1999 schoss Jan-Aage Fjörtoft eines der wichtigsten Tore in der Vereinsgeschichte von Eintracht Frankfurt. Wir sprachen einst mit ihm über die Sekunden vor dem Tor. Heute wird der SGE-Übersteiger-Tor-Experte 55 Jahre alt.
Das Interview erschien erstmals in unserem 11FREUNDE SPEZIAL „TORE“. Das Heft mit allen wichtigen, schönen, kuriosen und spektakuären Toren (und den Geschichten dahinter) gibt es bei uns im Shop.
Jan-Aage Fjörtoft, was ist ein schönes Tor?
Distanztreffer in den Winkel sehen toll aus, sind aber oft pures Glück. Mich faszinieren Tore, bei denen sich der Stürmer etwas gedacht hat und Fußball für ein paar Sekunden aussieht wie ein Schachspiel.
Gerd Müllers Losung lautete: „Wennst denkst, is’ eh zu spät.“ Sollten sich Stürmer wirklich den Kopf zerbrechen?
Müller hat natürlich Recht. Aber gute Fußballer automatisieren bestimmte Bewegungen und können sie in den jeweiligen Situationen abrufen, ohne lange nachzudenken. Sie können schnell antizipieren und in Sekundenbruchteilen einen Plan entwickeln.
Neulich haben Sie das Video zu einem Kaka-Tor getwittert. Dazu schrieben Sie: „Dieses Tor hat alles.“ Warum?
Zunächst mal war es ein sehr wichtiges Spiel, AC Mailand traf im Champions-League-Halbfinale auf Manchester United. Kaka gerät in eine Situation, die aussichtslos erscheint: Auf der halblinken Außenposition sieht er sich alleine zwei Gegenspielern gegenüber, die ihn in die Zange nehmen. Was tun? In Sekundenschnelle wägt Kaka die möglichen Optionen ab und entwickelt einen Lösungsweg: Er hebt den Ball über den ersten Gegenspieler, der dadurch kurz die Orientierung verliert. Dann köpft er den Ball durch eine Schnittstelle zwischen den beiden Spielern hindurch, die sich deshalb gegenseitig über den Haufen laufen. Kaka umkurvt die fallenden Spieler und führt den Ball wieder flach am Fuß, weil er ihn zuvor schlauerweise zu Boden geköpft hat. Am Ende schiebt er lässig ein.
Was für ein Stürmertyp waren Sie?
Ich habe mir darüber erst nach meiner Karriere Gedanken gemacht. Ich hatte einen okayen Schuss, ein okayes Kopfballspiel und ein okayes Dribbling. Im Ganzen war ich also ein okayer Stürmer. (Lacht.) Trotzdem habe ich in England und Deutschland gespielt, was mehr als okay ist. Vielleicht haben die Trainer gesehen, dass ich Situationen gut erahnen und gewitzte Tore schießen konnte.
Was war ein gewitztes Fjörtoft-Tor?
Ich erinnere mich gerne an meinen ersten Bundesligatreffer im Winter 1998. Wir spielten gegen Schalke, bei denen Oliver Reck im Tor stand. Ein guter Keeper, der aber manchmal daneben griff. In einer Situation fing er eine Flanke ab. Fast alle Spieler wandten ihm danach den Rücken zu und trabten aus dem Strafraum. Ich blieb aber stehen, in der Hoffnung, dass noch etwas passieren würde. Auf einmal ließ er den Ball tatsächlich fallen – und ich drückte ihn über die Linie. Solche Treffer werden nie „Tor des Jahres“, ich liebe sie trotzdem.
Ihr bekanntestes Tor schossen Sie am 29. Mai 1999 gegen Kaiserslautern. Beim Stande von 4:1 liefen Sie alleine auf das gegnerische Tor zu, machten einen Übersteiger und schossen zum 5:1 ein. Eintracht Frankfurt war gerettet. War das auch ein gewitzter Fjörtoft?
Es war Routine. Ich hatte die Bewegung automatisiert, hunderte Male im Training und Spielen erprobt. Fragen Sie mal einen Norweger nach mir.
Was würde er antworten?
Er wird Ihnen nicht von dem Tor gegen Kaiserslautern erzählen, sondern von meinen Übersteigertoren gegen Kamerun oder in der WM-Qualifikation 1993 gegen Polen. Schon vor meiner Frankfurter Zeit gab es in Norwegen die Redewendung „einen Fjörtoft machen“. Als ich gegen den FCK auf Andreas Reinke zulief, war ich daher nicht nervös. Ich konnte alles ausblenden, den drohenden Abstieg, die 60 000 Zuschauer im Stadion. Ich wusste, dass ich mit diesem Übersteigerschuss treffen kann.
Sie hätten zum Deppen der Bundesliga werden können.
Natürlich. Obwohl Eins-gegen-Eins-Situationen oft falsch bewertet werden. Viele Fans und Experten denken, der Stürmer sei im Vorteil. Das Problem ist nur: Wenn ein Spieler frontal auf den Torhüter zurennt, ist der Winkel für den Angreifer schlecht. Er kann den Ball lupfen, hart schießen oder den Torhüter ausdribbeln. Alles viel zu riskant. Daher entwickelte ich schon als Jugendspieler den Übersteigerschuss.