Nach 16 Jahren verlässt Sergio Ramos Real Madrid. Er hat den Verein zurück auf Europas Thron geführt, dabei aber stets polarisiert. Für Real könnte sich die Trennung von seiner Führungs- und Identifikationsfigur noch als sehr schmerzhaft erweisen.
Auch optisch verkörpert Sergio Ramos das Bild eines Kriegers. Er trägt Vollbart und lange Haare. Dazu der volltätowierte Körper. Ramos könnte auch der Frontsänger einer Hard-Rock-Band sein. Während der Spielpause zu Beginn der Corona-Pandemie sah man ihn im Kraftraum Gewichte stemmen und unter größter Hitze staubige Hügel hinaufrennen. Nicht nur auf dem Fußballplatz geht Ramos über seine Grenzen hinaus. Er ist der Spieler, der dem FC Barcelona vielleicht fehlt, um wieder zurück an Europas Spitze zu kommen. Eigentlich wäre er der ideale Spieler für Diego Simeone, Trainer von Reals Stadtrivale Atlético Madrid. Ramos ist die Identifikationsfigur für alle, die mit dem schönen Spiel fremdeln. Wobei der Rechtsfuß keinesfalls ein schlechter Fußballer ist. Er paart Schnelligkeit mit einem guten Stellungsspiel. Auch die Spieleröffnung ist mehr als nur respektabel. Alles sportliche Gründe, weshalb Ramos über 16 Jahre Stammspieler bei Real und der Nationalmannschaft war. In Erinnerung bleiben werden aber immer seine spektakulären Zweikämpfe sowie der Siegeswille, der ihm immer ins Gesicht geschrieben steht. Diese mentale Stärke hat nicht nur einmal Berge versetzt. Ohne Ramos hätte Real wohl kaum viermal die Champions League gewonnen.
Dennoch hat Real entschieden, sich von der Vereinslegende zu trennen. Verletzungsbedingt stand Ramos in dieser Saison nur 15 Mal in LaLiga auf dem Platz. Der gebürtige Andalusier hatte sich eine Vertragsverlängerung um zwei Jahre gewünscht, Real bot jedoch nur ein Jahr, zudem mit Gehaltskürzungen. Ramos zögerte, am Ende zog der Verein auch das Angebot über eine Verlängerung über ein Jahr zurück. Sein Traum, die Karriere bei den Königlichen zu beenden, ist geplatzt. „Ich werde Real immer in meinem Herzen tragen“, machte Ramos die Bedeutung des Klubs in seiner Abschiedsrede deutlich. Nach seinem Karriereende will er in anderer Funktion wieder zurückkehren.
Trotzdem könnte sich die Trennung noch als großer Fehler für Real erweisen. David Alaba soll Ramos ersetzen und zukünftig gemeinsam mit Raphaël Varane die Innenverteidigung bilden. Sportlich sollte der Österreicher den Spanier mindestens gleichwertig ersetzen können. Aber in puncto Mentalität und Führungsqualität geht der Mannschaft von Real einiges verloren. Schon den Ehrgeiz eines Cristiano Ronaldo konnte Real nach dessem Abschied zu Juventus Turin nicht ersetzen, nun verlässt mit Ramos der zweite Mentalitätsspieler den Verein. Die überalterte Mannschaft droht ohne ihren ehemaligen Kapitän weiter an Gesicht und Format zu verlieren. Ein Nachfolger innerhalb der Mannschaft ist nicht in Sicht, dafür sind andere Leistungsträger wie Kroos, Modrić oder Benzema einfach nicht die richtigen Charaktere. Der Abschied von Ramos könnte sich für Real noch rächen.
Schließlich denkt der 35-Jährige noch nicht an das Karriereende. Internationale Topvereine stehen weiterhin Schlange, PSG scheint die besten Karten zu haben, den ablösefreien Ramos unter Vertrag zu nehmen. Mindestens zwei Jahre wird er wohl noch auf dem Platz stehen. Wenn der Körper mitmacht, wohl noch etwas länger. Man hat nicht das Gefühl, dass das Lebenswerk von Ramos schon vollbracht ist. Nach einer Sommerpause ohne großes Turnier wird er mit einem europäischen Topverein wieder Angriff auf Europas Krone nehmen. Real konnte immer froh sein, Ramos in den eigenen Reihen zu haben. Nun könnten sie als Gegner auf ihn treffen und am eigenen Leib erfahren, wie unangenehm und schmerzhaft das sein kann.