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Später werden alle sagen, ich war dabei. In Wirk­lich­keit ist seine Ein­wechs­lung für die ersten der 35 000 Zuschauer eine will­kom­mene Unter­bre­chung, aus dem Sta­dion zu eilen, um den Stau nach Schluss­pfiff zu ver­meiden. Acht Minuten noch im Olym­pia­sta­dion von Bar­ce­lona, 1:0 führt Barça durch ein frühes Tor von Deco im Derby gegen Espanyol. Dieser Spie­ler­wechsel Barças dient nur noch dazu, eine halbe Minute zu ver­trö­deln, die Zeit bis zum Sieg her­un­ter­zu­zählen. Das Publikum kaut Son­nen­blu­men­kerne und grum­melt, wer kommt jetzt ins Spiel, wie heißt der, nie gehört, wieder einer aus der B‑Mannschaft, wie Verdú oder Javito, die der Trainer jüngst brachte – aber was ist denn das für einer? Das ist doch ein Kind!



Er trägt das Trikot mit der Rücken­nummer 30 aus der Hose. Noch einmal steckt er die langen schwarzen Haare hinter die Ohren, als könne er so die Ner­vo­sität weg­ste­cken. Er ist 17 Jahre jung und 1,69 Meter klein. Seine Wangen leuchten rot. Das Publikum wirft Hülsen von Son­nen­blu­men­kernen auf den Boden und mur­melt, hier pas­siert nichts mehr, Espanyol ist zu harmlos, Barça ver­waltet das nur noch, viel­leicht wird wenigs­tens noch eine nette Schlä­gerei zwi­schen den Espanyol-Hoo­li­gans und der Polizei geboten, wie in der Halb­zeit, ach komm, lass uns gehen. Er rennt auf das Spiel­feld, hinaus auf seine Posi­tion am rechten Flügel. Es ist der 16. Oktober 2004. Und in der Atmo­sphäre ent­steht ein neuer Klang.

Es ist ein lachendes Raunen aus zehn­tau­senden Kehlen, von Zuschauern, die gar nicht merken, dass sie lachen, dass sie raunen, dass sie den Mund nicht mehr zu bekommen. In der Zeit, die eine Meise für einen Flü­gel­schlag benö­tigt, hat Lionel Messi, der Junge mit der Nummer 30, zwei Ver­tei­diger Espan­yols aus­ge­drib­belt, die ihm doch gar keinen Manö­vrier­raum ließen. Und schon wieder senkt er den Kopf. Er rast auf Espan­yols Außen­ver­tei­diger Hugo Ibarra zu, Ibarras Fuß schnappt nach dem Ball, da ändert Messi in höchstem Tempo abrupt die Rich­tung. Der Ball bleibt eng an seinem Fuß, Ibarra reißt es ange­sichts Messis radi­kaler Dre­hung aus dem Gleich­ge­wicht, der schwebt schon dem Tor, als sei es die Sonne, ent­gegen. Es waren nur acht belang­lose letzte Spiel­mi­nuten, es bleibt beim 1:0 für Barça. Aber wer sagt noch, es sei nichts pas­siert? Leo Messi“, schreibt Spa­niens ange­se­henste Zei­tung El País“ am nächsten Morgen über das flüch­tige Debüt des 17-Jäh­rigen im Pro­fi­fuß­ball, spielt wie ein Engel.“

Die ein­zige Frage, die im Oktober 2004 nach diesen acht Minuten inter­es­siert, lautet: Wer ist dieser Messi? Toni Calvo lacht, als er die Frage am Telefon hört. Treffen wir uns morgen nach dem Trai­ning am Mini­sta­dion, sagt er. Ein ein­ziger Zuschauer beob­achtet am nächsten Morgen das Trai­ning der B‑Mannschaft des FC Bar­ce­lona, 18‑, 19-jäh­rige Jungen, denen man sagt, euch gehört die Zukunft. Leo Messi war für viele hier vier Jahre lang ein Mit­spieler, Toni Calvo und Leo Messi, der eine rechts, der andere links im Angriff, waren die besten Freunde. Moment“, sagt Calvo, als er schließ­lich nach dem Trai­ning des B‑Teams einen roten Plas­tik­stuhl auf der Tri­büne mit einem Taschen­tuch sauber wischt und sich nie­der­lässt, Freunde: auf dem Fuß­ball­platz. Leo ging nicht ins Kino oder sonst wohin.“ Er schien nicht einmal eine Jeans zu besitzen, sagt Calvo, der eine modisch zer­ris­sene Jeans trägt und einen fal­schen Bril­li­anten in jedem Ohr, die wilden Locken mit Gel gebän­digt. Leo Messi sah man nur im Trai­nings­anzug, weil ihn nur Fuß­ball inter­es­sierte.


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Den ganzen Text Die schüch­terne Offen­ba­rung – Früher dachten sie in Bar­ce­lona, Leo Messi sei stumm. Heute ist er der beste Fuß­baller der Welt, Mara­dona-Ver­gleiche sind den­noch unan­ge­bracht. Messi ist mehr“ von Ronald Reng gibt es in 11 FREUNDE #91, ab 28. Mai im Handel.