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Es war leicht, Walter Zenga nicht zu mögen. Den meisten Fuß­ball­fans hier­zu­lande begeg­nete der ita­lie­ni­sche Tor­wart mit dem so deut­schen Vor­namen zum ersten Mal beim Eröff­nungs­spiel der EM 1988 zwi­schen der DFB-Aus­wahl und den Azzurri. Ein Blick auf Zengas Mar­ken­zei­chen – das auf­fäl­lige Gold­kett­chen – reichte schon, um zu wissen: Dieser Typ konnte nur ein schmie­riger Playboy sein. Er hatte bestimmt ein blondes Model als Freundin und wahr­schein­lich schon eine Single mit übelstem Italo-Pop raus­ge­bracht.

Natür­lich stimmte das über­haupt nicht. Die Blon­dine war kein Model, son­dern die Mode­ra­torin Roberta Ter­mali, die Zenga im Jahr vor der EM kennen gelernt hatte, weil er im Pri­vat­fern­sehen eine Fuß­ball­show prä­sen­tierte. Und die Disco-Platte war nicht bloß eine Single, son­dern gleich eine ganze LP mit acht Stü­cken. Im Radio hatte Zenga sogar seine eigene Sen­dung zusammen mit dem bekannten Mode­rator Ama­deus. Und das war erst der Anfang. Daheim in Mai­land ließ Zenga keine Party aus. Die Gaz­zetta dello Sport“ nannte ihn mal Il re degli eccessi, den König der Exzesse, weil ihn alles magisch anzog, was auch nur ansatz­weise pein­lich war.

Ein Schritt zu viel

Wie gesagt, es war leicht ihn nicht zu mögen. Und so rieben sich die deut­schen Fans in der 56. Minute des Spiels auch aus Scha­den­freude die Hände. Der Gast­geber und Tur­nier­fa­vorit Deutsch­land lag 0:1 im Rück­stand, als der Schieds­richter plötz­lich auf indi­rekten Frei­stoß im ita­lie­ni­schen Straf­raum ent­schied. Angeb­lich hatte Zenga zu viele Schritte mit dem Ball gemacht. Nur vier waren damals erlaubt, wes­halb der Schieds­richter alle Finger seiner rechten Hand in die Höhe hielt, um anzu­zeigen, dass es fünf gewesen waren, bevor der Tor­wart den Ball abge­schlagen hatte.

Ob das stimmt, weiß nie­mand. Weil Zenga den Ball im Anschluss an eine deut­sche Ecke sicher unter Kon­trolle hatte, zeigten die Kameras des Fern­se­hens wäh­rend der ent­schei­denden Sekunden einige Ersatz­spieler, die sich auf­wärmten. Aber ob kor­rekt oder nicht, es gab Frei­stoß. Pierre Litt­barski stupste den Ball an und aus­ge­rechnet Andreas Brehme, der gerade bei Zengas Klub Inter Mai­land unter­schrieben hatte, schoss den Ball durch die Mauer ins Netz. Es war der erste, aber weiß Gott nicht der letzte unglück­liche Moment für Walter Zenga bei einem großen Tur­nier.

So ist das eben bei Tor­hü­tern – was in Erin­ne­rung bleibt, das sind meis­tens die Patzer. Vor allem im Fall von Walter Zenga ist das fast schon tra­gisch, denn der Ita­liener war einer der besten Keeper seiner Gene­ra­tion. Viel­leicht sogar mehr als das; immerhin wurde er zwi­schen 1989 und 1991 dreimal in Folge zum Welt­tor­hüter des Jahres ernannt. Die Inter-Tifosi liebten ihn, schließ­lich war er gebür­tiger Mai­länder, machte aus seiner tiefen Liebe für den Klub nie einen Hehl und gehörte – zusammen mit Brehme und Lothar Mat­thäus – zu der großen Elf, die 1989 end­lich wieder die Meis­ter­schaft holte.

Auch im Natio­nal­trikot konnte man sich auf ihn ver­lassen. Viel­leicht hätte seine inter­na­tio­nale Kar­riere schon früher begonnen als erst im Herbst 1986, wenn er nicht solch ein Hal­lodri gewesen wäre. Anfang 1985 wollte Enzo Bearzot ihn näm­lich in den Kader für das Spiel gegen Irland in Dublin berufen, doch zwei Tage lang war Zenga wie vom Boden ver­schluckt und für nie­manden zu errei­chen, nicht mal für den Natio­nal­trainer. (Laut Gaz­zetta dello Sport“ hatte er sich bei einer Freundin ver­steckt, um end­lich mal Ruhe vor den Frauen zu haben, die ihn nach dem Trai­ning so hys­te­risch ver­folgten, wie man das sonst nur aus Beatles-Filmen kennt.)

Seit Oktober ohne Gegentor

Der Höhe­punkt seiner Kar­riere sollte die WM 1990 im eigenen Land sein. Zenga war in groß­ar­tiger Ver­fas­sung. Der berühmte ita­lie­ni­sche Jour­na­list Gianni Brera hatte ihm sogar einen der besten Spitz­namen aller Zeiten ver­passt: del­ta­plano – der Dra­chen­flieger. Der Begriff sollte aus­drü­cken, dass Zenga seine Stärken auf der Linie hatte und gerne durch die Luft flog, um Bälle noch aus dem Winkel zu fischen. Weil Brera ein kluger Kopf war, schwang in dem schönen Spitz­namen wahr­schein­lich auch ein klein wenig Kritik mit. Denn Zenga liebte die Flug­ein­lagen so sehr, dass man ihm manchmal vor­warf, er zeige lieber spek­ta­ku­läre Ret­tungs­taten auf der Linie, als raus­zu­kommen und Flanken schnöde abzu­fangen.

In dieser Hin­sicht war er ganz anders als die größte ita­lie­ni­sche Tor­wart-Ikone, der extrem sach­liche Dino Zoff. Und doch hörte man dessen Namen wäh­rend der WM 1990 immer öfter in Ver­bin­dung mit Walter Zenga. Denn Zoff hatte einst einen unfass­baren Rekord auf­ge­stellt: 1143 Minuten lang war er im Natio­nal­trikot ohne Gegen­treffer geblieben. Nun jedoch wackelte diese Best­marke. Seit einem 0:1 gegen Bra­si­lien im Oktober 1989 hatte man Zenga nicht mehr bezwungen. Vor dem Halb­fi­nale gegen Argen­ti­nien stand er bei 913 Minuten. Und in dieser ent­schei­denden Partie waren schon wieder 67 Minuten hin­zu­kommen, als Diego Mara­dona einen etwas rat­losen Pass raus zu Julio Olar­ti­coe­chea spielte.

Ita­lien lag durch ein Tor von Sal­va­tore Toto“ Schil­laci mit 1:0 in Füh­rung und dachte viel­leicht schon an das End­spiel gegen Deutsch­land. Denn obwohl man sich nach der Pause – nicht zuletzt im Ver­trauen auf Zenga – ein wenig zu weit zurück­ge­zogen hatte, strahlte eine höchst durch­schnitt­liche argen­ti­ni­sche Elf nur selten Gefahr aus. Auch Olar­ti­coe­chea fiel jetzt nicht mehr ein, als vom linken Straf­raumeck eine gelöf­felte, halb­her­zige Flanke in den Lauf von Claudio Caniggia zu schlagen, der in Rich­tung kurzer Pfosten eilte. Eine ganze Gene­ra­tion von Tifosi hat die nächsten zwei Sekunden auch dreißig Jahre später noch so deut­lich vor Augen, als wären sie ges­tern pas­siert.

Sechs Meter vor dem Tor stieg Caniggia zusammen mit seinem Bewa­cher Ric­cardo Ferri hoch. Der Argen­ti­nier bekam so gerade noch den Hin­ter­kopf an den Ball und stupste ihn harmlos in Rich­tung langes Eck. Das heißt, das Ganze wäre harmlos gewesen, hätte Zenga auf der Linie gestanden. Doch das tat er nicht. Aus­ge­rechnet in diesem Moment hatte der Mann, der so ungern rauskam, einen unge­lenken Ver­such gemacht, die Flanke abzu­fangen. Als der Ball ins Netz plumpste, stand Zenga sieben, acht Meter vor dem Tor und dürfte die Blicke seiner Mit­spieler wie Dolche im Rücken gespürt haben.

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Zengas ein­ziger Fehler im ganzen Tur­nier sorgte dafür, dass Argen­ti­nien sich in ein Elf­me­ter­schießen ret­tete, in dem zwei Ita­liener ihre Straf­stöße ver­gaben. Die 517 Minuten, die der Tor­wart bei der End­runde ohne Gegentor geblieben war, sind zwar bis heute Rekord, doch das dürfte ihm eben­so­wenig ein Trost gewesen sein wie die Tat­sache, dass Madonna ihn als sexiest man des Tur­niers bezeich­nete. Zenga war zwar noch zwei wei­tere Jahre Natio­nal­tor­wart, doch weil Ita­lien in der Qua­li­fi­ka­tion zur EM 1992 schei­terte, blieb ihm ein wirk­lich großer Erfolg mit der Squadra Azzurra ver­sagt. Immerhin holte er in den Neun­zi­gern mit seiner großen Liebe Inter noch zweimal den UEFA-Cup, 1991 gegen den AS Rom und 1994 gegen Salz­burg. In den vier Final­spielen (der UEFA-Pokal wurde bis 1997 durch Hin- und Rück­spiel ent­schieden) kas­sierte Zenga nur ein ein­ziges Gegentor.

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Stark ver­än­dert und doch unver­wech­selbar: Walter Zenga als Trainer von Cro­tone 2018.

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Einige Jahre später begann er eine Affäre mit einem 20-jäh­rigen Des­sous-Model und ging nach Ame­rika, um seine Kar­riere in der MLS aus­klingen zu lassen. Dort star­tete er seine zweite Lauf­bahn, zuerst als Spie­ler­trainer 1998 bei New Eng­land Revo­lu­tion. Aber auch seine Zeit als Trainer war bis­lang eher durch­wachsen. Er war einige Jahre lang in Rumä­nien tätig, was ihm seine dritte Ehe­frau, eine zweite Staats­bür­ger­schaft und einen Meis­ter­titel ein­brachte. Danach lief es eher sub­op­timal. Der ara­bi­sche Verein Al-Shaab feu­erte ihn nach zwei Monaten, Sampdoria Genua nach fünf, die Wol­ver­hampton Wan­de­rers nach drei, der FC Cro­tone nach sechs. Am 3. März unter­schrieb er einen Ver­trag bei Cagliari Calcio – sechs Tage später (und noch vor Zengas erstem Spiel) wurde die Saison in Ita­lien unter­bro­chen.

Heute wird Walter Zenga 60 Jahre alt. Wir gra­tu­lieren von Herzen und lassen ihm das Schluss­wort. Als ihn die Zei­tung La Repubblica“ näm­lich vor einigen Jahren nach seinem Ruf als Lebe­mann und seiner schil­lernden Kar­riere fragte, ant­wor­tete er: Die Jour­na­listen beschweren sich immer, dass die Spieler alle lang­weilig und banal sind. Und wenn dann mal einer kommt, der weiß, wie man ein Mikrofon hält, dann werfen sie ihm vor, er würde den Star raus­hängen lassen. Alles, was ich gemacht habe, waren Erfah­rungen. Ich bereue nichts.“