In Hamburg als Fehleinkauf abgestempelt, bei Hertha BSC zum absoluten Glücksgriff mutiert. Obwohl Per Skjelbred erst 26 Jahre alt ist, hat er bereits zehn Jahre Profifußball in den Beinen. Wir sprachen mit ihm über das Tanzen, ein Probetraining beim FC Liverpool und die Blutgrätschen seiner Frau.
Per Skjelbred, ist an Ihnen ein Tänzer verloren gegangen?
Ich war kein Profitänzer, aber es stimmt, ich habe als Kind sehr viel getanzt. Ballett und vor allem HipHop.
Profitieren Sie als Fußballer von Ihrer früheren Leidenschaft?
Vom Tanzen habe ich viel zurückbekommen: Balance, Schnelligkeit und die ganzen Bewegungsabläufe. Bis ich 14 Jahre alt war, habe ich außerdem Handball gespielt. Da gibt es viele schnelle, kurze Bewegungen. Ich glaube, das hat mir beim Fußball auch sehr geholfen.
Mit 14 Jahren haben Sie an der norwegischen Casting-Show „Der Traum vom Profifußball“ teilgenommen. Was hat Sie dazu bewegt?
Das kam ziemlich ungeplant. Für die Show wurden die besten 40 Nachwuchsspieler aller norwegischen Regionen ausgewählt. Ich habe damals in einer Trondheimer Junioren-Auswahl gespielt und wurde so automatisch Teilnehmer. Das Ziel war es, das beste Nachwuchsteam des Landes zu finden.
Sie kamen unter die letzten Zwölf der Casting-Show.
Nicht nur das. Es gab zwei Spieler, die eine extra Auszeichnung erhalten haben, einer davon war ich. Als Preis gab es ein dreiwöchiges Probetraining beim FC Liverpool.
Wie lief es für Sie in Liverpool?
Ich war wahnsinnig nervös, denn ich hatte bis dahin hauptsächlich nur aus Spaß mit meinen Freunden Fußball gespielt. Ich dachte früher nie an eine Profikarriere – und dann trainiere ich plötzlich an der Anfield Road! Da habe ich zum ersten Mal gespürt, dass ich im Fußball etwas erreichen kann.
Der FC Liverpool hat Ihnen im Anschluss sogar einen Vertrag als Jugendspieler angeboten. Warum haben Sie abgelehnt?
Ich war zu diesem Zeitpunkt gerade 14 Jahre alt, da wollte ich meine Familie und meine Freunde noch nicht verlassen. Das Angebot kam für mich einfach ein bisschen zu früh.
Sie haben Ihre Absage nie bereut?
Nein, denn zur gleichen Zeit kam Rosenborg Trondheim auf mich zu und hat mir das Angebot gemacht, für die U19/U20 zu spielen. Nach einem Jahr habe ich es in die A‑Mannschaft geschafft und kämpfte als 16-Jähriger mit 35 Jahre alten Männern um einen Platz in der Startelf.
War es schwierig sich als junger Spieler zu behaupten?
Da gab es keine Probleme. Ich habe mich in jedem Training reingehauen. Nach ein paar Monaten haben meine Mitspieler gesehen: Das ist ein guter Junge, der kann Fußball spielen. So habe ich mir den Respekt erarbeitet. Natürlich gab es im Training ein paar Situationen, in denen es etwas härter zur Sache ging. Aber sich dann zu behaupten, hilft einem weiter. Außerdem ist der Verein Rosenborg Trondheim wie eine Familie.
Weil Sie so früh in die erste Mannschaft gerückt sind, halten Sie auch einen unschönen Rekord. Sie sind der jüngste Spieler der norwegischen Liga mit einem Platzverweis. Dabei sind Sie ansonsten ein sehr fairer Spieler. Ärgert Sie das?
Ich kann mich noch gut an das Spiel erinnern. Es ging im Derby gegen Molde FK, ein klassisches Hassduell: Wir hassen Molde, und Molde hasst Rosenberg. Ich kassierte früh eine gelbe Karte und geriet plötzlich in einen Zweikampf mit einem Stürmer von Molde, der mit leider entwischte. Also habe ich ihn festgehalten: Gelb-Rot. Und dann haben wir das Spiel auch noch verloren. Da war ich für kurze Zeit nicht sehr beliebt. Für einen jungen Spieler wie mich damals eine harte Erfahrung.
Apropos Zweikampf: Stimmt es, dass Sie Ihre Frau über eine Grätsche kennengelernt haben?
Dazu muss ich etwas ausholen: Wir waren auf dem gleichen Gymnasium und sind immer gemeinsam mit dem Bus gefahren. Schon da wusste ich: Das ist meine Frau. Doch ich traute mich nicht, sie anzusprechen. Etwas später standen wir uns plötzlich in meiner Fußballschule auf dem Platz gegenüber. Ich als Stürmer, sie als Verteidigerin.
Und statt eines Candle-Light-Dinners gab es Stollen aufs Schienbein?
Ich dachte, ich sei viel besser und schneller als sie, doch ehe ich mich versah, grätschte sie mich von den Beinen. Das war unser erster richtiger Kontakt. (lacht)
Wurde sie vom Platz gestellt?
Normalerweise ein ganz klares Foul. Aber ich war Gentleman und habe gesagt: „Bitte, hier hast du den Ball!“ Mit dem Zweikampf zieht sie mich übrigens heute noch auf. Wenn das Gespräch auf Fußball kommt, sagt sie einfach: „Ich habe den Ball gewonnen.“ Das werde ich wohl nicht mehr los.
Sie wohnen heute gemeinsam in Berlin, spielen aber nur auf Leihbasis bei Hertha BSC. Wie sieht die Zukunft aus?
Da gibt es nichts Neues. Wir würden gern hier bleiben.
Es war zu vernehmen, dass Sie nicht genau wissen, ob Ihr Vertrag beim HSV überhaupt für die Zweite Liga gültig ist.
Ich habe den Vertrag mittlerweile gelesen. Er ist auch für die zweite Liga gültig. Aber ich bin hier richtig zufrieden. Es ist eine richtig schöne Stadt. Meine Familie fühlt sich wohl. Was will man mehr?
Früher wären Sie auch gerne nach England gewechselt. Ihr Lieblingsklub war immer Newcastle United. Was faszinierte Sie so an der Mannschaft?
Die hatten früher einfach eine gute Mannschaft. Mit Alan Shearer, Les Ferdinand und David Ginola. Außerdem hatten sie ähnliche Trikots wie mein Heimatverein Rosenborg: Schwarz-weiß gestreift.
Ist England denn noch ein Traum?
In Norwegen steht die Premier League über allem. Das ist auch heute noch so. Die wenigsten Leute können etwas mit der Bundesliga anfangen.
Statt zu Newcastle United sind Sie im Sommer 2011 aber genau dorthin. Wie sind Sie in Hamburg gelandet?
Mein Berater kam mit dem Angebot des HSV auf mich zu, und ich habe gesagt: „Warum nicht?“ Ich hatte neun Jahre bei Rosenborg gespielt und war in Norwegen etwas satt. Ich hatte alles gewonnen, Champions League gespielt und kannte jeden Menschen im Verein. Es war einfach an der Zeit, etwas Neues zu versuchen.
Kannten Sie denn die Bundesliga?
Ich habe mit meinem Vater immer viel Fußball geschaut, auch aus Deutschland. Ich wusste daher, dass die Bundesliga eine der besten Ligen der Welt ist. Hier wird seriös gearbeitet.
In Hamburg konnten Sie sich nicht durchsetzen. Woran lag das?
Es war schwer. Ich kam aus Norwegen, alles war neu, und dann wechseln andauernd die Trainer. Die haben zu mir gesagt: „Ich kenne Dich nicht“. Dann ist man erst mal der letzte Mann in der Mannschaft.
An der Sprache kann es kaum gelegen haben. Sie sprechen ein perfektes Deutsch.
Anfangs lief es allerdings gar nicht gut. Ich war mit ein paar anderen Jungs vom HSV in der Sprachschule, und die haben sich mit der Sprache sehr schwer getan. Wir mussten täglich Kapitel eins wiederholen: „Guten Tag!“ Am Ende sind wir vielleicht bis Seite zehn gekommen. (lacht) Ich habe dann für mich gelernt.
Zu Beginn dieser Saison kam das Angebot von Hertha BSC. Was wussten Sie vom Verein?
Die Stadt Berlin ist in Norwegen natürlich allen ein Begriff. Aber auch die Hertha kennt man bei uns. Das liegt mit Sicherheit vor allem daran, dass Kjetil Rekdal und ein paar andere Norweger hier gespielt haben.
Eigentlich hätten Sie vor der Saison davon ausgehen müssen, dass Sie mit Hertha gegen den Abstieg spielen. War das kein Wagnis?
Das ist immer das Problem: Im Fußball weiß man gar nichts. Es hätte auch passieren können, dass ich hier das ganze Jahr auf der Bank sitze. Aber in Hamburg hatte ich keine Chance mehr, also wollte ich es versuchen.
Heute ist vom Abstieg längst keine Rede mehr. Warum läuft es so gut?
Die Mannschaft zieht mit, gibt immer 100 Prozent. Wir hatten auch ein bisschen Glück, dass es gleich zu Beginn so gut lief. Das gibt Energie. Und der Trainer ist richtig gut.
Was ist die Stärke von Jos Luhukay?
Zum einen ist er gut auf dem Trainingsplatz. Jeder Tag, jede Einheit ist für ihn wichtig. Und er hat eine Aura. Wenn er was sagt, dann will man das machen – egal was es kostet.
Die Saison läuft fast optimal bisher. Was ist am Ende möglich?
Wir müssen realistisch sein. Wenn der 34. Spieltag gespielt ist, schauen wir auf die Tabelle und sagen dann: War gut oder nicht so gut. Wir müssen von Spiel zu Spiel denken.
Ach, kommen Sie! Motiviert es nicht ungemein, die Europa League erreichen zu können?
Klar. Wenn wir drei, vier Spieltage vor Schluss in der gleichen Position sind wie heute, dann muss man versuchen, die Chance zu nutzen und die letzten Kraftreserven zu mobilisieren. Man will immer in der Position sein, in der es darum geht, etwas zu gewinnen. Wenn Du im Mittelfeld stehst und es geht um nichts mehr, dann sind die letzten paar Spiele immer komisch.