Mehmet Scholl hat Geburtstag. Er wird 50. Müssen wir uns jetzt alle schrecklich alt fühlen?
Scholl war auf vielen Ebenen und für viele verschiedene Gruppen der große Lichtblick in den dunklen Jahren des deutschen Fußballs. Die Leute, die man bald Hipster nennen würde, waren begeistert davon, dass ein bekannter Bundesligaspieler Indierock hörte und Nick Hornby las. An den bajuwarischen Stammtischen, wo man über solche Typen sonst gerne lästerte, nickten die Weißbiertrinker anerkennend, weil der junge Mann in seiner Freizeit ausgerechnet dem urdeutschen Provinzsport Kegeln frönte. Und die Liebhaber des schönen Spiels freuten sich einfach, dass da wenigstens einer auf dem Rasen stand, der Jugendlichkeit und Freude am Kicken verströmte.
Und dieser Urvater aller Bundesliga-Berufsjugendlichen soll nun 50 sein? Das ist doch gar nicht möglich! Andererseits … was hat Scholl eigentlich gemacht, seit er „die Sympathien nahezu aller deutschen Fußballfans auf sich vereinigte“? Nicht viel. Er trainierte mal die D‑Jugend des FC Bayern, wo er den Kindern Sachen zurief wie: „Keine langen Bälle, Männer!“ Er war viele Jahre Experte für die ARD und fiel dort eher durch Sprüche auf als durch fundierte Analysen. Er legt im Bayerischen Rundfunk noch immer Indierock auf, vor zwei Wochen The Plea, Kuroma und Death Cab For Cutie. Und seit August hat er einen Podcast bei „Bild“ mit dem eigenartig langweiligen Titel „Jetzt kommt Scholl“.
Eigentlich, und das ist das auf den ersten Blick Seltsame an seiner Karriere nach der Karriere, fällt Scholl nur noch durch die Art von moralinsauren, populistischen und oberflächlichen Kommentaren auf, wie man sie von den Männern kennt, deren Korrektiv er doch einst war, den Baslers oder Effenbergs. Das Feindbild „Laptop-Trainer“ führte Scholl schon vor fünf Jahren in einem Interview ein, seitdem arbeitet er sich an den Mitgliedern der Tedesco/Nagelsmann-Generation ab, „die dieses typische Kursbestergesicht haben“ und „nie selbst oben gespielt haben“. Sehr oft klingt er dabei wie … ja, im Grunde wie jemand, der nach einem halben Jahrhundert bockig auf die Welt blickt und findet, dass früher vieles besser war.
Ist das paradox? Nein. Schon zu seiner aktiven Zeit war Scholl nie wirklich das Paradebeispiel des anderen Profis, das war bloß sein Image. Bereits im März 1991, da war er kaum 20, sagte er einem Reporter: „Ich will in zehn Jahren Fußball so viel Geld verdienen wie möglich, am liebsten in vier Jahren bei Juventus Turin spielen.“ Das mit Italien hat zwar nicht geklappt, aber seinen konservativen Karriereplan dürfte er auch in München erfüllt haben. Er war eben immer schon beides, der Hipster und der Kegelbruder. Eine von diesen beiden Rollen lässt sich natürlich nicht unbegrenzt ausfüllen, weil man von der Zeit eingeholt wird. So gesehen muss sich niemand alt fühlen, weil Mehmet Scholl 50 geworden ist. Ein Teil von ihm war das schon länger.