Diese Story ist so unglaublich, dass sie es vermutlich in kein Narcos-Drehbuch geschafft hätte. Es geht um die WM, Geheimagenten und einen gigantischen Drogenhandel, der live über die Monitore des WM-Sendezentrums flimmerte.
Dass nicht alle Stadiongäste bei einer Weltmeisterschaft zwingend am Fußball interessiert sind, ist hinlänglich bekannt. Am 24. Juni allerdings, beim Vorrundenspiel zwischen Kolumbien und Polen in Kasan (3:0), weilten einige besonders dubiose Gestalten auf der Tribüne, die dort ihren ganz eigenen, hochgradig düsteren Plänen nachgingen. Nein, die Rede ist weder von der FIFA, noch von Wladimir Putin und seinem Ex-Do …, äh, Sportminister Witali Mutko. Im Gegenteil: Sowohl der Fußball-Weltverband als auch die russischen Autoritäten zählen in diesem Fall zu den Guten. Und schon allein deshalb ist diese Geschichte mehr als berichtenswert.
300 Millionen Dollar für tonnenweise Koks
Für Kolumbien war der 24. Juni 2018 ein Tag der nationalen Ausgelassenheit. Das ganze Land fieberte am zweiten Spieltag der Vorrundengruppe H mit Yerry Mina, Radamel Falcao, Juan Cuadrado & Co. – und feierte nach dem Schlusspfiff einen klaren Erfolg, der den Südamerikanern letztlich das Achtelfinal-Ticket sichern sollte. Das ganze Land? Nein, mitten im gelben Block saßen vier Herren vom kolumbianischen Narcos-Kartell „Golf-Clan“, um dort gemeinsam mit mexikanischen, russischen, armenischen, belgischen und holländischen Großdealern einen spektakulären Kokainhandel auszuhecken. Die renommierte kolumbianische Wochenzeitung „Semana“ beziffert den Wert der Vereinbarung auf bis zu 300 Millionen Dollar. Laut den Recherchen des Blatts sollen 75 Prozent dieser Summe noch während des Turniers nach Südamerika eingetroffen sein, in den Taschen scheinbar harmloser WM-Touristen. Als Anzahlung.
Begonnen hatte dieser hochspannende Kriminalfall bereits im Februar, an Bord eines Bananendampfers aus Panama. Bei einer Routinekontrolle auf See war den holländischen Zollbehörden ein kolumbianischer Koks-Schmuggler in die Fänge geraten – und nebenbei 6,2 Tonnen hochwertigen Kokains mit einem Straßenverkaufswert von mehreren hundert Millionen Euro. Der Schmuggler landete in einem holländischen Hochsicherheitsgefängnis und hatte (neben einer handfesten Anklage) ein weiteres faustdickes Problem: Er schuldete seinen Hintermännern in der Heimat nun eine gewaltige Summe Geld. Da traf es sich scheinbar günstig, dass sein Zellennachbar, ein Mexikaner, ebenfalls aus der Drogenbranche stammte – und in ganz ähnlichen Schwierigkeiten steckte.
Warenübergabe am 3. August
Die beiden Delinquenten steckten ihre Köpfe zusammen und entwickelten prompt eine Idee, wie sie den wirtschaftlichen Schaden für ihre Auftraggeber wieder gutmachen könnten. Schließlich war ja bald Fußball-Weltmeisterschaft. Und im allgemeinen Gewimmel des gewaltigen Fan-Reiseverkehrs zwischen Russland und Südamerika würden ein paar Dealer und ein paar hundert Millionen Euro an Bargeld wohl kaum auffallen, dachten sie. Die eigentliche Warenübergabe war hingegen erst für den 3. August terminiert. Im Hafen von Rotterdam, einem beliebten Umschlagplatz im internationalen Drogenverkehr.
Doch die Herren vom Kartell waren nicht die einzigen „Fans“, die an jenem 24. Juni wenig Augen für Kolumbiens spektakulär herausgespielten 3:0‑Erfolg hatten. Das konspirative Gespräch zwischen den beiden Zelleninsassen in Holland, scheint es, war von Drogenfahndern abgehört worden.
Ultra-HD-Kameras
Und so hatte sich an diesem wunderschönen 24. Juni auch ein internationaler Trupp von Fahndern, bestehend aus russischen, kolumbianischen, holländischen, belgischen und US-Spezialagenten, auf der Tribüne eingenistet – unter tatkräftiger Mithilfe der FIFA und des russischen Geheimdienstes. Die FIFA stellte sogar eine ganze Batterie hochauflösender Ultra-HD-Kameras ihres Host-TV-Broadcasters zur Verfügung, um das Dealer-Treffen über mehrere Stunden lückenlos zu dokumentieren und dadurch wichtiges Beweismaterial zu sichern. Für die Ermittler lief es an diesem Tag genauso reibungslos wie für die kolumbianische Mannschaft. Die Kriminellen hingegen hatten mindestens so eine Klatsche kassiert wie das polnische Team – nur, dass sie zu diesem Zeitpunkt davon noch nichts ahnen konnten.
Als einige Tage nach der Weltmeisterschaft zwei Niederländer nach Panama reisten, um sich von dort nach Kolumbien einschleusen zu lassen, ahnten sie nicht, dass jede ihrer Bewegungen überwacht wurde. Und als die illustre Reisegesellschaft schließlich am 3. August im Hafen von Rotterdam einlief – natürlich, ganz stilecht, an Bord eines Bananen-Transporters – wurde sie bereits von der holländischen Polizei erwartet. Neben 7,5 Tonnen reinsten Kokains gingen den Fahndern insgesamt 13 hochrangige Mitglieder eines paneuropäischen Großdealer-Rings in die Fänge. Auch in Kolumbien klickten in der Folge zahlreiche Handschellen.
800 Millionen Portionen
General Fabián Cárdenas, der Direktor der kolumbianischen Anti-Drogen-Behörde, jubelte nach Abschluss der Ermittlungen mindestens so ausgelassen wie nach Kolumbiens 3:0 über Polen: „Die ausdauernde und koordinierte Zusammenarbeit zwischen den Behörden verschiedener Länder hat bewirkt, dass wir ein internationales Netzwerk sprengen konnten. Und sie hat obendrein verhindert, dass 800 Millionen Portionen Kokain in Umlauf gelangen konnten.“
Nicht bekannt ist hingegen, wie die zwei Planungs-Genies aus Kolumbien und Mexiko die Nachricht vom Fahndungserfolg in ihrer holländischen Zelle aufgenommen haben. Für beide ist es jeweils die zweite aufgeflogene Drogenlieferung. Und derartige Verluste werden in dieser Branche, das weiß man aus der Netflix-Serie „Narcos“, eher mürrisch quittiert.