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Mit Anpfiff des Spiels wird Mat­thias Sammer ganz still. Eben noch hat er im kleinen Fern­seh­studio in einer Ecke des Dort­munder Sta­dions wort­reich erklärt, worauf die Borussia gegen Ein­tracht Frank­furt achten muss, jetzt schweigt er. Sammer sitzt auf einer Bank, schaut aber nicht durch die Fens­ter­front auf den Platz hinaus, son­dern tief ver­sunken auf den Monitor an der Wand ihm gegen­über. Dort sieht er das Rönt­gen­bild des Spiels, das soge­nannte Scou­ting­feed, das alle 20 Feld­spieler erfasst und den Tor­wart, in dessen Rich­tung gerade gespielt wird. Als Dort­mund in Füh­rung geht, ballt Sammer kurz die Faust. Doch man hört ihn erst kurz vor der Pause wieder. ES MACHT KEINEN SINN!“, ruft er plötz­lich laut und schnappt sich die Tak­tik­tafel. Er balan­ciert sie auf den Knien und ver­schiebt dabei rote und weiße Magnete. In der Halb­zeit­pause will er über das aus seiner Sicht man­gel­hafte Dort­munder Posi­ti­ons­spiel spre­chen.

Den Experten Mat­thias Sammer gibt es nun schon in der zweiten Saison jeden Frei­tag­abend bei Euro­s­port zu sehen, und man darf wohl sagen, dass er gemeinsam mit dem Mode­rator Jan Henkel ein Stück Fern­seh­ge­schichte geschrieben hat. Zwar hat heut­zu­tage fast jeder Sender seinen Spie­ler­klärer, der auf irgend­wel­chen Tak­tik­boards her­um­fuhr­werken darf, aber so viel Enthu­si­asmus wie hier ist nir­gends.

Sammer ist der pas­sio­nier­teste Experte im deut­schen Fern­seh­fuß­ball, seine Ana­lysen haben was von Volks­theater. Auch heute wird er aus Begeis­te­rung oder tiefen Bedenken richtig laut, dann wieder flüs­tert er beschwö­rend, die Augen weit auf­ge­rissen. Gerne hebt Sammer den Zei­ge­finger, um Ach­tung, nicht miss­ver­stehen!“ zu kleinen Grund­satz­ex­kursen anzu­heben. Manchmal wird der arme Henkel von ihm sogar durchs Studio geschoben, um so zu erklären, wie man im Zwei­kampf stehen muss oder wo irgendein begriffs­stut­ziger Mit­tel­feld­spieler den Passweg hätte ver­stellen müssen.

Sammer ver­liert die Zuschauer nicht

Dabei gelingt Sammer ein inter­es­santes Kunst­stück: Obwohl er sich mit­unter im Gestrüpp wild wuchernder Asso­zia­tionen ver­liert, wirkt er doch stets klar. Min­des­tens eine Hand­voll Ideen gleich­zeitig zu einer bestimmten Spiel­szene, einem Spieler oder einer grund­sätz­li­chen Frage des Fuß­balls scheint er immer zu haben, und nicht selten möchte er sie alle gleich­zeitig unter­bringen. Dann führt Henkel ihn behutsam aus dem Unter­holz wieder heraus, und selbst wenn das nicht ganz gelingt, ver­liert Sammer seine Zuhörer erstaun­li­cher­weise nicht.

Das hat auch mit auf­wen­diger Vor­be­rei­tung zu tun. Am Tag vor der Über­tra­gung sitzen Sammer und Henkel in einem Bespre­chungs­raum bei Euro­s­port in Mün­chen zusammen, wie sie es jede Woche tun. Daheim hat jeder für sich das jeweils letzte Spiel der beiden Mann­schaften ange­schaut und Szenen mar­kiert, die in der Sen­dung eine Rolle spielen könnten. Sammer setzt seine Brille auf, schaut auf seinen Notiz­zettel und sagt: 21:30.“ Henkel ist begeis­tert: Die habe ich auch.“ Er steuert mit Hilfe des Time­codes auf dem Laptop die Szene an, und dann dis­ku­tieren sie die Abschläge von Borussia Dort­mund. Anschlie­ßend geht es um fal­sches Ver­halten beim Pres­sing und rich­tiges beim Umschalten. Im Grunde arbeiten die beiden wie die Spiel­ana­lysten der Klubs. Nur dass sie nicht die Stärken und Schwä­chen der Gegner erkunden, um eine Stra­tegie zu ent­wi­ckeln, son­dern um sie den Zuschauern vor Spiel­be­ginn zu erklären.

Ein Prak­tiker mit laser­ge­nauem Blick

Man ver­gisst manchmal, dass Sammer früher Trainer war. Bis heute ist er sogar der jüngste Coach, der eine Deut­sche Meis­ter­schaft gewann: 2002 beim BVB war das, Sammer war damals erst 36 Jahre alt. Vier Spiel­zeiten arbei­tete er als Coach in Dort­mund, dann noch eine beim VfB Stutt­gart. Anschlie­ßend war er DFB-Sport­di­rektor und Sport­vor­stand beim FC Bayern. Aber viel­leicht funk­tio­niert Sammer als Fern­seh­ex­perte auch des­halb so gut, weil er letzt­lich vor allem ein Prak­tiker mit laser­ge­nauem Blick für das Spiel ist. 

Erschaffen haben den TV-Taktik-stadl die beiden Prot­ago­nisten gemeinsam, sie kennen sich schon lange. Henkel hat viele Jahre als Reporter und Mode­rator bei Sky gear­beitet und die Idee Euro­s­port vor­ge­schlagen. Nerdig sein, aber bitte kein Trai­ner­lehr­gang“, sagt Gernot Bauer, sei der dafür gesetzte Rahmen. Als Sammer und Henkel eine ein­zelne Spiel­szene nicht weniger als elf Minuten lang dis­ku­tierten, war es dem Sport­chef von Euro­s­port zu viel. Aber er weiß, dass die beiden dem Frei­tags­spiel ein eigenes Gesicht gegeben haben. Dass wir das so durch­kriegen würden, hätte ich mir nicht träumen lassen“, sagt Bauer. Er bil­ligt der Sen­dung einen puris­ti­schen Ansatz“ zu und macht in der Sport­be­richt­erstat­tung im Fern­sehen sogar ins­ge­samt einen kleinen Trend zur Ent­schleu­ni­gung“ aus. Viel­leicht ist der gar nicht so klein, wenn man sieht, wie positiv die spar­ta­ni­sche Prä­sen­ta­tion der Cham­pions League des Strea­ming­por­tals DAZN gerade auf­ge­nommen wird.