Heute wird der FC Bayern 118 Jahre alt. Höchste Zeit, dass auch die größten Spielverderber das Lebenswerk des besten deutschen Fußballvereins endlich würdigen. Eine Art Liebesbrief.
Nicht falsch verstehen, ich wünsche dir nichts Schlechtes. Niemand soll sich das Syndesmoseband reißen, keiner aus der Führungsriege soll einfahren. Also nicht schon wieder. Aber ich kann dir nicht alles Gute wünschen. Dafür habe ich dich zu lange, etwa 4/5 meines Lebens, nicht gemocht. Es wären sogar 5/5, also ein ganzes Leben, wäre ich als Kleinkind nicht zu doof oder zu jung oder beides zusammen gewesen, um meine Abneigung zu kapieren. So konnte ich dich erst nicht mögen, als ich anfing zu lesen. Die „BravoSport“, das Fachblatt des kleinen Mannes.
Allerdings las ich die Seiten über dich nicht wirklich, ich überflog sie eher, bevor ich sie herausriss aus dem bunten Heftchen. Ich malte Giovane Elber ein Hitler-Bärtchen und eine verschrobene Brille aufs Mega-Poster – was vollkommen unnötig war, denn ob mit Edding-Bärtchen oder ohne, nackt auf einem Motorrad sitzend sah er auch so bescheuert genug aus.
Danke für meinen Lieblingsverein
Ich habe dich verflucht, wenn dir in Berlin in der sechsten Minute der Nachspielzeit doch noch der verdammte Ausgleich gelang, ich schimpfte auf dein Glück, den Bayern-Dusel, und auf die Ungerechtigkeit dieser Welt, den Bayern-Bonus. Gleichzeitig warst du es, der mich wirklich und endgültig an meinen Heimatverein kettete, weil du dich, so etwas war in den Neunzigern tatsächlich möglich, von Michael Preetz und Ante Covic übertölpeln ließt und Hertha dich deswegen sensationell im Olympiastadion besiegen konnte. Ein fantastisches Erlebnis. Danke.
Und gleichzeitig das beste Beispiel dafür, was mittlerweile schief läuft. Schon damals warst du der Klassenbeste, der Streber, die Nummer Eins. Und doch lag es im Bereich des Vorstellbaren, dich zu schlagen. Doch als dies zuletzt der Fall war – es ist bald zehn Jahre her, ein Mann mit Pöhler-Mütze hatte dich gewaltig provoziert – da hautest du so doll auf den Tisch, dass alle anderen von diesem herunterpurzelten. Seitdem spielst du außer Konkurrenz.
Wo ist der Zwist, an dem wir uns ergötzten?
Und seitdem läuft es für dich in der Bundesliga glatt. Entschieden zu glatt, sagen viele und sage auch ich. Denn warst du nicht auch deshalb der schillerndste Verein im Land, weil du Hollywood nach München holtest? Drama, Intrigen, Streit? Wo sind die Maulwürfe hin, die deine Umkleidekabinen untergruben und Interna nach Außen schaufelten? Wo sind die Privatfehden zwischen Männern wie Klinsmann und Matthäus, ausgefochten über die Klatsch-Presse, als einziger Ausweg die Flucht des einen oder ein Kampf bis aufs Blut. Wo ist der Zwist, an dem wir uns einst so ergötzten?
Er ist weg, und das mag für dich im Moment angenehm sein. Und ich verstehe ja auch, dass die Musik im Konzert der Großen zunächst süßer klingt als im Gemeindezentrum Sinsheim. Barcelona, Madrid, Manchester, Messi, Zidane, Pep: Natürlich hat das seinen Reiz. Aber wir wissen beide: Wirkliche Genugtuung, die holtest du dir immer zu Hause. 2000, als Unterhaching deinen Intimfeind Christoph Daum im letzten Moment vom Thron stieß, so dass du ihn doch noch erklimmen konntest. Oder ein Jahr später, Kahn und die Eckfahne, Anderson per Freistoß mitten ins Schalker Herz. Wenn du daran zurückdenkst, ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, bekommst du Gänsehaut. Wenn du an den Titel 2017 denkst, weißt du wahrscheinlich nicht mal mehr, wo du ihn letzten Endes eingetütet hast.
Deswegen, lieber FC Bayern: Gönn dir auch mal wieder ein bisschen Ärger, ein kleines Tal, eine winzige Delle in der Karosserie. Denn nur wer ab und zu eine Werkstatt von Innen sieht, weiß eine reibungslose Fahrt zu schätzen. Und wenn es erstmal so weit ist, werde nicht nur ich dir auch wieder wirklich alles Gute wünschen.