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Er sang mich in den Schlaf. Das ist meine erste Erin­ne­rung an meinen Vater. Er hatte, objektiv gesehen, keine aus­ge­spro­chen schöne Gesangs­stimme, sie war etwas knarzig und schief, aber das war mir voll­kommen egal. Wenn Pops an meinem Bett saß und sang, wusste ich, dass ich in Sicher­heit war.

Dass er ein berühmter Fuß­baller war, viel­leicht der berühm­teste seiner Zeit, war mir zunächst über­haupt nicht klar. Ich bin 1939 zur Welt gekommen, kurz vor Beginn des Krieges, und dachte, er sei bei der Luft­waffe. Krieg, die Angst vor Bomben und mein Pops in Uni­form – das war für mich Alltag.

Nicht mal um seine Medaillen scherte er sich

Da hatte er schon eine große Kar­riere hinter sich, die der Krieg jäh unter­bro­chen hatte, und die Leute ver­ehrten ihn noch immer als Zau­berer des Dribb­lings“. 1938, als er Stoke City ver­lassen wollte, um mit einem grö­ßeren Verein einen Titel zu gewinnen, demons­trierten tau­sende Fans auf der Straße für seinen Ver­bleib. Aber das hat er selbst nie erwähnt, und wenn das Gespräch darauf kam, hat er nur abge­winkt und ver­sucht, es her­un­ter­zu­spielen. Nicht einmal um seine Medaillen scherte er sich. Nach seinem Tod im Jahr 2000 fanden wir sie in einer kleinen Papp­schachtel auf dem Spei­cher. Er hatte sie hin­ein­ge­legt und nie wieder ange­schaut.

Ich kannte also nur den beschei­denen Mann, der froh war, wenn er im Kreise seiner Familie war, und der sonn­tags mit mir, meinem Bruder Stan Junior und den Nach­bars­kin­dern im Garten Fuß­ball spielte. Ich durfte Mit­tel­stür­merin sein, er selbst war natür­lich der Rechts­außen. Ent­lang der Hecke sah man die Bahn, die er in den Rasen getram­pelt hatte. Noch heute muss ich lächeln, wenn ich daran denke, wie viel Spaß wir damals hatten.

Er wurde auch ein Fern­seh­star

Erst als der Liga­be­trieb 1947 wieder auf­ge­nommen wurde und für ihn mit über 30 Jahren in Black­pool der zweite Teil seiner Kar­riere anbrach, däm­merte mir, wer er wirk­lich war: ein Mann, der die Massen begeis­terte. Ich bin froh, dass er so lange aktiv war – erst 1965 been­dete er im Alter von 50 Jahren seine Lauf­bahn. So hatte ich auch als erwach­sene Frau die Gele­gen­heit, ihn spielen zu sehen, wäh­rend andere Fuß­baller auf­hören, wenn ihre Kinder noch klein sind. Sogar seine Enkel haben ihn noch als Profi erlebt! Im Gegen­satz zu anderen Vor­kriegs­be­rühmt­heiten wurde er auch ein Fern­seh­star.

Sein größtes Spiel, das FA-Cup-Finale 1953 zwi­schen Black­pool und Bolton, wurde live über­tragen. Black­pool lag bis zur 70. Minute 1:3 zurück, doch dann drehte mein Vater auf: Mit drei genialen Vor­lagen, die sein kon­ge­nialer Partner Stan Mor­tensen ver­wan­delte, bog er das Spiel um. 4:3! Sein erster großer Titel, und das im Alter von 38 Jahren! Wenn ich mir heute die Auf­zeich­nung dieses Spiels anschaue, kriege ich noch immer eine Gän­se­haut. Das Spiel ist als Matthews-Finale“ in die Geschichte ein­ge­gangen. Doch Pops wurde nicht müde zu betonen, dass es ein Mor­tensen-Finale“ gewesen sei. Schließ­lich habe ja Stan die Tore geschossen und nicht er.

Den­noch konnte er nicht ver­hin­dern, dass dieser Tri­umph ihn end­gültig zum Super­star machte. Die Jour­na­listen bela­gerten fortan unser Haus. Meine Mutter brachte ihnen Tee und Plätz­chen hinaus, um sie freund­lich zu stimmen, doch mein Vater ant­wor­tete auf die meisten Fragen: kein Kom­mentar!“ Es behagte ihm nicht, etwas Beson­deres zu sein. Wenn wir auf der Pro­me­nade von Black­pool spa­zieren gingen, trug er stets Hut und Son­nen­brille, und wenn er am Frei­tag­abend mit uns im Kino seine geliebten Cow­boy­filme schaute, betraten wir den Saal erst, wenn das Licht schon erlo­schen war, und ver­ließen ihn, bevor es wieder hell wurde.

Dabei ging es ihm auch darum, dass wir eine nor­male Kind­heit ver­bringen konnten und dass wir nicht in Ehr­furcht vor ihm erstarrten. Er wollte ein­fach nur unser Vater sein, unser Pops – und das war er. Selbst bei den wich­tigsten Spielen vergaß er nicht, uns auf der Tri­büne das geheime Hand­zei­chen zu geben, den Kreis aus Daumen und Zei­ge­finger, den er auf Bauch­höhe hielt. Es hieß: Ich denke an euch, ich liebe euch.“

1956 wurde er Vize­meister und Europas Fuß­baller des Jahres – mit 41 Jahren! Mit 46 kehrte er noch einmal nach Stoke zurück, wo nur sei­net­wegen plötz­lich 20 000 statt 8000 Men­schen ins Sta­dion kamen, und führte die Pot­ters“ aus der zweiten in die erste Liga. Um sich fit zu halten, betrieb er einen großen Auf­wand: Jeden Morgen um sieben Uhr, noch vor dem offi­zi­ellen Trai­ning, ging er laufen und unter­warf sich einer strengen Diät. Wahr­schein­lich stand er, was seine Lebens­ge­wohn­heiten anbe­langt, den Profis von heute in nichts nach.

Er bleibt mein Pops

Als er 1965 end­gültig auf­hörte, tat er das nicht, weil er müde war, son­dern weil er nicht erleben wollte, wie es ist, lang­samer zu sein als die Ver­tei­diger. Zu seinem Abschieds­spiel in Stoke kamen 35 000 Men­schen, noch im selben Jahr wurde er von unserer Königin zum Ritter geschlagen. Seither nennen ihn alle Sir“.

Für mich bleibt er mein Pops, der mich in den Schlaf sang. Noch heute höre ich vorm Ein­schlafen seine knar­zige, schiefe Stimme. Ich kann mir keine schö­nere vor­stellen.