Der grandiose Fotograf Hans van der Meer hat auch Fußballfilme gedreht. Und zeigt sie in der Corona-Krise auf YouTube.
Einfach nur schnöde zu sagen, die Arbeit von Hans van der Meer würde der 11FREUNDE-Redaktion gefallen, wäre eine schamlose Untertreibung. Zu wenigen Fotografen pflegt unser Magazin eine so emotionale Verbindung wie zu diesem eigenwilligen Niederländer, was vor allem an dessen Fotoserie „Europaplatz“ liegt, die bis 2010 fünf Jahre lang ein selbstverständlicher Teil jedes Heftes war. Danach hatten wir alle Bilder abgedruckt und weinten in unsere Kissen.
Die Europaplatz-Bilder zeigen prototypisch, worum es Hans van der Meer geht: Fotografien von europäischen Amateurfußball-Plätzen, die sich nicht auf eine bestimmte Ecke des Spielfeldes konzentrieren, sondern immer das große Ganze erfassen, idealerweise auch, wie der Platz in die Landschaft eingebettet ist. Auf diesen Fotos ließen sich unzählige Einzelheiten entdecken: ein konsternierter Torhüter, windschiefe Trainerbänke oder Weinberge im Hintergrund. Auf einem Bild aus Südfrankreich ist sogar ein Weihrauch schwenkender Priester zu sehen, der mal eben aus seiner Kirche kommt, um zu sehen, wie es nebenan beim Fußball steht.
Diese Fotos haben uns und unseren Leserinnen und Lesern deshalb so gut gefallen, weil sie zwei Glaubenssätze des 11FREUNDE-Kosmos bedienen. Erstens: Unterklassiger Fußball ist genauso bedeutsam wie hochklassiger. Und zweitens: Das Zauberwerk des Fußballgottes findet sich eher in vermeintlich marginalen Details als im Zoom auf die um Aufmerksamkeit heischenden Hauptdarsteller. Man kann auch sagen, Hans van der Meer gibt der Fußballfotografie den Raum zurück, der ihr zusteht – und der (warum auch immer) irgendwann zugunsten eines billigen Oberflächenreizes verschwunden ist.
„Seither“ – um es mit den eigenen Worten des Fotografen zu sagen – „bildet die typische Fotografie eines Fußballspiels zwei Spieler und einen Ball vor einem unscharfen Hintergrund ab, ohne einen Eindruck davon zu vermitteln, wo auf dem Platz sich dieses Handlungsfragment ereignet.“ Um der Ödnis dieser oft austauschbaren Bilder etwas entgegenzusetzen, reiste Van der Meer quer durch Europa, um das zu fotografieren, was ihn faszinierte, den „leidenschaftlichen Fußball der mittelmäßigen Spieler in unteren Ligen, vor einer Kulisse, die meilenweit entfernt ist von vollbesetzten Tribünen und überdachten Stadien“. Und natürlich Landschaft, immer wieder Landschaft.
Nun hat Hans van der Meer bei seinen Reisen nicht nur Fotos geschossen, sondern auch Filmmaterial produziert – und daraus fünf Kurzfilme destilliert, die den Amateurfußball in seiner ganzen Pracht zeigen, ob bei sich daheim in Flamen, in Italien, in England, in der Provence oder in Spanien. Als Hommage an den Alltagskick, der in der Coronakrise ebenso zum Erliegen gekommen ist wie der Profifußball, veröffentlicht der Fotograf die Filme jetzt nacheinander unter dem Titel „European Fields Unlocked“ auf YouTube. Daneben stehen kurze Essays von renommierten Schreibern wie dem ehemaligen niederländischen Nationalspieler Jan Mulder (Vater von Youri) oder dem tollen englischen Fußballautor David Winner.
Nach Ansicht des Films über die flämischen Fußballfelder, der als erster online ging, lässt sich sagen: Natürlich hat Van der Meer dem Bewegtbild-Genre gewisse Konzessionen zugestanden, denn hin und wieder geht er tatsächlich ein bisschen näher ran, als man es von seinen Fotos gewohnt ist. Andererseits aber, das zur Beruhigung für seine Fans, auch kein Stück näher als unbedingt nötig.
Und so gibt es in knapp 24 ebenso unterhaltsamen wie meditativen Minuten die unterschiedlichsten Dinge zu sehen. Schiris, die mit äußerster Sorgfalt die Stollen prüfen. Einen Spieler, der friert, ohne etwas dagegen zu unternehmen (zum Beispiel, sich bewegen). Einen anderen mit einer sehr merkwürdigen Brille. Eine hinreißende Tribüne. Ein Torwart im Schneetreiben. Ein Pferd, das aufmerksam das Spielgeschehen verfolgt. Einen leptosomen, schnauzbärtigen Verteidiger mit einem formidablen Hackentrick. Ein Zuschauer mit Gummistiefeln, der innerhalb von einer Minute dreimal den Ball holen muss. Eine Baumgruppe wie aus einem Fantasy-Film. Ein Match, das sich hinter den Scheiben eines Klubheims abspielt. Meckerrentner in allen Facetten. Der prekärste Unterstand aller Zeiten. Ein Verletzter im Morast. Eine Rudelbildung, wie sie frühestens erst 2022 wieder erlaubt sein wird. Und am Ende gehen alle nach Hause und aus den Lautsprechern krächzt Blasmusik.
Ach, wie gerne würden wir so etwas auch wieder tun! Aber weil das im Moment nicht möglich ist, sitzen wir zuhause und schauen diese wunderbaren Kleinode von Hans van der Meer. Bis zum 5. Juni wird an jedem Freitag ein neuer Film online gehen.