Dortmund verliert gegen Schalke mehr als nur ein Spiel. Weil das Derby die Schwächen der Borussia offenlegte.
Schon in wenigen Wochen werden Borussen das 178. Revierderby nicht mehr als den Tag bezeichnen, an dem ihr BVB die Meisterschaft verlor. Sie werden sich stattdessen noch mal nachträglich über das Fiasko in München ärgern. Oder dem fatalen Kollaps gegen Hoffenheim nachtrauern, ohne den Dortmund den königsblauen Nachbarn am 31. Spieltag weiterhin als Tabellenführer empfangen hätte.
Das ist natürlich in gewisser Weise Selbstschutz, schließlich gibt es auch viele Schalker, die der Meinung sind, dass ihr Verein den Titel 2007 nicht kurz vor Toreschluss im Westfalenstadion vergeigt hat, sondern zwei Wochen zuvor in Bochum. Ein Revierderby zu verlieren, ist schon schmerzhaft genug, da ist es gesund, eine solche Niederlage nicht auch noch symbolisch aufzuladen.
Kellerkinder als Punktediebe
Doch diesmal muss es sein. Denn Borussia Dortmund hat den Titel nicht gegen Hoffenheim verspielt. Auch nicht in München. Sondern tatsächlich heute gegen den Erzrivalen. Und zwar weil diese Partie stellvertretend stand für all das, was dem BVB spätestens seit Beginn der Rückrunde zu schaffen macht und seinen Punktevorsprung langsam, aber stetig aufgefressen hat.
Da ist natürlich zunächst mal die Tatsache, dass zu viele Zähler gegen Kellerkinder abgegeben wurden. Und nicht nur das. Sogar gegen formschwache Kellerkinder. Der 1. FC Nürnberg war gerade beim Schicksalsspiel in Hannover geschlagen worden, als er Dortmund zwei Punkte stahl. Augsburg hatte zwölf Tore in drei Spielen kassiert, bevor man den BVB besiegte. Und die letzten, durchweg katastrophalen Spiele der Knappen dürften auch jenen noch gut in Erinnerung sein, die gerade „Wir sind asoziale Schalker!“ singend im Sonderzug sitzen und einen unerwarteten Derbydreier feiern.
Warum in aller Welt wurde der BVB, der doch eine tolle Saison hingelegt hat und fast bis zum Schluss um den Titel spielte, so oft zum dankbaren Aufbaugegner für eigentlich viel schlechtere Teams?
Anscheinend weil es Dortmund zu selten gelingt, ein Mittel gegen extrem defensive Gegner zu finden. In der Hinrunde versuchten noch fast alle Mannschaften – man denke nur an Nürnberg, die selbst beim Stand von 0:3 nach vorne preschten! – mit einer Dortmunder Elf mitzuspielen, deren Stärken (und Schwächen) noch gar nicht richtig klar waren. Seither tun das bloß solche Teams, die aus hehrem Prinzip nicht mauern wollen, etwa Freiburg.
Wer aber weniger Skrupel hat, der rührt gegen Dortmund Beton an und doppelt Jadon Sancho. Dann wartet er. Und zwar auf Standardsituationen. Das ist die zweite Schwachstelle des BVB, die im Derby mehr als offenkundig wurde. Schon in München oder gegen Mainz konnte man als Borusse nur noch die Augen schließen und aufs Beste hoffen, wenn der Ball irgendwo in Nähe des Dortmunder Tores ruhte, vor allem wenn das an einer der beiden Eckfahnen der Fall war.
Und noch ein dritter Faktor, der am Ende im Meisterschaftsrennen den Ausschlag gab, könnte heute offenbar geworden sein. Man muss das so vorsichtig formulieren, denn im Fußball ist es fast immer ungerecht und nur selten zielführend, alles an einem Spiel festzumachen. Wer weiß schon, was heute passiert wäre, wenn Schalke nicht vom Keller in Köln einen Handelfmeter bekommen hätte, der nach aktueller Auslegung zwar vertretbar ist, der aber natürlich allen Grundsätzen der Fairness (und dem Wortlaut der Regel) widerspricht?
Dortmund verliert die Nerven
Trotz – oder vielleicht gerade wegen?! – dieses spielentscheidenden Moments: In vielen Phasen konnte man heute den Eindruck gewinnen, dass Borussia Dortmund dem Druck des Meisterkampfes, der von einem dauersiegenden FC Bayern aufgebaut wird, nicht oder nicht mehr gewachsen ist. Schon in der Anfangsphase unterliefen den Schwarz-Gelben sehr viele Fehler; nach der Elfmeterentscheidung, die für die Spieler aus ebenso heiterem Himmel gekommen sein muss wie für die Zuschauer und Reporter, war es dann um das Nervenkostüm der Borussen geschehen. Eine andere Erklärung lässt sich für die beiden Roten Karten beim besten Willen nicht finden.
Natürlich kann man das Ganze, wie immer in diesem so vielschichtigen Sport, auch auf eine Verkettung unglücklicher Umstände schieben. Zum Beispiel auf das Feuerzeug, das Sancho traf, weshalb der BVB in Unterzahl war, als der Angriff lief, der auf dem Umweg über Köln zum Ausgleich führte. Doch mussten die Dortmunder ihr Tor zum 1:0 wirklich direkt vor dem Schalker Block feiern? Ohne den Wurf rechtfertigen zu wollen: Entweder war es eine unnötige Provokation der Schwarz-Gelben oder eine Gedankenlosigkeit. Beides konnte man sich in dieser Phase der Saison nicht erlauben.
Seit 2011/12 wartet der BVB auf zwei Derbysiege in einer Saison. Und auf den Titel. Er muss weiter warten.