Im Spitzenspiel heute Abend kann Bayern gegen Dortmund Meister werden. Die Höchststrafe für alle Borussen! Oder? Wie sehr hassen sich eigentlich Bayern- und Dortmund-Fans? Eine Bestandsaufnahme am Autoscooter unseres Vertrauens.
Zum Spitzenspiel heute: Ein Interview mit einem Bayern- und einem BVB-Fan aus dem 11FREUNDE SPEZIAL „Liebe & Hass“, das ihr hier bestellen könnt.
Tobias Polzin, Sie sind Bayern-Fan. Was löst der BVB-Slogan „Echte Liebe“ bei Ihnen aus?
Tobias Polzin: „Echte Liebe“ fasst gut zusammen, was mich an Dortmund stört. Der Slogan impliziert, dass man ausschließlich beim BVB echten Fußball sieht und einzig der Dortmunder seinen Verein und den Sport lieben kann. Andernorts hingegen ist man nur ein gewöhnlicher Fan oder gar Kunde.
Wie ist es bei „Mia san mia“, Malte Dürr?
Malte Dürr: Ich denke da gar nicht unbedingt an Fußball, sondern eher an bayrische Grantler, Weißbier und Weißwurst. Oder an die CSU und das Verkehrsministerium. Erst Bayern und dann der Rest – das ist für mich „Mia san mia“.
Also eine gewisse Art der Großkotzigkeit?
Dürr: Genau. Die kann manchmal charmant sein, aber beim FC Bayern ist sie es nicht. Der wahre Münchner ist ja eh Sechzig-Fan.
Steile These.
Polzin: Absolut. Bei einem Zuschauerschnitt von 10 000.
Eine andere steile These lautet: Es gibt beim FC Bayern keine Fans. Denn ein echter Fan wisse, wie sich Abstiege und Niederlagen anfühlen.
Dürr: Für mich gibt es verschiedene Typen von Bayern-Fans. Die Ultras von der Schickeria finde ich gut. Die Aufarbeitung der Historie und das Gedenken an Kurt Landauer sind vorbildlich. Mein Feindbild ist eher der Facharbeiter aus der hessischen Provinz, der sein Einfamilienhaus samt Carport hat und im Garten seinen Webergrill pflegt. Einmal im Jahr fährt er, natürlich im Karohemd, mit seinen zwei Kindern zum Spiel, lässt dort ein paar hundert Euro und sieht ein 5:0 gegen Wolfsburg. Dann erzählt er monatelang stolz in seinem Dorf herum, wie grandios das gewesen ist. Kurzum: Bayern-Fan zu sein formt den Charakter. Mein Haus, mein Auto, meine Frau, mein Verein.
Bei Dortmund ist es doch ähnlich.
Dürr: Mag sein. Allerdings gibt es auf der Südtribüne immer noch viele Typen, die haben kein Haus, kein Auto und keine Frau. Die haben höchstens den Verein.
Wie definiert sich denn Ihr Fan-Begriff?
Dürr: Regelmäßige Stadionbesuche gehören auf jeden Fall dazu. Irgendwie auch dieses Support-Your-Local-Club-Ding. Jemand, der hunderte Kilometer entfernt lebt und nur einmal im Jahr hingeht, ist vielleicht ein Kunde oder ein Sympathisant. Oder einer, der seine Statussymbole pflegt. Aber ein Fan?
Tobias Polzin, Sie sind Berliner.
Dürr: Immerhin: keine Provinz.
Polzin: Zugegeben: Ich gehe nur etwa zweimal im Jahr ins Stadion. Aber ich gucke jedes Bayern-Spiel im Fernsehen. Ich fiebere mit der Mannschaft mit, ich beschäftige mich mit dem Verein, ich habe eigene Gedanken und konsumiere nicht nur blind. Für mich definiert das einen Fan.
Jahrgang 1986. Geboren und aufgewachsen in Herdecke, 20 Autominuten südlich des Westfalenstadions. Sein erstes BVB-Spiel war ein 5:0 gegen Stuttgart, Saison 1994/95. Ewiger Lieblingsspieler ist Lars Ricken. Dürr arbeitet als Lehrer (Religion, Deutsch, Geschichte) und schreibt für das Fanzine Schwatzgelb.
Jahrgang 1991. Geboren und immer noch wohnhaft in Berlin. Hertha konnte seine Liebe aber nie gewinnen, 1997 verfiel er den Bayern. Seine ewigen Lieblingsspieler sind Oliver Kahn und Martin Demichelis. Polzin arbeitet in der Energiewirtschaft und schreibt für den Bayern-Blog Mia san Rot.
Sprechen wir über streitbare Protagonisten. Bei Bayern sind das Uli Hoeneß oder Karl-Heinz Rummenigge. Oder, Herr Dürr?
Dürr: Neulich habe ich mich mit meiner Mutter zum Essen beim Italiener verabredet. „Du weißt schon“, sagte sie, „das ist der Italiener, bei dem wir damals erfahren haben, dass Uli Hoeneß in den Knast muss!“ Meine Mutter hat damals vor Freude das Restaurant zusammengeschrien, als sie die Push-Meldung dazu bekam. Bei Rummenigge kommt hinzu, dass er aus der Nähe von Dortmund stammt. Er wird bei uns „Die Schande von Lippstadt“ genannt. Da kommt vielleicht eine gewisse Verlusttrauer hinzu, dass er bei den Bayern groß geworden ist.
Polzin: Auch bei uns wirkt Rummenigge manchmal wie ein Fremdkörper.
Der Mann ist, mit ein paar kurzen Unterbrechungen, seit über 40 Jahren beim FC Bayern.
Polzin: Er leitet das erfolgreiche Business, er symbolisiert die Internationalität des Klubs. Aber er steht für mich nicht für die bayrische Seele. Dafür steht allein Uli Hoeneß.
Vor einiger Zeit zitierte Rummenigge auf einer Pressekonferenz das Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Dürr (Bebt!)
Polzin: In Klammern: Bebt!
Wut? Hass? Lassen Sie es raus!
Dürr: Ich konnte mir das nur aus satirischer Sicht anschauen. Das wird vielen Bayern-Fans hoffentlich ähnlich gegangen sein. Die beiden (Hoeneß und Rummenigge, d. Red.) haben sich natürlich herrlich selbst karikiert, denn direkt im Anschluss sagte Hoeneß, dass Bernat „einen Scheißdreck“ gespielt habe.
Schämt man sich als Bayern-Fan?
Polzin: Ein wenig, ja. Auch weil ich bei Rummenigge immer die Hoffnung hatte, dass er der Vernünftigste der Riege sei. Dass er das Ganze sachlich betrachtet. Wenn Hoeneß so etwas raushaut … tja, dann ist das halt Hoeneß.