt hatte, und das nicht nur, weil zeitgleich der spanische Spitzenklub Valencia um ihn gebuhlt hatte. Ausgerechnet Lazio, hieß es naserümpfend, das Schmuddelkind unter den italienischen Vereinen, mit notorisch rechten Anhängern und traditionell chaotischen Führungsstrukturen. Ein Klub, der zuletzt auch Thomas Hitzlsperger ein frustrierendes halbes Jahr beschert hatte. Dass Lazio als Tabellenfünfter nur in der schlecht beleumundeten Europa League spielen würde, verstärkte den Eindruck hierzulande, dass Klose sich durch den Wechsel eher verschlechtert hatte.
Es waren Prognosen mit geringer Halbwertszeit. Zwar begrüßten die Anhänger der „Irriducibili Lazio“, der Unbeugsamen, die Neuverpflichtung Klose gleich einmal geschmackssicher mit einem Plakat „Klose mit uns“ und verwendeten dabei Runenschrift, um nicht missverstanden zu werden. Anschließend blieben rechstradikale Aussetzer jedoch die Ausnahme. Allenfalls werden bei Heimspielen ein paar Deutschlandfahnen im Fanblock geschwenkt. Und seit dem Sommer vergeht kaum ein Wochenende, ohne dass euphorische Schlagzeilen über den Wunderstürmer im himmelblauen Trikot über den Apennin kommen. Nach seinem Führungstor gegen den AC Milan in seinem ersten Spiel für Lazio, nach dem Siegtreffer gegen den AC Cesena zwei Wochen später, seinem späten Tor zum 2:1 über den AC Florenz abermals zwei Wochen danach: Stets überschlug sich die ohnehin gefühlige italienische Sportpresse mit ihrem Lob für Klose. „Der Deutsche mit dem eisigen Blick und dem warmen Herzen hat die Laziofans mit seiner Persönlichkeit, seinem Teamgeist und seinen Toren erobert“, schwärmte gewohnt poetisch die „Gazzetta“. Da hatte Klose gerade mit einem Flachschuss in der dritten Minute der Nachspielzeit das Derby gegen den AS Rom entschieden. Worauf auch Stefano Mauri, altgedienter Mittelfeldmann und haltloser Euphorie unverdächtig, den Klub auf dem Weg zu höchsten Ehren wähnte: „Mit einem Spieler wie Klose haben wir realistische Chancen, um den Titel mitzuspielen.“
Mitte März, nach dem 27. Spieltag der Serie A, ist das Thema Meisterschaft tatsächlich immer noch nicht ganz vom Tisch. Zwar ist der AC Milan sechs Punkte voraus und macht wenig Anstalten, zu schwächeln. Und doch ist es erstaunlich, dass weder zahllose Verletzungen noch die Querelen um den selbstbewussten Coach Edy Reja, der sich mit dem erratischen Präsidenten Claudio Lotito überworfen hatte, die Mannschaft nachhaltig aus der Bahn geworfen haben. Am Wochenende nach dem Länderspiel in Bremen hat Lazio Rom auch das zweite römische Derby mit 2:1 für sich entschieden. Eigentlich ist die Saison bereits gerettet.
Als Spieler kannst du in Rom konzentrierter arbeiten“
Und die Verehrung für Miroslav Klose ist ungebrochen. Vor den kleinen Läden in Roms Gassen, die Touristen mit nachlässig gefälschten Trikots großer Fußballstars locken, ist Klose ebenso präsent wie Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo. Wenn Klose in Roms Innenstadt unterwegs ist, erregt er rasch Aufsehen unter den Einheimischen. Dennoch hat er in der vermeintlich heißblütigen italienischen Kapitale mehr Muße, sich auf den Sport zu konzentrieren, als in Deutschland. Das Training in Lazios weitläufigem Übungszentrum Formello, einige Kilometer nördlich von Rom, ist nicht vergleichbar mit dem täglichen Volksfest an der Säbener Straße in München. „Als Spieler kannst du in Rom konzentrierter trainieren“, findet er. „Die Einheiten finden ohne Publikum statt, das war in der Bundesliga anders.“ In der Hinrunde durften die Anhänger gar nur bei einer einzigen Trainingssession dabei sein. Am Montag nach dem Derbysieg hatte Coach Reja eine Ausnahme gemacht. „Das war dann auch für uns Spieler etwas Besonderes“, sagt Klose. Was ihm in Italien gefällt, ist der enorme Respekt, der den Spielern von den Anhängern entgegengebracht wird. Wenn Klose etwa von Fans in einem Restaurant entdeckt wird, führt das wider Erwarten nicht zu größeren Menschenansammmlungen am Tisch. „Während wir gegessen haben, wurden wir nicht gestört. Erst hinterher wurden wir um gemeinsame Fotos gebeten.“
Das Leben, das Klose in Rom führt, ist so unprätentiös und bodenständig wie zuvor in Deutschland. „Ich war nie ein Typ für Diskotheken und lange Abende. Ich habe mich immer komplett auf den Fußball konzentriert“, sagt er. Es liegt darin bei Miroslav Klose eine Absolutheit, die bisweilen irritiert, weil sie wenig Platz lässt für das, was jungen Menschen eigentlich an Bedürfnissen zugebilligt wird. Von dieser adoleszenten Lust an Ausschweifungen kündet etwa die Schlagzeile, mit der am Freitag nach dem Länderspiel die spanische Gazette „AS“ aufgemacht hat. Die Realprofis Mesut Özil und Sami Khedira sollen nach dem Länderspiel noch bis zum Zapfenstreich in einer Bremer Bar gefeiert haben. Eine Petitesse, die schon zwei Tage später wieder vergessen ist, weil die beiden Deutschen beim 5:0‑Kantersieg Reals gegen Espanyol Barcelona beeindruckend kombiniert haben. Von vielen anderen Kickern sind ähnliche Geschichten überliefert, die ja letztlich nur kleine Ausbrüche aus dem umfassenden Pflichtenkatalog sind, denen sich professionelle Fußballspieler tagtäglich unterwerfen müssen. Sie müssen sich gesund ernähren, richtig trainieren, dürfen im Spiel keine Fehler machen, und wenn sie abends zu lange in der Kneipe sitzen, findet sich immer jemand, der entweder strafend auf die Uhr tippt oder gleich einen Handyschnappschuss an die Presse weiterreicht. Klose jedoch ist in seiner langen Karriere nicht ein einziges Mal durch derartige Schlagzeilen auffällig geworden. Was sympathisch ist, zugleich aber dazu geführt hat, dass er im flirrenden Showbusiness Fußball seit jeher als vergleichsweise sperrig und für die nach Verfehlungen dürstende Boulevardpresse unergiebig empfunden wird.
Alex Schütt, ehemals Hockeyspieler und Journalist und nun Kloses Berater, müsste diesen Zustand eigentlich beklagen – weil Geschichten über neue Frisuren, neue Freundinnen, neue Autos in der Öffentlichkeit schnell mit Profil und Charisma verwechselt werden, was wiederum die Fußballer attraktiver für Werbekunden macht. Dass Oliver Bierhoff, einst Kloses Mitspieler und nun Manager der Nationalelf, ihn als Vorbild preist, mag ehrenhaft sein, der Vermarktbarkeit steht ein mustergültiges Profileben jedoch bisweilen entgegen. Ein Strafzettel für den falsch geparkten Ferrari, eine Fotostrecke mit der dreiviertelnackten Freundin, so schnell und billig ist Glamour bisweilen produziert. Stattdessen lobt Schütt die Bodenständigkeit seines Freundes und Klienten. Die ist im Fußballgeschäft schon deshalb nicht leicht zu bewahren, weil sich inzwischen um jeden halbwegs talentierten Profi bereits in jungen Jahren unzählige Schulterklopfer und Geschäftemacher scharen. Klose hat sich diesen Mechanismen bislang in beeindruckender Konsequenz entzogen, geht in der Sommerpause lieber mit Freunden angeln als mit dem Schnellboot durchs Mittelmeer zu kreuzen, und kann ziemlich überzeugend davon erzählen, dass ihn der Gedanke ans Karriereende nicht im Mindesten schreckt, weil er dann endlich mehr Zeit für Frau Sylwia und die Zwillinge Luan und Noah hat.
In all den Jahren nur ein einziger kleiner Skandal
Überhaupt ist Klose während seiner langen Laufbahn nur ein einziges Mal in die Nähe eines kleinen Skandals geraten, und der war dann auch nur formaler Natur. 2007 wurde er in einem Hannoveraner Hotel zusammen mit den Bayernbossen Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge gesehen. Ein Geheimtreffen, ausgerechnet kurz vor einem wichtigen europäischen Spiel seines Vereins Werder Bremen. Klose stand plötzlich da als einer, dem das Geld und sein persönliches Fortkommen wichtiger waren als sein Verein. Die Aufregung entpuppte sich hinterher als Theaterdonner und als Vorspiel knallharter Verhandlungen um die Ablösesumme. Gleichwohl haben viele Beobachter seither den Eindruck, dass Klose noch ein wenig vorsichtiger geworden ist in dem, was er öffentlich kundtut. „Miro ist jemand, der ein sehr genaues Gespür dafür hat, wer es ehrlich meint und wer unlautere Absichten hat“, sagt einer aus dem DFB-Tross, der Miroslav Klose nun schon länger begleitet.
Zur Skepsis gegenüber den Verrücktheiten des Medienbetriebs beigetragen haben sicher auch die Erfahrungen, die Miroslav Klose rund um die Weltmeisterschaft 2010 gemacht hat, als er unvermittelt in eine Diskussion geriet, die nur wenig mit ihm und viel mit deutsch-polnischen Aggregatzuständen zu tun hatte. Nach den berauschenden Auftritten der deutschen Mannschaft in Südafrika wiesen Vertreter der deutschen Minderheit in Oberschlesien nicht ohne Stolz darauf hin, dass die meisten deutschen Tore von gebürtigen Oberschlesiern, von Miroslav Klose aus Oppeln und Lukas Podolski aus Gleiwitz, erzielt wurden. Was wiederum das polnische Boulevard-Magazin „Fakt“ zum Anlass nahm, Kloses Vater Jozef mit allerlei Sätzen zu zitieren, die vermeintlich wenig zur fragilen deutsch-polnischen Aussöhnung passten. „Ich bin Schlesier und Europäer. Alles, was Miroslav im Fußball erreicht hat, verdankt er deutschen Klubs und mir.“ Schlagzeilen voller Kolportage, die Miroslav Klose heute noch sichtlich zornig machen. „Es ist damals so viel Blödsinn und Quatsch in den polnischen Medien erfunden und geschrieben worden“, sagt er. „Meine Eltern und ich haben so etwas nie gesagt.“
Zumal Kloses Lebenswirklichkeit mit den holzschnittartigen Klischees nur wenig zu tun hat. Da sind Onkel und Tante und deren Kinder, die bis heute in Schlesien leben. Da sind Kloses Kinder, die zweisprachig aufwachsen. Da ist schließlich Klose selbst, der um die bewegte Geschichte Schlesiens und seiner Bevölkerung im 20. Jahrhundert weiß, und dem schon deshalb jegliche Ressentiments fremd sind. Und so gab er dann auch vor dem Testspiel gegen Polen im Herbst letzten Jahres zu Protokoll, der freundschaftliche Kick sei „etwas ganz Besonderes“, um dann in der ihm eigenen Uneigentlichkeit festzustellen: „Man ist dort geboren, man beherrscht die Sprache.“ Klose weiß natürlich auch, dass er und Lukas Podolski im Sommer ganz besonders unter Beobachtung stehen werden, ungeachtet der Tatsache, dass die deutsche Elf in der Gruppenphase zunächst nur in ukrainischen Stadien antreten wird. Doch der Spielplan führt die deutsche und die polnische Gruppe schon im Viertelfinale zusammen. Viel Stoff wäre das für die niedere Sportpsychologie, für melodramatische Artikel über die von zwiespältigen Heimatgefühlen geplagten Stürmer. Womöglich hilft tatsächlich eine europäische Perspektive, wie Klose überhaupt schon den Blick über das Turnier hinaus richtet. Noch ein Jahr läuft der Vertrag bei Lazio. Und die Nationalelf? „Wenn ich mich körperlich fit fühle, wäre auch die WM 2014 in Brasilien ein lohnendes Ziel.“ Und wiederum danach? Wie schon erwähnt, mehr Zeit für die Familie. Und beruflich? Miroslav Klose weiß es noch nicht. Vielleicht wird er den Trainerschein machen. Er hat sich jedenfalls auch in diesem Fall vorgenommen, seinen Kopf zu benutzen. Wie damals in Leverkusen gegen Albanien.