Nach Monaten der Abstinenz geht unser Autor wieder ins Stadion. Er muss eine Maske tragen, den Mindestabstand einhalten und darf nicht singen. Warum ihm der Besuch trotzdem gefallen hat.
Die Planung begann schon Tage vorher. Normalerweise setze ich mich einfach spontan in die nächste Bahn oder schwinge mich aufs Fahrrad, wenn ich ein Regionalliga-Spiel besuche. Jedoch leben wir derzeit nicht in normalen Zeiten. Und so waren Karten für das Spiel zwischen Tennis Borussia Berlin und Chemie Leipzig auch nur online erhältlich. Aus dem begrenzten Internet-Kontingent ergatterte ein Freund zwei Stück. Gerade noch rechtzeitig. Einen Tag später waren alle der rund 1000 Tickets trotz der bei den meisten Fußballfans verpönten Kontaktdaten-Abgabe vergriffen.
Fast überall ist der Stadionbesuch verboten, in der Regionalliga darf man jedoch unter Auflagen zum Spiel. Ich bin gespannt, ob die Ersatzdroge kickt. Oder ob mich die Umstände so sehr abschrecken, dass ich mich mit dem Warten auf die Rückkehr zur kompletten Normalität begnüge. Darauf dass auch in der Bundesliga, bei meinem Verein Union Berlin, wieder alle ins Stadion dürfen.
Als wir zwei Stunden vorm Anpfiff im Berliner Westen aus der S‑Bahn steigen, deutet nichts auf ein Fußballspiel mit Zuschauern hin. Weder sind Schals und Trikots zu sehen, noch Gesänge zu hören. Im kleinen Waldabschnitt auf dem Weg ins Stadion vergessen wir dann fast gänzlich, dass wir ja eigentlich zum Fußball wollen. Zwischen den zahlreichen Nadelbäumen scheinen Abgase und Straßenlärm kilometerweit entfernt. Bier, Bratwurst und erwartungsfrohe Fans allerdings auch.
Da bis auf uns fast noch niemand vor Ort ist, müssen wir am Stadioneingang immerhin nicht anstehen. Wir setzen unsere Masken auf und zeigen die personalisierten Tickets vor. Mit Hilfe einer Art Anwesenheitsliste vergleichen OrdnerInnen mit Mundschutz die Ausweisdaten mit den Namen auf den Tickets. Zudem müssen wir eine E‑Mailadresse angeben, mit dem Verweis, dass nach zwei Wochen alles gelöscht werde. Irgendwie komisch, aber beim Einlass zumindest unkomplizierter und entspannter als befürchtet.
Unser erster Weg führt Richtung Bierstand. Ja, es gibt welches. Und anders als es in der anstehenden Bundesliga-Spielzeit angedacht ist, sogar mit Prozenten. Gut versorgt machen wir es uns nahe der Mittellinie bequem, setzen unsere Masken ab und lauschen der Musik aus den Stadionboxen. Amerikanischer Hip Hop, von Underground über Klassiker, von Shabaam Sahdeeq bis Naughty by Nature. Mir gefällts. Ich nicke entspannt mit, während auf dem Spielfeld auch etwas Bewegung aufkommt. Immer mehr Spieler begutachten den sehr akkurat geschnittenen Rasen. Lockeres Joggen, Dehnen, Ball hochhalten. Einige Akteure tragen dabei Masken. Wohl auch, weil es in der Regionalliga anders als in den Profiligen keine kollektiven, präventiven Testungen auf das Corona-Virus gibt.
Nach und nach kommen dann mehr Menschen auf den mit Gras bewachsenen Stehplatztraversen an. Es wird voller. Ernsthaft in Bedrängnis gerät jedoch niemand. Auch da die Besucherzahl auf 1.000 anstatt möglicher 15.000 beschränkt ist. Hilfreich sind zudem die alle paar Meter angebrachten Markierungen am Boden. So ist es kein Problem, den Abstand beim Stehen einzuhalten. Mein subjektives Sicherheitsempfinden ist insgesamt sogar wesentlich größer als in einer vollbesetzten Berliner Ringbahn zur Rush-Hour.
Einige TeBe-Ultras kritisieren die Leipziger Polizei auf einem Spruchband. Die hatte sich wohl in die Entscheidung zum Gästekarten-Kontingent eingemischt, sodass keine Tickets nach Leipzig gingen. Wie risikoreich die Berliner Polizei das Spiel dagegen bewertet, wird bei einem Blick auf die Haupttribüne deutlich. Gerade zwei Uniformierte sind anwesend. Mehr grün gekleidete Menschen haben sich dagegen in der Kurve der Haupttribüne versammelt. Eine kleine Kolonne aus Leipzig, schätzungsweise etwas mehr als 100 Anhänger der Betriebssportgemeinschaft Chemie Leipzig, hat sich trotz des offiziell fehlenden Gäste-Kontingents nach Berlin-Charlottenburg verirrt. Mit eher weniger Abstand zueinander feuern sie ihr Team schon vor dem Anpfiff einige Male mit langgezogenen „Schääämiee, Schääämieeee“-Rufen an. Später wird der Stadionsprecher das Hygiene-Konzept loben und gleichzeitig daran appellieren, doch bitte nicht zu singen.