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Das Inter­view erschien erst­mals 2014. Ges­tern ist Arkoc im Alter von 81 Jahren ver­storben.

Özcan Arkoc, wie hört es sich an, wenn ein Tor­netz reißt?
Schmerz­haft. Wir spielten im Meis­ter­schafts­fi­nale von 1959 mit Fener­bahce gegen Gala­ta­saray, und Metin Oktay zim­merte den Ball mit einer wahn­sin­nigen Wucht aufs Tor. Es machte nur zisch, und dann blickte ich dem Ball hin­terher, wie er durch das Netz in Rich­tung Tri­büne flog.
 
Der Treffer gilt als eines der legen­därsten Tore der tür­ki­schen Fuß­ball­ge­schichte. Heute ist Oktay bekannt als Der Mann, der das Tor­netz kaputt­schoss“.
Und ich als der Mann, der dabei im Tor stand. Man muss aller­dings sagen, dass es in den Tagen zuvor viel geregnet hatte, und das poröse Tor­netz sehr straff gespannt war. Ich konnte gut damit leben, denn das Rück­spiel gewannen wir 4:0.
 
Sie haben nach Ihrem Abitur Schrift­setzer gelernt und hätten besser ver­dient als jeder tür­ki­sche Fuß­ball­spieler. Wieso wollten Sie über­haupt Profi werden?  
Ich hatte den Russen Lew Jaschin und den Ungarn Gyula Gro­sics gesehen und mich in ihr Spiel ver­liebt. Einmal, 1956, war ich auf einem Jugend­tur­nier in Buda­pest, und Gro­sics spielte mit Ungarn im Mitropa-Cup gegen die Sowjet­union. Ich war­tete mit meinen Freunden auf die Ankunft der Mann­schafts­busse, um einen Blick auf meine Idole zu erha­schen. Schließ­lich kam das unga­ri­sche Team an, und als Gro­sics aus­stieg, stand er da wie James Dean – mit Ziga­rette im Mund­winkel.
 
Das fanden Sie cool?
Ich bin nicht wegen der Ziga­rette Profi geworden, zumal ich gar nicht geraucht habe. Das Tor­wart­spiel übte was Fas­zi­nie­rendes auf mich aus: Die Reflexe, die Paraden, die feste Posi­tion und auch die Ein­sam­keit, die damit ein­her­geht. Du kannst in der letzten Minute der Held werden, wenn du einen Elf­meter hältst, du kannst der Idiot sein, wenn du einen Ball durch die Beine lässt.
 
So wie Sie im Mai 1968?
Wir spielten mit dem HSV im Euro­pacup-Finale gegen den AC Mai­land, damals die beste Mann­schaft Europas. In Rot­terdam standen diese ita­lie­ni­schen Super­spieler auf dem Platz, in edelsten Anzügen, und schauten ein wenig pikiert auf die HSV-Jungs in den Trai­nings­an­zügen. Wir hielten ganz gut mit, doch dann tauchte Kurt Hamrin vor mir auf. Ich spe­ku­lierte auf einen gefühl­vollen Schlenzer, doch er schoss den Ball mit der Fuß­spitze durch meine Beine. Wer konnte denn damit rechnen, dass dieser Edel­tech­niker die Pike benutzt? Das schlimmste Gegentor meiner Kar­riere – ich habe bit­ter­lich geweint.
 
In der Türkei waren Sie über meh­rere Spiel­zeiten der Keeper, der die wenigsten Gegen­tore kas­sierte. Was zeich­nete Sie als Tor­wart aus?
Ich hatte keine Angst. Zudem war ich reak­ti­ons­schnell und kör­per­lich stark. Und ich war ein guter Fänger. Das kam, weil ich oft mit den Bas­ket­bal­lern trai­nierte. Als Hand­schuhe längst zur Stan­dard­aus­stat­tung eines Tor­hü­ters gehörten, habe ich noch mit blanken Hände gehalten. Erst Anfang der sieb­ziger Jahre zog ich mir auch Hand­schuhe über.
 
Wer hat Ihr Talent erkannt?
Mein Bruder. Er war eben­falls auf dem Weg zum Fuß­ball­profi. Doch eines Tages hat er sich beim Trai­ning mit einem selt­samen Virus infi­ziert. Danach zog er sich eine Lun­gen­ent­zün­dung zu und konnte nie wieder Fuß­ball spielen. Mein Vater hatte große Sorge um mich, er wollte nicht, dass ich Profi werde, ich sollte stu­dieren. Doch ich liebte den Fuß­ball zu sehr. Ich liebte es, hart zu trai­nieren.
 
Mit wem haben Sie denn trai­niert?
Ich wuchs in Hay­rabolu auf, einer kleinen Stadt im Nord­westen der Türkei, direkt an der Grenze zu Bul­ga­rien und Grie­chen­land, sehr indus­triell, viele Fabriken. Da es keine Schul­busse gab, fuhr ich jeden Tag mit dem Bus der Fabrik­ar­beiter zur Schule und zurück. Manchmal stieg ich aller­dings früher aus, denn auf halber Strecke befand sich ein Fuß­ball­platz, wo die Arbeiter gespielt haben. Dort hat mich mal ein Tor­wart beob­achtet und gefragt, ob es mir gefalle, wie er durch die Luft flog. Ich bejahte, und er sagte: Komm nächstes Mal ein biss­chen früher und wir trai­nieren gemeinsam.“ Wir haben dann in einer Sand­kiste Sprung­übungen gemacht. Er warf mir die Bälle zu, und ich flog und flog und flog.
 
Wie sind Sie in Istanbul gelandet?
In meinem Dorf gab es einen Spieler namens Refik Gün­dogan, der bereits in Istanbul spielte. Er hat mich eines Tages zu Vefaspor geholt. Dort spielte ich 1956 als 17-Jäh­riger in der ersten Mann­schaft und machte mein Län­der­spiel­debüt für die U18-Natio­nal­mann­schaft. Wir haben tolle Spiele gehabt, etwa gegen die DDR mit Peter Ducke oder Ita­lien mit Sandro Maz­zola. Irgend­wann wurde Fener­bahce auf mich auf­merksam.
 
Ein sol­ches Angebot lehnt man nicht ab.
Zumal ich ein ordent­li­ches Hand­geld bekam. 36.000 tür­ki­sche Lira, das waren unge­fähr 6000 Mark. Der Wechsel fiel in das Jahr 1958, in dem auch die erste tür­ki­sche Pro­fi­liga gegründet wurde (Tür­kiye Pro­fe­syonel 1. Liga, später Süper Lig, d. Red.).
 
Nach vier Jahren, zwei Meis­ter­schaften und über 150 Spielen für Fener­bahce wech­selten Sie zum klei­neren Istan­buler Verein Bes­iktas. Warum?
Fener­bahce wollte meinen Ver­trag bis 1964 ver­län­gern, und ich wil­ligte zunächst ein. Aller­dings gab es einige aus­ste­henden Zah­lungen. Dum­mer­weise hatte ein Funk­tionär das Geld längst ander­weitig aus­ge­geben. Ich war ziem­lich wütend, doch ver­schwieg in der Öffent­lich­keit die Details der Geschichte, auch um diese Person – eine Fener­bahce-Legende – nicht bloß­zu­stellen. Das war Ende Juni 1962. Ich ging also ent­täuscht für zwei Jahre zu Bes­iktas, bis ich mir schließ­lich ein Zug­ti­cket nach Öster­reich besorgte – ohne Rück­fahr­karte.
 
Wieso wussten Sie, dass Sie nie mehr zurück­kehren würden?
Ich war in den Jahren zuvor häufig mit der tür­ki­schen Natio­nal­mann­schaft in West­eu­ropa gewesen und hatte immer wieder gesehen, auf wel­chem Niveau dort Fuß­ball gespielt wurde. Alleine die Platz­ver­hält­nisse! Der Wahn­sinn. Mit Bes­iktas haben wir damals auf Asche trai­niert, und wir mussten wir uns ein Sta­dion mit drei anderen Istan­buler Teams teilen. Dem­entspre­chend sah der Rasen vier Wochen nach Sai­son­be­ginn aus wie ein Acker. Also stieg ich eines Tages in den Zug, fuhr nach West­eu­ropa, machte über 100 Spiele für Aus­tria Wien und absol­vierte Pro­be­trai­nings bei 1860 Mün­chen, Ein­tracht Frank­furt und Bayern Mün­chen.