Seit 50 Jahren wird in den deutschen Stadien Woche für Woche die Geschichte der Bundesliga fortgeführt. Es wurden Siege gefeiert, Niederlagen bedauert, Tore geschossen und Chancen vergeben. 11FREUNDE lässt die Protagonisten aus fünf Jahrzehnten Bundesliga zu Wort kommen. Wir sprachen mit Horst Leupold über die Saison 1968/1969.
Horst Leupold, wie schafft man es, als Deutscher Meister abzusteigen?
In ein paar Worten ist das kaum zu sagen, es gibt so viele Gründe für den Abstieg.
Welche waren es denn vor allem?
Der Niedergang war ein schleichender Prozess. Trainer Max Merkel war eine dominante Persönlichkeit, um es mal vorsichtig auszudrücken. Im Vorjahr haben wir unglaublich gut gespielt und sind souverän Meister geworden. Aber Merkel hat die Meisterschaft für sich beansprucht. In seiner Auffassung war er allein Meister geworden, nicht wir gemeinsam. Nach der Meisterschaft gab es einen radikalen Umbruch.
Wie sah der aus?
In der Meistersaison hatten wir einen sehr kleinen Kader, wir bestritten die Spielzeit mit nur 15 Spielern. Er gab drei unserer wichtigsten Spieler ab. Franz Brungs, unseren Torjäger, Mittelfeldspieler Charly Ferschel und Gustl Starek, der ein ganz vorzüglicher Fußballer war. Ein Spielmacher, der selber auch die Tore machen konnte. Die drei waren absolute Leistungsträger. Ob Merkel sie aus finanziellen Gründen abgab oder was er sich sonst dabei gedacht hat, weiß ich bis heute nicht.
Welche Folgen hatten die Transfers?
Nachdem Merkel die drei Leistungsträger abgegeben hatte, verpflichtete er 13 neue Spieler. Er sagte, er wolle aus einem Bauernorchester ein Symphonieorchester machen. Die Spieler, die er holte, waren aber höchstens Ergänzungsspieler, manche hatten überhaupt keine Bundesligatauglichkeit. Wirkliche Verstärkungen waren nicht dabei, geschweige denn, dass man die drei Leistungsträger ersetzen konnte. Und dann war auch noch die Vorbereitung eine Katastrophe.
Wieso das?
Merkel setzte ein Trainingslager an, im Kleinwalsertal, wo wir ein sogenanntes Höhentraining absolvierten. Das hatte aber mit dem Höhentraining, das heutzutage auch ab und zu gemacht wird, aber absolut nichts zu tun. Merkel setzte brutale Bergläufe an, insbesondere ausgiebige Bergabläufe. Wir sind auf 2.500 Meter hochgefahren und mussten querfeldein wieder runterlaufen. Wir konnten im Anschluß praktisch keinen Sprint mehr anziehen, die Muskulatur war am Ende. Die Saison begann und wir waren in einer körperlich desolaten Verfassung.
Die Saison verlief von Beginn an denkbar schlecht.
Ja, teilweise standen aus der Meistermannschaft nur noch drei Spieler auf dem Platz, der Rest war aufgefüllt mit Merkels sogenannten Verstärkungen. Wir haben überhaupt keine Chance gehabt, in der Liga Fuß zu fassen. Und mit jedem verlorenen Spiel wurde es schlimmer. Merkel konnte mit den Niederlagen nicht umgehen. Es war irgendwann brutal schwer, überhaupt noch mit ihm auszukommen.
Merkel wurde erst in der Rückrunde entlassen. Zu spät?
Der Club hat ihn sehr lange gewähren lassen. Damals warf man den Trainer nicht gleich raus, außerdem war Merkel wie gesagt eine sehr dominante Persönlichkeit, es hat sich lange niemand an ihn rangetraut. Als es aber immer schlimmer mit ihm wurde, war er irgendwann nicht mehr zu halten. Er wurde entlassen und der Club machte seinen Assistenten Robert Körner zum Chef. Ein großer Fehler, denn Körner war Merkel noch sehr verbunden und hat auch nach dessen Entlassung jede Entscheidung mit ihm abgesprochen. Der Erfolg blieb natürlich aus. Körner musste auch gehen und es kam Kuno Klötzer. Den Schnitt hätte man gleich machen müssen.
Wurde es unter Klötzer besser?
Unter Klötzer spielten wir einige ganz gute Spiele in der Rückrunde und schafften wieder den Anschluss. Wir hätten es aus eigener Kraft schaffen können. Am vorletzten Spieltag trafen wir dann auf Dortmund. Mit einem Sieg wären wir am BVB vorbeigezogen und hätten die Abstiegsränge verlassen. Wir spielten aber nur 2:2.
Es gab Gerüchte, dass Torhüter Jürgen Rynio, der für die neue Saison bereits in Dortmund unterschrieben hatte, absichtlich zweimal patzte.
Wir hatten zwei Spieler im Team, deren Wechsel zu Dortmund bereits beschlossen war, unter anderem Jürgen Rynio. Bei beiden Gegentoren sah er unglücklich aus, um es mal vorsichtig zu formulieren. Es ist schwer zu sagen, ob er die Schüsse halten muss oder nicht. Durch den Vertrag, den er beim BVB bereits unterschrieben hatte, hatte das natürlich ein Geschmäckle.
Am letzten Spieltag ging es zum ebenfalls abstiegsbedrohten 1. FC Köln. War dort nichts mehr zu retten?
Wir fuhren nach Köln und wussten, dass wir gewinnen müssen, damit wir die Klasse halten und Köln absteigt. Die Kölner haben sich das aber nicht nehmen lassen und auf eigenem Platz souverän gewonnen. So sind wir als Meister abgestiegen.
War das Ihre dunkelste Stunde?
Sicher. Ich bin seit der Jugend im Verein. Es war eine große Sache, Meister zu werden und nur ein Jahr später steht man am Abgrund. Wir hatten bis zum letzten Spiel noch Hoffnung, danach brach eine Welt für mich zusammen. Wenn man so sehr mit dem Verein verwachsen ist, tut das unglaublich weh.
Haben Sie inzwischen Ihren Frieden damit gemacht?
Ja. Ich bin immer beim Club geblieben, auch in der zweiten Liga. Ich habe meine ganze Karriere hier verbracht und bin auch heute noch sehr präsent, im Vereinsbeirat zum Beispiel. Der Club ist einfach mein Verein.