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Ab heute erhält­lich!

QUADRAT 11 fuer Hochformate 7

Die Bio­gra­phie von Marco Russ ist ab heute im Handel erhält­lich.

Der 18. Mai 2016. Noch einen Tag bis zum ersten Rele­ga­ti­ons­spiel gegen den 1. FC Nürn­berg. Nach der letzten Trai­nings­ein­heit nahm mich Niko Kovac zur Seite: Marco, die NADA hat uns gerade dar­über infor­miert, dass bei dir ein posi­tiver Doping­be­fund vor­liegt.“ What the fuck?! Dreimal war ich in den ver­gan­genen Wochen kon­trol­liert worden, hatte mir mitten im Abstiegs­kampf aber nichts dabei gedacht. Hek­tisch ver­suchte ich jetzt, irgend­eine Erklä­rung zu finden. Hatte ich den Kids zu Hause Hus­ten­saft ver­ab­reicht und anschlie­ßend den Löffel abge­leckt, ohne zu beachten, dass im Saft ein ver­bo­tener Wirk­stoff ent­halten war? War irgendwo irgendwas im Essen gewesen? Selbst wenn ich hätte dopen wollen – ich hätte gar nicht gewusst, wo ich das Zeug her­be­kommen sollte! Kurz darauf wusste ich mehr. Bei meinen Kon­trollen war ein deut­lich erhöhter Beta-HCG-Wert fest­ge­stellt worden. Bei Frauen kann er auf eine Schwan­ger­schaft hin­deuten. Bei Män­nern hin­gegen kann er ein Hin­weis auf Hoden­krebs sein.

Hoden­krebs? Mein Gott, was pas­sierte denn hier? In Win­des­eile wurde ich zum Uro­logen gebracht. Der erfah­rene Medi­ziner griff mir zwi­schen die Beine und sagte die Worte, auf die mich keine Trai­nings­ein­heit der Welt hätte vor­be­reiten können: Es tut mir leid, das zu sagen, aber: Sie haben Hoden­krebs.“ Krebs? Ich? Wie war das mög­lich? Ich fühlte mich doch topfit, lebte und ernährte mich bewusst. Außerdem wurde ich regel­mäßig unter­sucht und hatte zum Zeit­punkt der Dia­gnose kei­nerlei Beschwerden. Und trotzdem war ich nun aus hei­terem Himmel mit einer womög­lich töd­li­chen Krank­heit kon­fron­tiert.

Es tut mir leid, das zu sagen, aber: Sie haben Hoden­krebs.“

Im Mann­schafts­hotel ging der Alp­traum weiter. Trotz der Dia­gnose hatte die Staats­an­walt­schaft ver­an­lasst, Woh­nung und Spind des ver­meint­li­chen Doping­sün­ders durch­su­chen zu lassen. Natür­lich ohne etwas zu finden. Dem ganzen Wahn­sinn zum Trotz ent­schied ich mich, mein Team gegen Nürn­berg auf den Platz zu führen. Krebs hin oder her. Erst mal galt es, die Ein­tracht in der Bun­des­liga zu halten. Die Krank­heit würde ich auch danach noch besiegen können.

51 000 Zuschauer waren einen Tag später im Wald­sta­dion. Und alle hatten sie längst von meiner Dia­gnose erfahren. Als ich den Rasen betrat, ent­rollten sie in der Kurve ein Plakat. Darauf stand in dicken Let­tern: KÄMPFEN UND SIEGEN, MARCO. Da musste selbst ich Eis­klotz kurz schlu­cken. Und spä­tes­tens, als die Fans vor dem Anstoß beim Ver­lesen der Mann­schafts­auf­stel­lung bei jedem Vor­namen meinen Nach­namen riefen, lief es mir eis­kalt den Rücken runter. Doch ich konnte, ich durfte mich jetzt nicht ablenken lassen. Ich war nicht krebs­krank, ich war Marco Russ, Ver­tei­diger und Kapitän von Ein­tracht Frank­furt, und hatte jetzt ein Spiel zu gewinnen!

Doping­be­fund, Krebs­dia­gnose, Eigentor

Das Ende vom Lied: 1:1‑Unentschieden, ver­ur­sacht durch ein Eigentor von mir. Die fünfte Gelbe Karte hatte es noch oben­drauf gegeben. Doping­be­fund, Krebs­dia­gnose, Eigentor. Wow. Als der Schluss­pfiff ertönte, holte ich meine Kinder zu mir auf den Rasen und ging mit ihnen Hand und Hand zu unseren Fans. Nicht um mich zu ver­ab­schieden. Son­dern um ihnen Danke“ zu sagen und eine Bot­schaft zu über­mit­teln: Wir sehen uns wieder. Irgend­wann. Dann war die Saison 2015/16 für mich beendet.

Am Tag des Rück­spiels lag ich bereits auf dem OP-Tisch. Inner­halb von 45 Minuten ent­fernte der Chirurg meinen rechten Hoden samt Samen­strang und setzte mir eine Pro­these aus Silikon ein. Mit­tags schrieb ich Niko Kovac eine Nach­richt: OP gut ver­laufen, muss noch auf Ergeb­nisse warten, aber mir geht es gut. Jetzt hoffe ich, dass wir in der Ersten Liga bleiben!“ Die Ergeb­nisse meiner OP waren dann etwas ernüch­ternd. Offenbar waren die Krebs­zellen bereits im Samen­leiter nach oben gewan­dert, eine Che­mo­the­rapie war nun unaus­weich­lich. Zum Glück gab es den Fuß­ball, der mich an diesem Tag auf andere Gedanken brachte. In einem wahren Krimi erlöste uns Haris Seferovic nach 66 Minuten mit seinem Tor zum 1:0. Wenn ich es wieder auf den Platz schaffen würde, dann als Spieler einer Erst­li­ga­mann­schaft!

Bow­ling­kugel mit Stolz

Knapp einen Monat später lag ich in einem Kran­ken­haus­bett und ließ mir abwech­selnd Koch­salz­lö­sungen und Che­mo­prä­pa­rate in den Körper pumpen. Bis auf die durch den Zell­wachs­tums­hemmer Cis­platin aus­ge­löste Übel­keit hatte ich nur wenig Beschwerden. Die 13 Kilo Über­ge­wicht durch die Koch­salz­lö­sungen mal aus­ge­nommen. Ganz ehr­lich: Die Chemo hatte ich mir deut­lich schlimmer vor­ge­stellt. Doch es war ja noch nicht vorbei. Um auf Nummer sicher zu gehen, sollte ich noch eine zweite Che­mo­the­rapie über mich ergehen lassen.

Vier Tage vor meinem nächsten Kran­ken­haus­auf­ent­halt saß ich im Büro meines Bank­be­ra­ters. Wäh­rend des Gesprächs fuhr ich mir bei­läufig durch die Haare – und staunte nicht schlecht, als ich plötz­lich ein Büschel Haupt­haar in meiner Hand ent­deckte. Oha“, dachte ich, jetzt geht’s damit also doch noch los.“ Direkt nach dem Termin bei der Bank mar­schierte ich zum Fri­seur: Einmal kom­plett blank, bitte!“ Von da an setzte ich jeden Morgen den Nass­ra­sierer an und trug die Bow­ling­kugel mit Stolz. Nicht nur auf dem Kopf, überall am Körper fielen mir jetzt die Haare aus. Was mich nicht weiter störte. Nur die Tren­nung von meinem geliebten Bart fiel mir wahn­sinnig schwer.