Im Jahr 2008 trafen wir Rudi Völler zum großen 11FREUNDE-Interview in Leverkusen. Nach der Zeit als DFB-Teamchef hatte er als Architekt der Werkself seine Erüllung gefunden. Im Gespräch erinnerte er sich an die Tristesse im Ulrich Haberland Stadion in den Achzigern, die Initiationsriten als Kaufmannslehrling und daran, wie ihn der Job als Coach auslaugte.
Da gab es aber auch andere Zeiten. Nach dem WM-Halbfinale gegen Frankreich 1986 sollen Sie es ziemlich krachen gelassen haben.
Dazu hatten Felix Magath, Thomas Berthold, Matthias Herget und ich ja auch allen Grund. Wir haben uns nach dem Spiel einfach in Verkleidung in die Hotellobby gesetzt und den Champagner bestellt. Das ging bis in die frühen Morgenstunden, stimmt. Ein tolles Fest.
Obwohl das Finale erst noch bevor stand.
Ja, aber es waren noch ein paar Tage Zeit.
Wegen Ihrer Party ging das Finale 1986 also nicht verloren?
Nein, wir waren im Endspiel zwar spielerisch weit unterlegen, doch unsere Fitness war besser. Die Argentinier pfiffen aus dem letzten Loch. In der Verlängerung hätten wir das Ding gepackt, da bin ich mir ziemlich sicher.
Apropos: verlorene Endspiele. Wie oft träumen Sie eigentlich noch von Oliver Kahns Patzer im WM-Finale 2002?
Gar nicht, denn so ticke ich nicht. Im Fußball gewinnt und verliert man, es ist Teil des Geschäfts. Und mir ist völlig bewusst, dass allein das Erreichen des Finals ein toller Erfolg war, denn wir waren ganz sicher nicht die zweitbeste Mannschaft des Turniers, aber wir hatten einen großen Teamgeist und Siegeswillen, wir waren körperlich gut drauf und haben auch etwas defensiver gespielt.
Die Fans von Bayer Leverkusen mussten 2002 noch weitere Niederlagen hinnehmen: Die Mannschaft um Michael Ballack stand im Champions-League-Finale, im DFB-Pokal-Finale und auf dem ersten Platz der Bundesligatabelle – beendete die Saison mit drei Vize-Titeln. Hängt dieses Jahr heute noch wie ein Fluch über dem Verein?
Nein, im Gegenteil. Gelegentlich frage ich mich sogar, ob es jemals wieder so wie damals werden wird: Denn Bayer hatte eine unglaubliche Mannschaft, wir hätten die Meisterschaft verdient gehabt und auch den Sieg in der Champions League. Schließlich waren wir die bessere Mannschaft.
Oligarchen und Scheichs kaufen sich in England Traditionsvereine. Gibt es Entwicklungen im modernen Fußball, bei denen Ihnen mulmig wird?
Manchmal wird einem schon schwindelig und man denkt, jetzt muss doch das Maximum erreicht sein. Aber dann haut wieder ein Klub einen neuen Fantasiebetrag raus. Allerdings finde ich die Entwicklung in der Bundesliga nicht bedenklich, denn hier wird gesund gewirtschaftet. Hingegen in Italien und Spanien wird Geld ausgegeben, das gar nicht da ist. Und in England sitzen diese unglaublich reichen Oligarchen…
„Wie wäre das WM-Finale 2002 mit Ballack ausgegangen?“
Können Sie Fans verstehen, die mit dem „Modell Hoffenheim“ nichts anfangen können, wo Mäzen Dietmar Hopp durch private Investitionen aus einem Kreis- einen Bundesligisten gemacht hat?
Natürlich ist es am Anfang gewohnheitsbedürftig, aber ich glaube, es wird gar nicht lange dauern, da werden sich alle daran gewöhnt haben. Ich würde die Fans gerne mal fragen, was die mit 6 Milliarden auf dem Konto machen würden. Viele würden doch auch sagen: Ich kaufe mir jetzt meinen Lieblingsverein. Und Hopp hat ja nicht nur den Fußballverein als Hobby, sondern er unterstützt noch viele weitere soziale Projekte in seiner Region.
Der VfL Wolfsburg ist heute das, was früher Bayer Leverkusen war: Ein Klub, der am Tropf eines Unternehmens hängt.
Der VfL Wolfsburg steht gerade vor diesem Umbruch, vor dem wir Anfang der 90er Jahre standen. Der Verein will nicht mehr die graue Maus bleiben, sondern er will angreifen und in die Champions League. Auch, um dieses negative Image des Werksklubs in ein positives umzumünzen. Ein nachvollziehbares Ziel.
Können Sie verstehen, warum so unendlich viel Geld in den Fußball gepumpt wird?
Das wusste schon Sepp Herberger: Der Fußball besitzt so eine Anziehungskraft, weil keiner weiß, wie das Spiel ausgeht. Schauen Sie auf andere Sportarten: Im Handball wird niemals ein Zweitligist gegen den THW Kiel gewinnen. Da können alle Kieler mit der schwachen Hand werfen, die gewinnen trotzdem. Oder im Basketball: Keine deutsche Bundesligamannschaft wird jemals gegen ein NBA-Team gewinnen. Im Fußball ist es anders: Da kann ein Viertligist im Pokal immer einen Erstligsten rauswerfen.
Rudi Völler, wenn Sie auf Ihre 32 Jahre als Profi, Trainer und Sportdirektor zurückblicken: Gibt es irgendetwas, was Sie ändern würden?
Manchmal denke ich an das WM-Finale 2002 zurück. Ich frage mich, wie es wohl gewesen wäre, wenn Michael Ballack mitgespielt hätte. Mit ihm hätten wir große Chancen gehabt, das Endspiel zu gewinnen.