Im Jahr 2008 trafen wir Rudi Völler zum großen 11FREUNDE-Interview in Leverkusen. Nach der Zeit als DFB-Teamchef hatte er als Architekt der Werkself seine Erüllung gefunden. Im Gespräch erinnerte er sich an die Tristesse im Ulrich Haberland Stadion in den Achzigern, die Initiationsriten als Kaufmannslehrling und daran, wie ihn der Job als Coach auslaugte.
Sie kommen aus einer Arbeiterfamilie, ihre Mutter war Näherin, ihr Vater Dreher. Sie wuchsen in einfachen Verhältnissen im hessischen Hanau auf. Zitieren Sie deshalb gerne den Satz von Otto Rehhagel: „Fußballspieler sind von Gott geküsst.“?
Das ist mein Credo. Daran glaube ich bis heute. Deshalb rate ich allen Spielern: Hört nicht zu früh auf. Es gibt keinen schöneren Beruf, als Fußballprofi zu sein.
Warum?
Ein Spieler trägt relativ wenig Verantwortung, denn die haben andere Leute im Verein. Er macht sein Hobby zum Beruf und bekommt für das, was er jahrelang umsonst gemacht hat, plötzlich unglaublich viel Geld. Das ist doch der Traum eines jeden Kindes.
Sie traten mit 36 Jahren ab. Hätten Sie aus heutiger Sicht noch länger spielen sollen?
Nein, mit Sicherheit nicht. Ich war 18 Jahre Profi, ich konnte am Ende kaum noch laufen. Im letzten Jahr habe ich gemerkt, das zwei Trainingseinheiten am Tag wirklich zu viel für mich waren. Sportlich war es okay, wir sind nicht abgestiegen und ich habe noch ein paar Törchen geschossen. Aber eigentlich sollte man aufhören, wenn man nicht mehr zweimal am Tag trainieren kann.
Gab es einen konkreten Moment in Ihrer Karriere, in dem Sie das Gefühl, von Gott geküsst zu sein, fast sinnlich wahrnehmen konnten?
Ich habe dieses Gefühl immer gehabt, sogar bei Verletzungen. Ich habe immer gewusst, wie toll und außergewöhnlich es ist, diesen Beruf ausüben zu dürfen.
Anders gefragt: Erinnern Sie sich an einen Augenblick in Ihrer Laufbahn, in dem Sie absolutes Glück empfanden?
Die sieben Minuten, die im WM-Finale 1990 nach dem verwandelten Elfmeter von Andy Brehme noch zu spielen waren, fühlten sich unbeschreiblich an. Wir wussten, diesen Sieg nimmt uns niemand mehr. Wir wussten: Wir sind Weltmeister. Die Argentinier waren schon durch den Platzverweis dezimiert, die sind gar nicht mehr an den Ball gekommen. Und mit diesem Gefühl haben wir uns locker die Pille zugepasst. Sie wissen ja: Weltmeister bleibt man ein Leben lang.
Diesen Satz liest man öfter von Ihnen. Der Titel bedeutet Ihnen sehr viel.
Ab und zu werde ich gefragt: „Schmerzt es Sie eigentlich, dass Sie nie Deutscher Meister geworden sind?“ Dann antworte ich: „Wissen Sie was? Ich habe nur die großen und richtig wichtigen Titel geholt – Weltmeister und Champions.“ (Lacht.)
„Meine Mutter wollte, dass ich eine Lehre mache“
Sie haben zu Beginn Ihrer Karriere eine Ausbildung als Bürokaufmann gemacht, später jobbten Sie nebenher auf der Geschäftsstelle von Kickers Offenbach. Täte es der heutigen Spielergeneration gut, auf ihrem Weg zum Profidasein mehr vom Alltagsleben mitzubekommen?
Wie sich die Spieler entwickeln hängt sehr von der Trainingsarbeit und dem Umfeld ab: Spieler, die meinen als Profi etwas Besseres zu sein, sind sie bei Bayer Leverkusen falsch. Das Privileg des Fußballprofidaseins versuchen wir schon in den Jugendmannschaften zu vermitteln. Vielleicht muss man den heutigen Spielen diesen Gedanken anders näher bringen, als meiner Generation. Aber ich glaube, auch heutige Spieler werden ihn verstehen.
Wie sehr hat die Ausbildung zu Ihrer Persönlichkeitsfindung beigetragen?
Überhaupt nicht. (Lacht.) Meine Mutter wollte, dass ich eine Lehre mache. Ich wollte zwar Profi werden, aber ich verstand auch meine Mutter, die Angst hatte, ich könne mich so schwer verletzen, dass eine Fußballerkarriere flach fiel. Aber unter uns: Die Lehre in der Firma vom Kickers-Schatzmeister war eine reine Alibi-Veranstaltung. Ich war zwar Lehrling, aber fürs Training wurde ich freigestellt. Offiziell hatte ich dann also immer Training. Und wenn ich nicht auf dem Platz stand, saß ich mit meinen Freunden im Café und wir spielten Karten.
Mick Jagger sagte einmal, dass er sich nicht mehr daran erinnern könne, unbekannt gewesen zu sein. Können Sie sich noch daran erinnern?
Ich werde überall erkannt, seit als ich als 22-Jähriger zu Werder Bremen wechselte.
Nervt es manchmal, immer der nette „Ruuudi“ für die Leute zu sein?
Natürlich gibt es auch in meinem Leben Momente, wo ich es besser fände, dass mich keiner erkennt. Dennoch: Das ist alles nicht so schlimm. Und die, die sich beschweren, weil sie ab und zu mal ein Autogramm geben müssen, sind oft auch die, die abends zu Hause sitzen und schluchzen, weil sie auf der Straße einmal nicht erkannt wurden und nun denken, ihr Stern würde sinken.
Als Sportdirektor sind Sie eines der Gesichter von Bayer 04. In Ihrem Leben muss ein Sponsoren-Termin den nächsten jagen.
Solche Termine sind nun mal Teil des Jobs. Aber diese ganzen PR-Anlässe, die Partys, und all das, was dazu gehört, kann man auf ein erträgliches Maß reduzieren. Ich bin im Übrigen kein Partyhengst, der auf jeden Event und über jeden VIP-Teppich gehen muss.