Teil 2 unseres großen Interviews mit Mario Götze. Der WM-Held von 2014 über die Unwägbarkeiten des ersten Corona-Sommers, seinen Ärger mit Spielerberatern und den vorzeitigen Rücktritt von Bundestrainer Joachim Löw.
Die große Reportage über den WM-Held von 2014 gibt es in der aktuellen Ausgabe #234, erhältlich hier im Shop und überall, wo es Zeitschriften gibt.
Mario Götze, Sie haben wiederholt bekräftigt, dass die Zeit beim FC Bayern zwar nicht durchgehend glücklich verlaufen ist, Sie aber von der Arbeit mit Pep Guardiola bis heute zehren. Können Sie erklären, wie Guardiola einem Hochbegabten wie Ihnen völlig neue Seiten am Fußball vermittelt?
Er hat mein Spielverständnis in neue Dimensionen überführt. Vorher war für mich Fußball am Ende noch ein Spiel von elf gegen elf. Pep hat mir beigebracht, wie man Räume neu einteilt und Überzahl durch das Wechseln von Systemen schafft. Und diese Ideen so runterzubrechen, dass jeder im Team sie versteht und umsetzt, war einzigartig. Er hat mir gezeigt, dass Fußball elf gegen elf bleibt, sich der Lauf eines Spiels aber ständig verändern kann – und das bis ins Detail.
Sie haben auch gesagt, dass Guardiola so in seinen Denkrastern steckte, dass bei ihm die menschliche Komponente etwas auf der Strecke blieb. Was fehlte Ihnen: Lob?
Heute sehe ich das differenzierter. Vor Pep hatte ich Jürgen (Klopp, d. Red.) als Trainer, der für mich eine Vaterfigur war, weil er mir in allen Fragen geholfen hat, nachdem ich mit 17 zu ihm kam. Bei Pep war das ganz anders, was völlig verständlich ist, wenn ein Trainer so viele Profis und Ideen hat, drei Mal in der Woche ein Spiel hat, und ständig Entscheidungen treffen muss. Da ist eine gewisse Distanz zum Team vielleicht sogar gut.
Haben Sie sich als Youngster in der Zweckgemeinschaft des Rekordmeisters manchmal überfordert gefühlt?
Die Medien, Pep, die Leistungsbereitschaft im Kader – das war schon ein extremer Mix. Bei Bayern gab es damals eine unglaublich hohe Performancekultur. Da konnte ich kein Training mit Halbgas angehen, ich musste bei allem voll da sein. Aber es war auch sehr motivierend, mit Anfang zwanzig zu erleben, wie Routiniers wie Arjen (Robben) und Franck (Ribéry) in jeder Situation pushten. Diese Einstellung hat mich dahin gebracht, noch mehr aus mir herausholen zu wollen.
„Die Unsicherheit im letzten Sommer, war eine ganz neue Erfahrung”
Hadern Sie dennoch mit der Entscheidung, damals nach München gewechselt zu sein?
Im Nachgang ist es immer leichter, Dinge zu analysieren. Sicher kann man diskutieren, ob es besser gewesen wäre, 2013 ein Jahr länger in Dortmund zu bleiben und dann zu wechseln. Wenn nicht nach München, dann vielleicht sogar nach Barcelona, die mir im selben Jahr ein Angebot machten. Andererseits war es großartig, unter Pep in dem frischgebackenen Triple-Team dabei zu sein. Ich bestreite nicht, dass es ein paar „Hader-Punkte“ in meiner Laufbahn gibt, aber genau diese Erfahrungen haben mich zu der Person und dem Athleten gemacht, der ich bin. Ich möchte nichts missen.
Der schlimmste Moment Ihrer Laufbahn?
(Überlegt.) In jeder Karriere gibt es Rückschläge, das gehört zum Profileben dazu. Aber den schlimmsten Moment, den gibt es nicht. Ich gebe aber zu, die Unsicherheit in diesem Sommer, war eine ganz neue Erfahrung. Gar nicht zu wissen, was passiert und wie es weitergeht, das kannte ich nicht. Eigentlich wollte ich schon im Winter 2019/20 aus Dortmund weg, habe mich dann aber anders entschieden. Anfangs gab es verschiedene Optionen, ich wollte mir aber bewusst Zeit bei der Entscheidung für den neuen Klub lassen. Dann kam Corona und plötzlich wurde die Zeit immer knapper. Das war hart.
Wären Sie in die Niederlande gewechselt, wenn es Corona nicht gegeben hätte?
Niemand kann beurteilen, wie die Welt ohne das Virus aussehen würde. Corona hat das Business und auch die Voraussetzungen für die Spieler verändert. Anfangs haben sich bei uns nur die Routinen verändert, erst auf den zweiten Blick wurde mir klar, dass die Vereine riesige Probleme haben.
Im vergangenen Jahr wechselten Sie gleich drei Mal den Berater. Nach Reza Fazeli, der unter anderem für Emre Can arbeitet, wechselten Sie zu Fali Ramadani, der Leroy Sané zum FC Bayern transferierte, nun kümmert sich die Agentur Projekt B, die auch Jürgen Klopp berät, um Ihre sportlichen Belange. Hatten diese Rochaden auch mit der schwierigen Lage zu tun?
Als Athlet habe ich viel mit dem Sport um die Ohren und weiß nicht, was gerade auf dem Transfermarkt oder in den einzelnen Vereinen in Italien, Spanien oder England abgeht. Da brauche ich ein Team, das mit seinem Netzwerk die Sache überblickt und das große Ganze individuell für mich abwickeln kann. Dass man da nicht immer auf Anhieb den passenden Partner findet, ist doch klar.
„Mir wurde von Gesprächen berichtet, die nie stattgefunden hatten”
Was ist falsch gelaufen?
Berater sollten auch im Sinne der Spielers arbeiten und auf dessen Bedürfnisse eingehen. Und wenn sich Erwartungen nicht erfüllen und sich zudem herausstellt, dass bestimmte Versprechen nicht eingehalten wurden, muss ich mich umorientieren. Das Fußballgeschäft ist da sehr dynamisch.
Was heißt das konkret?
Es mangelte an Transparenz. In einigen Fällen wurde mir von Gesprächen berichtet, die, wie ich über Ecken mitbekam, nie stattgefunden hatten.
Haben Sie im Sommer, als Sie keine Perspektive hatten, mal hinterfragt, ob das überhaupt noch der richtige Job für Sie ist?
Nein! Nie! Ich habe in der jüngeren Vergangenheit nur eine ganz andere Facette dieses Geschäfts kennengelernt und mich in einem Umfeld befunden, das nicht mehr zu mir passte. An dem Spiel an sich und meiner Leidenschaft dafür, ändert das nichts.
Ihr alter Kumpel André Schürrle konnte das am Ende nicht mehr so sehen. Als er im Juli 2020 seinen Rücktritt vom Profigeschäft mit 29 Jahren verkündete, schien er regelrecht von einer Last befreit.
Ich habe „Schüs“ komplette Karriere mitbekommen und auch die Entwicklung in diese Richtung. Aber er hat sehr viel erreicht und bei vielen großen Klubs gespielt. Nach elf Jahren war er an dem Punkt angekommen, diesen Schritt zu machen. Und davor habe ich großen Respekt, denn er weiß, welche Konsequenzen das für ihn hat. Andererseits: Michael Jordon ist als bester Basketballer der Welt auch mal ein Jahr in die Baseballliga gewechselt.
Aber hinkt dieser Vergleich zu Schürrle nicht?
Ich will damit nur sagen: Man kann auf vielen Ebenen Herausforderungen finden. Auch nach der Laufbahn.
André Schürrle hat sich stets unter hohen Erfolgsdruck gesetzt und ist am Ende daran zerbrochen. Warum sehen Sie sich nicht in dieser Gefahr?
Jeder, der auf unserem Level spielt, ist in der Gefahr, so zu empfinden. Die Luft ist schon sehr dünn. Dahin zu kommen, Nationalspieler zu werden und Erfolge feiern, ist das eine. Aber dort zu bleiben, im besten Fall für eine lange Zeit, ist schon extrem schlauchend. Allein, weil man selbst so hohe Erwartungen an sich hat, wenn man Titel gewonnen hat und dieses Gefühl wieder und wieder erleben möchte.
Die Bürde Ihrer Laufbahn ist, dass Sie den größtmöglichen Erfolg bereits sehr früh erreicht haben. Egal, was Sie im Leben noch schaffen, alles wird daran gemessen. Wie definieren Sie vor diesem Hintergrund Erfolg?
Früher habe ich mir viele Gedanken über Titel gemacht, weil das greifbar war. Heute will ich richtige Entscheidungen treffen und in dem Umfeld, in dem ich mich aufhalte, glücklich sein. Für mich geht es nicht darum, etwas zu wiederholen, was ich schon erreicht habe, sondern mich als Athlet zu entwickeln und das Spiel zu genießen. Die ersten elf Jahre im Profigeschäft gingen wahnsinnig schnell rum, deswegen will ich die nächsten Jahre noch bewusst erleben und im Idealfall viele Spiele gewinnen. Das wäre ein großer Erfolg.
„Man kann das Rad nicht ewig weiterdrehen“
Sind mit dem Rücktritt von Jogi Löw als Bundestrainer Ihre Chancen auf ein Nationalelf-Comeback in weite Ferne gerückt?
Wieso? In der Nationalelf sollten doch die besten deutschen Spieler zusammenkommen, sonst wird es schwierig, gegen die großen Nationen zu bestehen. Das wird auch Jogis Nachfolger so sehen.
Ihr letztes Länderspiel machten Sie am 14. November 2017 gegen Frankreich. Wie realistisch ist Ihre Rückkehr in ein Team, das im Umbruch ist?
Klar ist: Um wieder berufen zu werden, muss ich konstant Leistung bringen.
Sie haben die Sternstunden der jüngeren DFB-Historie miterlebt, als große Euphorie um die Nationalelf wogte. Momentan hat das Team ein Imageproblem. Woran liegt’s?
Zu meiner Zeit hatte ich das Gefühl, dass die Nationalelf durch und durch positiv gesehen wird. Alles war auf den Erfolg ausgerichtet und das Selbstverständnis lautete, dass dort alles top-top-top ist. Jetzt scheint dieses Gefühl nicht mehr so ausgeprägt zu sein, was sicher auch mit dem Abschneiden bei der WM 2018 zu tun hat.
Liegt es auch am Marketing?
Wenn es sportlich nicht passt, werden auch andere Dinge kritischer gesehen. Aber ich glaube, dass es auch schnell wieder umschlagen kann.
Ist es gut, dass Joachim Löw abtritt?
Er ist seit 17 Jahren bei der Nationalelf. Es ist großartig, was er in dieser Zeit geleistet hat, zumal kaum jemand diesen Job so lange gemacht hat wie er. Man kann das Rad nicht ewig weiterdrehen, ich habe großen Respekt vor seiner Entscheidung.
„Seit der Geburt meines Sohnes, habe ich angefangen, für die nächste Generation mitzudenken“
Neben Ihrem Profijob agieren Sie als Investor bei zehn Start-Up-Firmen. Bei dem Smoothie-Mixer-Hersteller „Vejo“ haben Sie auch Einblick ins operative Geschäft. Ist das ein Hobby oder auch eine Perspektive für die Zeit nach Karriereende?
Bei „Vejo“ kenne ich den deutschen Firmengründer. Wenn ich in Los Angeles bin, schaue ich manchmal bei ihm vorbei, weil mich als Athlet der Nutrition-Bereich interessiert. Anfangs war ich also eine Art Kunde, jetzt engagiere ich mich als Botschafter und versuche meine Ideen zur Ernährung miteinzubringen. Die anderen Start-Ups sind für mich eher ein Investment.
Woher wissen Sie, wo Sie investieren sollen?
Ich habe ein paar Bekannte, die im Private Equity Bereich tätig sind, mit denen ich mich austausche. Und ich bespreche auch viel mit dem Family Office.
Wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie wirtschaftlich ausgesorgt haben und völlig frei entscheiden könnten, wie Sie leben?
Erst in den letzten Jahren. Und ich gebe zu: Es ist ein gutes Gefühl. Das Finanzielle ist bei mir lange nur so mitgeschwommen, weil ich so auf den Fußball fixiert war. Aber seit mein Sohn auf der Welt ist, habe ich angefangen, für die nächste Generation mitzudenken.
Geht Ihnen diese Profifußball-Bubble nicht manchmal auf die Nerven, wo jedes Wort von Ihnen auf die Goldwaage gelegt wird.
Ach was, ich lebe schon recht lange in diesem Spannungsfeld. Mag sein, dass ich – würde ich hier ganz frei von der Leber weg reden – ein Schleifchen weniger um meine Worte machen würde, doch im Kern erkennen Sie schon meine Denkweisen und Einstellungen. Aber natürlich leben wir in einem gläsernen Geschäft und müssen ein bisschen aufpassen, wie wir uns verhalten.
Sie sind viel in sozialen Netzwerken unterwegs. Wie gehen Sie mit Hasskommentaren um?
Die tue ich mir nicht mehr an. Ich poste Themen, die ich für interessant halte, und wenn es jemanden Spaß macht, freut es mich. Wenn nicht, auch kein Problem. Aber natürlich frage ich mich, wie es möglich sein kann, dass im Netz jeder, der Lust dazu hat, extremste Beleidigungen aussprechen darf. Was sind das für Leute, die für sowas Zeit haben?
Wie sieht Ihr Plan für die verbleibende Profizeit aus?
Den gibt es nicht. Früher habe ich ständig Pläne gemacht, in dem Glauben, dass ich sie umsetze. Heute will ich mehr im Moment sein, wenn es passiert, weil sich im Fußball vieles nicht planen lässt.
Was kann nach dem Karriereende kommen?
Ich will noch möglichst lange, im Idealfall sieben, acht Jahre, den Fußball genießen, und noch einen Schritt als Athlet machen. Aber ich gebe zu, die Start-Up-Geschichte gefällt mir, weil diese Firmen im High-Performance-Bereich arbeiten, wo im Team ständig abgeliefert werden muss. Da gibt es viele Parallelen zum Fußball.
Warum dreht sich bei Ihnen immer alles darum, das Maximum abzurufen?
So bin ich konditioniert. Auf dem Level, auf dem ich spiele, fällt es sehr schwer, sich Alternativ-Leidenschaften zu suchen. Es sind ja nicht nur zwei Trainingseinheiten am Tag und ein Spiel am Wochenende. Wenn ich diesen Job 15 Jahre machen will, bin ich ständig damit beschäftigt, so zu leben, dass es meinem Körper bestmöglich zugute kommt.
„Sport zu treiben und dafür bezahlt zu werden – ein Traum“
Ist man da nicht latent in Gefahr zu verblöden?
Natürlich. Deswegen habe ich mich schon vor längerer Zeit von der Playstation verabschiedet. (Lacht.) Aber jeder Job hat festgelegte Abläufe, es kommt immer drauf an, was man draus macht.
Selbst über Ihr Post-Profileben denken Sie in Leistungskategorien. Haben Sie nie die leise Sehnsucht, sich einfach ins Wohnmobil zu setzen und auf Weltreise zu gehen?
Das bin ich nicht – zumindest jetzt noch nicht. Ich muss mich in diesem Umfeld des positiven Drucks bewegen. Wer weiß, was in acht Jahren ist? Kann auch sein, dass ich dann erst mal Abstand brauche. Aber wenn ich jetzt sage, dass ich im Wohnmobil auf Weltreise gehe, verankere ich diesen Gedanken in meinem Kopf und besetze damit den Raum für andere Ideen. Das will ich nicht, dafür ist das Leben zu facettenreich.
Ist Ihr Körper der Belastung des Profigeschäfts noch sieben, acht Jahre gewachsen?
Zugegeben, ganz von selbst wie als 18-Jähriger läuft es nicht mehr, ich muss schon Routinen entwickeln und mich pflegen. Sollte aber ja eigentlich jeder tun.
Hatten Sie nie das Gefühl, irgendetwas in Ihrem Leben zu verpassen?
Nein, ich empfinde den Lebensstil, Sport zu treiben und dafür bezahlt zu werden, nach wie vor als Traum. Insbesondere wenn es wieder vor vollen Rängen stattfindet.
„Ich habe nicht realisiert, dass es nie mehr so sein wird“
Mario Götze, wenn Sie eine Zeitmaschine hätten, welchen Moment Ihrer Laufbahn würden Sie gern noch einmal erleben?
Die erste Meisterschaft mit dem BVB und die Weltmeisterschaft 2014.
Warum?
Das Gefühl, das diese Zeit begleitet hat, würde ich gern noch einmal intensiv einatmen. Auch weil ich damals nicht realisiert habe, dass es so nie mehr sein wird.
Was würden Sie aus diesen Momenten rausziehen wollen?
Die Emotionen und das Zusammensein mit den Menschen, die dabei eine Rolle gespielt haben. Ich würde versuchen, das Gefühl so mitzunehmen, dass es mich immer begleitet.
Den ersten Teil des großen Interviews mit Mario Götze lest Ihr hier.
Die große Reportage über den WM-Held von 2014 gibt es in der aktuellen Ausgabe #234, erhältlich hier im Shop und überall, wo es Zeitschriften gibt.