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Seite 2: „Da stehen mir meine letzten Haare zu Berge“

Blutet Ihnen das Herz, wenn Sie sehen, dass der Fuß­ball­tempel Mara­cana nicht mal vier Jahre nach dem WM-Finale 2014 eine Ruine ist?
So etwas würde in Eng­land oder Deutsch­land nie pas­sieren. Dass eine Stadt wie Rio de Janeiro es nicht schafft, eine solche Stätte zu erhalten, die extra zur WM reno­viert wurde, will auch mir nicht in den Kopf.

Die Fifa hat einen umfas­senden Anfor­de­rungs­ka­talog an die Aus­rich­ter­länder. Hätten Sie mit den Orga­ni­sa­toren nicht vorab ver­ein­baren können, dass so etwas im Sinne des Fuß­balls nie pas­sieren darf.
Wir haben Bra­si­lien 100 Mil­lionen Euro für Ent­wick­lungs­ar­beit über­wiesen. Da würden Sie auch nicht davon aus­gehen, dass dort ein Sta­dion so schnell kaputt geht.

Freuen Sie sich auf die Winter-WM in Katar?
Soll ich dar­über scherzen? Das tue ich nicht. Katar ist der klare Beweis, wie einer Ent­schei­dung für ein Sport­groß­ereignis eine direkte poli­ti­sche Inter­ven­tion vor­an­ge­gangen ist.

Das sagen Sie so ein­deutig?
Es gab im Vor­feld der Ver­gabe ein Mit­tag­essen des fran­zö­si­schen Prä­si­denten Nicolas Sar­kozy mit dem heu­tigen Emir, damals Kron­z­prinz, Tamim bin Hamad Al Thani, bei dem sie über die wirt­schaft­li­chen Bezie­hungen ihrer Länder, über die gigan­ti­schen Erd­gas­vor­kommen in Katar und über Flug­zeuge in Frank­reich spra­chen – und dar­über, dass es schön wäre, wenn die WM nach Katar käme. Und später lud Sar­kozy den Uefa-Prä­si­denten Michel Pla­tini zum Kaffee ein und machte ihm klar, dass es gut sei, wenn einige seiner Wahl­leute für Katar stimmen würden.

Was halten Sie von der Ein­füh­rung des Video­be­weises zur WM 2018?
Da stehen mir meine letzten Haare zu Berge.

Warum?
Es gab sehr, sehr viele Tests, bis wir ent­schieden haben, dass die Tor­li­ni­en­technik aus­ge­reift ist und wir sie ein­führen. Beim Video­be­weis war der Grund­ge­danke, dass ein Coach pro Halb­zeit wie im Tennis ein, zwei Szenen hin­ter­fragen kann. Aber dass es zur WM über Nacht so gedreht wird, dassdas Fern­sehen den Schieds­richter ersetzt, ent­setzt mich. Fern­sehen soll dem Fuß­ball Öffent­lich­keit ver­schaffen, ihn pro­moten, aber doch nicht Teil des Spiels sein.

Sie glauben nicht an den Erfolg?
Wie kann man etwas zulassen, das nicht aus­ge­reift ist? Bis­lang gibt es den Video­be­weis nur in sehr wenigen Ligen. Und jetzt geben sie ihn in die Welt­meis­ter­schaft, wo die meisten Spieler und Schieds­richter damit nicht ver­traut sind? Er wird die Struktur des Fuß­balls ver­än­dern. Es wird die skur­rile Situa­tion geben, dass ein Spieler ein wun­der­bares Tor erzielt und sich genau über­legt, ob er jubelt oder erst abwartet, was das Fern­sehen ent­scheidet. Und wenn es dann ein Tor ist, wird die Freude schon nicht mehr so groß sein.

Wie beur­teilen Sie die Arbeit Ihres Nach­fol­gers Gianni Infan­tino?
Ich möchte mich nicht zu seiner Arbeit äußern. Er macht seinen Job mit viel Selbst­be­wusst­sein und tut oft seine Mei­nung kund. Nach den Sta­tuten ist er aber ein reprä­sen­ta­tiver und nicht ein exe­ku­tiver Prä­si­dent, wie er nun sein Amt aus­führt.

Fehlt Ihnen die Macht, über die Sie so viele Jahre ver­fügten?
Am Anfang hat es mich schon getroffen. Dann hatte ich einen kleinen Zusam­men­bruch, der mir Zeit gab, übers Leben nach­zu­denken. Und nun bin ich 82 Jahre alt und noch etwas reifer geworden. Ob ich weiser bin, kann ich Ihnen nicht sagen.

Bei der WM 2022 wären Sie 86 Jahre alt.
Also noch ein junger Mann. Ich glaube, der da oben hat der­zeit anderes zu tun, als mich zu holen.