Heute bestreitet Rafael van der Vaart sein Abschiedsspiel in Hamburg. Einst verzauberte er die Stadt mit seinen Distanzschüssen. Insbesondere einen jungen Mann aus Eppendorf.
Trotzdem: Ab jenem Tag im Sommer 2005 verband Rafael und mich ein unsichtbares Band. Er, so stellte ich es mir vor, würde Eppendorf nun durchleben wie ich früher: Schwarzfahren im 114er Bus, unerlaubt vom Beckenrand des Holthusenbads springen, blöd Rumlungern am Eppendorfer Baum. Vermutlich würden wir sogar demnächst gemeinsam Abitur machen und unser erstes Bier in der Halligalli-Kneipe „Jablonksy“ am Eppendorfer Marktplatz trinken. Einem Laden für lichtscheue Männer mittleren Alters und einem Wirt, der ständig Konfetti in die Luft warf, weil er Silvester so toll fand.
Rafi und ich waren kurz davor, beste Freunde zu werden. So sah ich das.
Denn auch fußballerisch kamen wir uns näher. Irgendwann meldete er seinen Sohn beim Hamburger Traditionsverein SC Victoria an, wo ich in den Achtzigern meine ersten Fußballspiele gesehen hatte. Ich malte mir dazu aus, wie er heimlich Extraschichten auf dem Ascheplatz in der Hegestraße schob, wo ich als Jugendlicher so oft gegrätscht bin, dass ich heute noch kleine rote Hegeplatz-Sandsteine im Knie trage.
Dort also trainierte van der Vaart, ich war mir sicher, am späten Abend, wenn niemand mehr unterwegs war, seine tollen Schüsse und Dribblings. Das Resultat präsentierte er dann in den Bundesligastadien. So wie am 29. April 2007, als er mit einem sensationellen Treffer aus 20 Metern für den letzten HSV-Sieg beim FC Bayern sorgte.
Erst ein Foto mit Valencia-Trikot, dann ein Hattrick gegen Gijon
Van der Vaart, da gab es keinen Zweifel, war der neue Kopf, ein Zehner, ein Magier. Vielleicht der beste Spielmacher, den der HSV seit Miroslaw Okonski gehabt hatte. Denn er schoss nicht nur schöne Tore, er machte auch wichtige. Im September 2005 verwandelte er Sekunden vor dem Abpfiff beim FC Kopenhagen einen Elfmeter und hielt den HSV dadurch in der Europa League. 2007 traf er in sieben Spielen in Folge. Das hatte es beim HSV seit Uwe Seeler nicht mehr gegeben.
Gelegentlich spielte van der Vaart mit dem Gedanken, Hamburg und Eppendorf zu verlassen. So wie auch ich. Vielleicht Spanien, dachte er 2007 und bewarb sich erfolglos beim FC Valencia. (Fun Fact: Dafür ließ er sich sogar mit einem Trikot des Klubs fotografieren). Vielleicht München, dachte ich und bewarb mich erfolglos bei einer Redaktion. (Fun fact: Dafür ließ ich mich nicht mit einem T‑Shirt der Redaktion fotografieren).
Ein Jahr später war es schließlich soweit. Wir machten beide die Biege. Ich ging nach Berlin, van der Vaart nach Madrid. Eppendorf im Herzen, die große Welt vor Augen. Van der Vaart zauberte anfangs auch bei Real. Er traf bei seinem Debüt gegen Numancia und machte in seinem dritten Spiel einen Hattrick gegen Gijon. Am Ende des Jahres wurde er zum Weltfußballer nominiert. Danach ging es weiter zum Londoner Verein Tottenham, und mit der holländischen Nationalelf erreichte er das WM-Endspiel. (An dieser Stelle gehen unsere Wege auseinander, wenn auch nur leicht, denn immerhin zog ich zweimal in das Trostrunden-Finale eines lokalen Tennisturniers ein).