Bosnien-Herzegowina feiert WM-Premiere. Nationalspieler Sejad Salihovic sprach mit uns über seine anderen ersten Male.
Meine erste Rückkehr
Meine Familie musste vor dem Balkankrieg fliehen, als ich sieben Jahre alt war. Als Kind habe ich all das Leid um mich herum zwar nicht realisieren können, aber für meine Eltern war es sehr schlimm. Mein Vater hatte hart gearbeitet, um uns ein Haus zu bauen, doch dann kamen eines Tages Soldaten und vertrieben uns. Über Slowenien und Österreich kamen wir nach Berlin.
Erst als ich 20 Jahre alt war, bin ich in mein Heimatdorf Gornji Šepak zurückgekehrt. Wir spielten mit der U21 von Bosnien in der Nähe und hatten zwei Tage frei. Also habe ich mich entschieden, die Spuren meiner Vergangenheit zu erkunden. Alles war mir sehr fremd, ich fand nicht einmal die Straße wieder, in der unser Haus gestanden hatte. Doch ich merkte den Menschen an, was sie durchgemacht hatten. Das hat mich berührt.
Mein erstes Länderspiel
Ich hatte schon einige Male für die U21 von Bosnien gespielt, als mich der damalige Nationaltrainer Fuad Muzurovic im Oktober 2007 das erste Mal für die A‑Mannschaft berief. Meine Eltern waren stolz, dass ich für unser Land spielen würde. Ich hingegen war richtig aufgeregt. Im Spiel gegen Griechenland saß ich erst einmal nur auf der Bank.
Beim Warmmachen schaute ich immer wieder zum Trainer, zehn Minuten vor Schluss rief er mich dann endlich zu sich und wechselte mich für Zvjezdan Misimovic ein. Leider stand es da schon 3:1 für die Griechen, ich konnte dem Spiel keine entscheidende Wendung mehr geben. Seitdem bin ich Teil dieser Mannschaft.
Mein erstes Tor
Freistöße haben mich immer fasziniert, auch weil sie spielentscheidend sein können. Deswegen habe ich hart an meiner Schusstechnik gearbeitet und tue es bis heute. Bei Hertha BSC hat mich mein erster Profitrainer Falko Götz als Neuling sogar zum etatmäßigen Freistoßschützen ernannt. Das hat Marcelinho damals gar nicht gefallen. Am 9. September 2009 legte ich mir wieder einen Ball zum Freistoß hin.
Wir spielten in der WM-Qualifikation gegen die Türkei, träumten vom Turnier in Südafrika und lagen mit 0:1 hinten. Die Zuschauer im Stadion von Zenica wurden ganz still. Ich lief an, traf den Ball perfekt, er schlug oben rechts in den Winkel ein. 1:1, die Fans auf den Rängen lagen sich in den Armen. Am Ende konnten wir uns mit diesem Ergebnis den zweiten Platz in der Quali-Gruppe sichern. Leider scheiterten wir später in den Play-offs an Portugal und mussten die WM im Fernsehen verfolgen.
Meine erste WM
Nach der Niederlage gegen Portugal war die Enttäuschung riesig. Aber dieser Rückschlag schweißte uns als Mannschaft zusammen. Wir schworen uns, beim nächsten Mal die Chance mit aller Macht zu ergreifen. Das entscheidende Qualifikationsspiel gegen Litauen war jedoch ein echter Kampf. Man spürte, dass die Litauer unseren Traum um jeden Preis zerstören wollten.
In der 68. Minute erzielte Vedad Ibisevic das erlösende 1:0, es brachen alle Dämme. Ich habe direkt nach dem Abpfiff mit meinen Eltern telefoniert, meine Mutter weinte vor Freude. Im Anschluss flogen wir nach Sarajevo. Im Flugzeug trugen manche Spieler Sombreros, es wurde getrunken, getanzt, und einige sangen bis zur Ankunft durch. Eine unglaubliche Party, die niemand je vergessen wird.
Auch wenn ich an den Empfang in unserer Heimat denke, bekomme ich eine Gänsehaut. Nie zuvor habe ich so viele Menschen so glücklich gesehen. Diese Qualifikation bedeutet sehr viel für unser junges Land. Die Menschen haben einen Krieg überlebt und schreckliche Dinge erfahren müssen. Ihnen wurden Verwandte, Freunde und ihr Eigentum genommen. Deswegen ist es schön, dass unsere Mannschaft ihnen ein wenig Freude zurückbringen kann. Doch in der Liebe der Menschen steckt auch eine große Verantwortung für uns.
Mein erstes WM-Spiel
Dass wir unser erstes Spiel bei einer Weltmeisterschaft im legendären Maracanã bestreiten würden, klang wie ein ferner Traum. Und dazu auch noch gegen einen WM-Favoriten: Argentinien. Ein einmaliges Erlebnis für jeden von uns. Aber wir sind nicht nach Brasilien gefahren, um als freundlicher Neuling die Punkte abzuliefern.
Wir haben eine gute Mannschaft und wollen die K.o‑Runde erreichen. Von da an ist alles möglich. Ich muss auch nicht unbedingt ein Tor schießen bei diesem Turnier. Wenn wir am Ende im WM-Finale sechs Eigentore machen und trotzdem gewinnen, wäre ich auch zufrieden. (Lacht.)