Im Jahr 2008 trafen wir Rudi Völler zum großen 11FREUNDE-Interview in Leverkusen. Nach der Zeit als DFB-Teamchef hatte er als Architekt der Werkself seine Erüllung gefunden. Im Gespräch erinnerte er sich an die Tristesse im Ulrich Haberland Stadion in den Achzigern, die Initiationsriten als Kaufmannslehrling und daran, wie ihn der Job als Coach auslaugte.
Beschreiben Sie doch mal Ihr Verhältnis zu Calmund.
Er ist ein Freund geworden. Wir arbeiteten von Anfang an sehr eng zusammen. Noch während meiner aktiven Zeit erzählte er mir häufig von seinen Visionen für Bayer 04. Er träumte von einem Verein, der sich vom alten Staub entledigt. Ein Klub, der viel größer und viel globaler agiert, als es bis dato in Leverkusen der Fall war. Und eines Tages kam er zu mir und sagte: „Ich brauche jemanden an meiner Seite, der Verantwortung übernimmt, dem ich vertrauen kann.“ Das wollte ich – sehr gerne.
Trotzdem übernahmen Sie zwischendurch noch den Job als Teamchef der deutschen Nationalmannschaft und später sogar als Vereinscoach beim AS Rom.
Dabei hatte ich mir nach dem Abschied vom DFB nach der EM 2004 gesagt: Jetzt mache ich bis Dezember gar nichts mehr. Egal, wer kommt und fragt.
Und dann…
…kommt ausgerechnet der Klub, zu dem ich einen sehr engen Draht habe, in der Stadt, die ich meine zweite Heimat nenne. Es war eine Herzensangelegenheit – und mein größter Fehler. Als der Roma-Vorstand fragte, ob ich nicht aushelfen könne, wenigstens für ein Jahr, sagte ich zu.
Schon nach 26 Tagen zogen Sie jedoch die Reißleine.
Zum Glück. Zum einen gab es ein paar Querelen im Verein, zum anderen merkte ich, wie leer ich war. Ich war ausgepowert, platt. Es war einfach ein Fehler, nach so kurzer Zeit wieder in den Trainerjob einzusteigen.
Der Siegertyp Rudi Völler erleidet ausgerechnet in der Stadt seiner größten Erfolg eine derartige Niederlage. Empfinden Sie die Trainerzeit beim AS Rom als Schandfleck auf Ihrer sonst so makellosen Karriere?
Überhaupt nicht. Ich kann mit solchen Situationen sehr realistisch umgehen. Im Übrigen wurde mir durch diese Erfahrung bewusst, dass mich der Job als Vereinstrainer nicht auf Dauer erfüllen kann, dass ich die Passion, die man als Vereinstrainer haben muss, nicht besitze. Kurzzeitig wie bei meinen Engagements bei Bayer 04 macht der Job Spaß, aber langfristig habe ich das Gefühl mich als Vereinstrainer zu verschleißen. Ein Klubtrainer muss seinen Spielern täglich ihren Beruf vorleben, jeden Tag auf dem Trainingsplatz stehen. Das war und ist nichts für mich.
Sie waren dieser Art von Druck nicht gewachsen.
Auch ein Bundestrainer hat Druck. Vor großen Turnieren ist der noch viel größer. Doch dieser Druck verteilt sich. Ein Vereinstrainer hingegen hat nie Auszeiten, er kann sich nie zurücklehnen und mal längere Zeit reflektieren, was um ihn herum passiert.
Ihren ehemaligen Assi beim DFB, Michael Skibbe, mussten Sie entlassen. Wie schwer war es für Sie, als sein langjähriger Weggefährte, Skibbe das Amt zu entziehen?
Auch wenn‘s komisch klingt: Wenn man so ein enges Verhältnis hat wie Michael und ich zueinander, ist die Belastung, diese Angst vor dem Gespräch, in dem eine Entlassung verkündet wird, gar nicht so hoch.
Das müssen Sie erklären.
Es liegt daran, dass ich mir von vornherein sicher war, dass Michael die Entscheidung nachvollziehen kann.
Die Entlassung von Skibbe hat viele überrascht, denn weite Strecken der letzten Saison spielte Bayer 04 einen hervorragenden Fußball.
Das stimmt. Die Entscheidung habe ich gemeinsam mit Wolfgang Holzhäuser und dem Präsidium gefällt. Natürlich hätte ich mich auch querstellen und sagen können: „Nee, der bleibt!“ Und, glauben Sie mir, ich hatte deswegen auch ein paar schlaflose Nächte. Doch am Ende ging es um den Verein, nicht um Michael oder um mich.
„Abgänge großer Spieler tun weh“
Zurück zu Ihnen. Für eine Trainerentlassung haben Sie offenkundig die Nerven, wie nahe geht es Ihnen, sich von verdienten Spielern trennen zu müssen? Wirklich wehgetan hat es mir bei großen Spielern bisher nur, wenn deren Verträge ausliefen und sie unbedingt weg wollten, etwa bei Michael Ballack, bei Lucio oder Zé Roberto.
Spieler, die Bayer 04 ziehen lassen muss, schmerzen den Sportdirektor Völler im Endeffekt also mehr, als solche, denen er mitteilen muss, dass sie sich einen neuen Klub suchen sollen.
Man darf einen Fußballprofi nicht mit einem normalen Arbeitnehmer vergleichen. Wenn wir jemanden sagen, dass er nächste Saison nicht mehr bei uns spielt, landet er nicht in der Gosse. Wer bei uns gekickt hat, fällt immer weich. Fast alle finden einen anderen Verein. Im Übrigen verdienen Spieler in der Bundesliga gut und können sich zur Not auch ein paar Monate Auszeit leisten.
Fiel es Ihnen nie schwer, jemanden vor den Kopf zu stoßen?
Nun ja, als Coach der Nationalmannschaft war es schon schlimm, Oliver Neuville im Frühjahr 2004 sagen zu müssen, dass er nicht mit zu EM nach Portugal fliegt. Dabei hatte ich es ihm ein halbes Jahr zuvor versprochen. Doch in der Rückrunde trumpfte Lukas Podolski derart auf, dass ich nicht mehr an ihm vorbei konnte.
Wie lief das Gespräch mit Neuville ab?
Ich hatte damals noch ein Büro in der Bayer-Geschäftsstelle und bestellte Oliver hierher. Es war natürlich ein großer Schock für ihn. Er war den Tränen nah.
Nimmt ein Rudi Völler einen Spieler in solchen Momenten auch mal in den Arm.
Vor allem einen wie Oliver Neuville. Schließlich hatte ich ihn mit Reiner Calmund von Hansa Rostock nach Leverkusen geholt. Er wohnte nur zehn Minuten von meinem Haus in Leverkusen entfernt. Doch diese unpopulären Entscheidungen gehören nun mal dazu. Und ich bin in der Situation nicht für ihn oder für mich verantwortlich gewesen, sondern für das ganze Gebilde.