„Ausgerechnet“ Mario Götze hat mit seinem Tor die Niederlage seines Ex-Klubs Borussia Dortmund im Spitzenspiel gegen die Bayern eingeleitet. Selbstverständlich verbat sich Götze anschließend jeder wilden Jubelorgie. Ist das wirklich so selbstverständlich? Eine Ereiferung über den Nicht-Jubel bei Toren gegen ehemalige Arbeitgeber.
Nehmen wir ein Schützenfest. Dort, wo viele Menschen schon gegen 22 Uhr den Kampf gegen den Alkohol verloren haben. Die Bierzelte gleichen Tarantinos „Titty Twister“ und die Besucher den Vampiren, deren Köpfe beim ersten Sonnenstrahl explodieren. Und am Autoscooter trifft man mit dem neuen Darling auf den oder die Verflossene – von vor zwei Jahren, zwei Tagen oder zwei Stunden. Die entscheidende Frage dann: wie verhalten? Scheu grüßen, einander vorstellen oder enthemmt losflennen?
Versteinerter Blick, alle Glückwünsche abwehren
Nehmen wir die Bundesliga. Jene Singlebörse, bei der Spieler schon überall mal zum Probeliegen waren. Eric Maxim Choupo-Moting hat beim Hamburger SV gespielt, war an den 1. FC Nürnberg ausgeliehen, wollte nach Köln, dann versagte das Faxgerät – und nun spielt er beim FSV Mainz 05. Der Mann ist erst 22 Jahre alt. Er muss aber schon bei drei Gegnern in der Liga aufpassen, wie er jubelt. Denn mittlerweile gilt es als schwerer Verstoß gegen die guten Sitten, bei einem Tor gegen den Ex-Verein die Arme hochzureißen. Versteinerter Blick, alle Glückwünsche abwehren, tief erschüttert zur Mittellinie traben – der inzwischen nicht mehr ganz so neue Code of Conduct.
Der ja bei Licht besehen eine nicht ganz ehrliche Nummer ist. Denn man tut den Kickern sicher nicht Unrecht, wenn man unterstellt, dass ihnen nach solch einem Tor gar nicht so elend zumute ist, wie es die bedröppelte Miene vermuten lässt. Und dass sich stattdessen die Gemütsverfassung durchaus mit den Versen beschreiben lässt, die die „Ärzte“ einst einem vom Weibe verlassenen jungen Mann auf den Leib schneiderten: „Eines Tages werd’ ich mich rächen / Ich werd’ die Herzen aller Mädchen brechen / Dann bin ich ein Star, der in der Zeitung steht / Und dann tut es dir leid, doch dann ist es zu spät.“ Nun verlangt niemand, vor der gegnerischen Kurve hämisch den bleichen Allerwertesten zu lüften. Aber erst eiskalt zu vollstrecken, um danach noch schuldbewusster dreinzublicken als Margot Käßmann nachts am Steuer – dafür muss man schon ziemlich abgezockt sein.
Dabei war ja zu vermuten, bei der Jubelverweigerung handele es sich lediglich um eine flüchtige Modeerscheinung. Aber schon am zweiten Spieltag der Saison 2010/11 traf der Herthaner Tunay Torun gegen den Hamburger SV zum 1:1, gegen den Klub also, bei dem Torun ein paar Jahre gegen den Ball getreten hatte. „Ich habe nicht gejubelt – aus Respekt vor dem Verein“, verkündete er tief bewegt. Nur um später seiner alten Mannschaft fehlenden Teamgeist vorzuwerfen. Ähnlich stringent verhielt sich Jan Moravek. Der vom FC Schalke ausgeliehene Tscheche erzielte für den 1. FC Kaiserslautern ein Tor gegen die Gelsenkirchener und verzichtete zunächst demonstrativ auf den Jubel – um nur kurze Zeit später im Überschwang der Gefühle das Lauterer Wappen zu küssen. Ja, es ist Liebe! Hübsche Pointe: Heute spielt Moravek wieder auf Schalke. Auf dem Schützenfest hätte Moravek erst seine neue Flamme vor seiner Ex versteckt, um gleich danach ein mieses Petting vor ihren Augen zu starten.
Wie überhaupt der Fall Moravek all die Fallstricke offenbart, in die ein Abstinenzler laufen kann. Notorische Wandervögel wie Mo Idrissou, Jan Simak oder Theofanis Gekas zum Beispiel dürften überhaupt nicht mehr jubeln, schließlich waren sie so ziemlich bei jedem deutschen Klub schon mal unter Vertrag oder zumindest kurzzeitig im Gespräch. Und wo wir einmal dabei sind: Reicht es überhaupt, nur Ex-Vereinen Respekt zu bezeugen? Muss nicht jeder Bundesligaprofi eilends seinen Stammbaum zum Stichwort „Land meiner Vorfahren“ (Mesut Özil) durchforsten? Wer kann denn noch reinen Gewissens über Tore gegen Kaiserslautern jubeln, wenn der Urgroßvater gebürtiger Pfälzer war? Und nur wer ein kaltes Herz aus Stein hat, wird sich über einen Treffer gegen Dresden, Rostock, Cottbus, Aue freuen, wenn die Omma 1955 aus der Zone rübergemacht hat.
„Es ist wahr, ich habe angefangen zu weinen!“
Aber: Jeder Mensch macht Fehler. Und muss dann hinterher eben tätige Reue zeigen. So wie Stürmer Fabrizio Miccoli: Als der Kapitän des US Palermo gegen seinen Heimatverein Lecce mit einem herrlichen Freistoß traf, brach er unter Tränen zusammen und bat seinen Trainer um Auswechslung. „Es ist wahr, ich habe angefangen zu weinen und konnte nicht mehr aufhören“, wimmerte er. „Ich weinte nach dem Tor auf dem Platz, ich weinte in der Kabine. Lecce ist meine Mannschaft, und ich habe sie verletzt.“
Wie romantisch! Wir würden Fabrizio Miccoli gerne ob seiner ritterlichen Geste zujubeln, verzichten aber. Aus Respekt.
Hinweis: Dieser Text erschien erstmals im Oktober 2011.