Der Brasilianer Matheus Cunha ist ein bisschen wie Hertha BSC als Ganzes: talentiert, ambitioniert, aber manchmal noch nicht richtig ausbalanciert.
Vier Tage nach seiner Nominierung für die Nationalmannschaft sitzt Cunha beim Pressegespräch im Medienraum auf Herthas Vereinsgelände, neben ihm ein Dolmetscher. Manchmal antwortet Cunha trotzdem auf Deutsch. Er lacht viel, ist offen, mal staatstragend in seinen Antworten, mal forsch.
Anders als für große Teile der Welt hat sich das Jahr 2020 für Cunha bisher ausschließlich positiv dargestellt: Im Januar hat sich Brasilien vor allem dank seiner Tore für das olympische Fußballturnier in Tokio qualifiziert. Kurz darauf ist er für 18 Millionen Euro als Ersatzmann aus Leipzig gekommen und hat sich auf Anhieb als Leistungsträger in Herthas Mannschaft festgespielt. Er ist Vater geworden und jetzt erstmals für die Nationalmannschaft nominiert worden. „Das ist wie ein Traum, der wahr wird“, sagt er. „Aber ich möchte noch einiges mehr erreichen.“ Auch mit Hertha. Der Verein gehöre in der Tabelle nach oben, findet Cunha. „Ich will mit Hertha international spielen.“
„Ich will mit Hertha international spielen“
Ein bisschen ist es mit Hertha wie mit Cunha: Der Klub ist ambitioniert, die Mannschaft talentiert, aber das ganze Gebilde noch nicht komplett ausbalanciert. Es gibt eine frische Statistik, die einiges über Matheus Cunha erzählt: Kein anderer Spieler ist an den ersten beiden Spieltagen der neuen Saison so oft erfolgreich ins Dribbling gegangen wie der Brasilianer (acht Mal); kein anderer aber hat auch so häufig den Ball verloren (18 Mal). Cunha mag das Risiko, er sucht es geradezu. Weil genau das ihn auszeichnet.
„Matheus ist jemand, der etwas Besonderes kann, der aber auch noch viel lernen muss“, sagt Labbadia. Stabiler werden, gerade wenn es mental herausfordernd wird, und strukturierter in seinem Spiel. Insgesamt mehr Klarheit und manchmal etwas mehr Cleverness wünscht sich Labbadia von Cunha, „ohne dass er seine Kreativität und Unbekümmertheit verliert. Die muss er behalten. Das ist wichtig.”
Dass sich Herthas Trainer auch immer wieder mal kritisch über den Brasilianer äußert, ist keine Kritik um der Kritik willen, sondern eher eine Form der Wertschätzung. „Von Spielern, die wie er eine hohe Qualität haben, verlange ich immer ein Stück mehr“, sagt Labbadia. „Das ist wie eine Auszeichnung.“ Cunha selbst glaubt, dass er seit seinem Wechsel zu Hertha reifer geworden sei und mehr Verantwortung für das große Ganze übernehme. Der Schritt von einer Spitzenmannschaft wie Leipzig zu einem Klub eine Stufe darunter, „das lehrt dich auch noch etwas“.
Trainer Labbadia erkennt bei Cunha inzwischen auch im Training eine Fortentwicklung. „Man sieht, dass er die taktischen Abläufe immer mehr verinnerlicht, dass er eine hohe Bereitschaft zeigt“, sagt er. „Er ist auf einem guten Weg.“ Auf einem Weg, der ihn in der kommenden Woche zur brasilianischen Nationalmannschaft führt.
Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Kooperation mit dem Tagesspiegel.