Im Jahr 2008 trafen wir Rudi Völler zum großen 11FREUNDE-Interview in Leverkusen. Nach der Zeit als DFB-Teamchef hatte er als Architekt der Werkself seine Erüllung gefunden. Im Gespräch erinnerte er sich an die Tristesse im Ulrich Haberland Stadion in den Achzigern, die Initiationsriten als Kaufmannslehrling und daran, wie ihn der Job als Coach auslaugte.
Rudi Völler, am 15. November 1980 spielten Sie als Stürmer von 1860 München zum ersten Mal im Ulrich-Haberland-Stadion. Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Auswärtsspiel in Leverkusen?
Alles wirkte ein bisschen grau, fast leblos. Vielleicht lag es daran, dass das Leverkusener Stadion in jener Zeit fast immer halbleer war. Nur hier und da verirrten sich ein paar Zuschauer.
Der „Pillendreherklub“ war alles andere als en vogue.
Unter einem Firmenlabel wie dem „Bayer“-Kreuz aufzulaufen war zu dieser Zeit noch recht ungewöhnlich. Als Spieler eines anderen Vereins blickte man mitunter etwas von oben herab auf den Klub. Möglich, dass es – ich will nicht sagen peinlich – aber für einige Kicker nicht gerade das Größte war, ausgerechnet für Bayer Leverkusen zu spielen.
Sie kennen Bayer 04 als Gegen- und Mitspieler, aus der Perspektive des Trainers und nun schon lange als Sportdirektor. Wann fing der Verein an zu glänzen?
Den konkreten Zeitpunkt weiß ich nicht, es muss irgendwann zur Zeit der Wende gewesen sein. Die Mannschaft holte 1988 den UEFA Pokal und der Verein verpflichtete Spieler wie Ulf Kirsten, Andreas Thom…
…und 1994 dann auch Sie. Haben Sie es sich damals zweimal überlegen müssen, ob Sie zum „Werksklub“ wechseln sollen?
Nein, überhaupt nicht. Als ich kam, hatte sich schon einiges getan: Bernd Schuster war ein Jahr zuvor von Atlético Madrid geholt worden, der Verein befand sich längst in einer Art Umbruch – es herrschte Aufbruchstimmung.
„Es war nie mein Wunsch, Trainer zu werden.“
Seither ist Bayer 04 in steter Veränderung.
Wobei Veränderung hier anders definiert wird. In Leverkusen war man schon immer darauf bedacht, Dinge niemals nur um des Verändernswillen zu verändern. Wir stellen hier nicht – wie einige andere Klubs – alles um, nur weil es vielleicht gerade schick ist, den Medien vermeintlich innovative Ideen zu präsentieren.
Welche Idee war denn fortschrittlich und sinnig zugleich?
Unsere „Werkself“-Kampagne. Das war die beste Idee, die man hier je hatte.
Dabei galt dieser Begriff in Leverkusen lange als Unwort.
In den 80er und 90er Jahren lag der Werkscharakter wie eine Zentnerlast auf den Schultern des Vereins. Anstatt aber offensiv mit dieser Besonderheit umzugehen, war der Klub inmitten der traditionsreichen „natürlichen“ Fußballklubs der Bundesliga mit dieser Bezeichnung unglücklich. Dass wir uns nach außen nun als „Werkself“ präsentieren, setzt einen ursprünglich negativ besetzten Charakterzug auf kreative Art in ein positives, strahlendes Licht.
Auch die Fans haben sich mit dem Werkscharakter arrangiert.
Die sind sogar stolz darauf: Vor einiger Zeit hieß es, dass das riesige Bayer-Kreuz in der Nähe des Werks abgerissen werden sollte. Was früher vermutlich Freudentänze bei den Anhängern hervorgerufen hätte, veranlasste die Fans nun zu Protesten. Sie haben bewirkt, dass das Kreuz bleibt.
Eine paradoxe Reaktion.
Wieso? Es zeigt doch nur, dass der Werkscharakter für die Fans inzwischen Kultcharakter besitzt und Teil der Klubtradition geworden ist.
Uli Hoeneß sagte einmal über den FC Bayern: „Dieser Verein ist mein Leben.“ Können Sie diesen Satz auch über Bayer Leverkusen sagen?
Hätte mir Anfang der 90er jemand gesagt, dass ich hier mit Unterbrechungen 14 Jahre arbeite, hätte ich das wohl nicht geglaubt. Aber heute kann ich überzeugt sagen: Ich fühle mich hier zu Hause. Wenn man so lange an und mit einer Sache arbeitet, hängt man auch an ihr.
Sie waren Spieler, Vereins- und Nationaltrainer. Heute bekleiden Sie die Position des Sportdirektors. Geht „Ruuudi“ in der Rolle des Funktionärs wirklich auf?
Vielleicht verwundert es Sie, aber es ist die Rolle, die mir am nächsten kommt. Es war nie mein Wunsch, Trainer zu werden. Schon bei meinen letzten Spielerstationen schaute ich den Managern und Präsidenten immer wieder über die Schulter. In Rom bekam ich einen guten Einblick, wie Transfers abgewickelt werden. Und in Leverkusen wurde Reiner Calmund dann zu meinem Lehrmeister.
Beschreiben Sie doch mal Ihr Verhältnis zu Calmund.
Er ist ein Freund geworden. Wir arbeiteten von Anfang an sehr eng zusammen. Noch während meiner aktiven Zeit erzählte er mir häufig von seinen Visionen für Bayer 04. Er träumte von einem Verein, der sich vom alten Staub entledigt. Ein Klub, der viel größer und viel globaler agiert, als es bis dato in Leverkusen der Fall war. Und eines Tages kam er zu mir und sagte: „Ich brauche jemanden an meiner Seite, der Verantwortung übernimmt, dem ich vertrauen kann.“ Das wollte ich – sehr gerne.
Trotzdem übernahmen Sie zwischendurch noch den Job als Teamchef der deutschen Nationalmannschaft und später sogar als Vereinscoach beim AS Rom.
Dabei hatte ich mir nach dem Abschied vom DFB nach der EM 2004 gesagt: Jetzt mache ich bis Dezember gar nichts mehr. Egal, wer kommt und fragt.
Und dann…
…kommt ausgerechnet der Klub, zu dem ich einen sehr engen Draht habe, in der Stadt, die ich meine zweite Heimat nenne. Es war eine Herzensangelegenheit – und mein größter Fehler. Als der Roma-Vorstand fragte, ob ich nicht aushelfen könne, wenigstens für ein Jahr, sagte ich zu.
Schon nach 26 Tagen zogen Sie jedoch die Reißleine.
Zum Glück. Zum einen gab es ein paar Querelen im Verein, zum anderen merkte ich, wie leer ich war. Ich war ausgepowert, platt. Es war einfach ein Fehler, nach so kurzer Zeit wieder in den Trainerjob einzusteigen.
Der Siegertyp Rudi Völler erleidet ausgerechnet in der Stadt seiner größten Erfolg eine derartige Niederlage. Empfinden Sie die Trainerzeit beim AS Rom als Schandfleck auf Ihrer sonst so makellosen Karriere?
Überhaupt nicht. Ich kann mit solchen Situationen sehr realistisch umgehen. Im Übrigen wurde mir durch diese Erfahrung bewusst, dass mich der Job als Vereinstrainer nicht auf Dauer erfüllen kann, dass ich die Passion, die man als Vereinstrainer haben muss, nicht besitze. Kurzzeitig wie bei meinen Engagements bei Bayer 04 macht der Job Spaß, aber langfristig habe ich das Gefühl mich als Vereinstrainer zu verschleißen. Ein Klubtrainer muss seinen Spielern täglich ihren Beruf vorleben, jeden Tag auf dem Trainingsplatz stehen. Das war und ist nichts für mich.
Sie waren dieser Art von Druck nicht gewachsen.
Auch ein Bundestrainer hat Druck. Vor großen Turnieren ist der noch viel größer. Doch dieser Druck verteilt sich. Ein Vereinstrainer hingegen hat nie Auszeiten, er kann sich nie zurücklehnen und mal längere Zeit reflektieren, was um ihn herum passiert.
Ihren ehemaligen Assi beim DFB, Michael Skibbe, mussten Sie entlassen. Wie schwer war es für Sie, als sein langjähriger Weggefährte, Skibbe das Amt zu entziehen?
Auch wenn‘s komisch klingt: Wenn man so ein enges Verhältnis hat wie Michael und ich zueinander, ist die Belastung, diese Angst vor dem Gespräch, in dem eine Entlassung verkündet wird, gar nicht so hoch.
Das müssen Sie erklären.
Es liegt daran, dass ich mir von vornherein sicher war, dass Michael die Entscheidung nachvollziehen kann.
Die Entlassung von Skibbe hat viele überrascht, denn weite Strecken der letzten Saison spielte Bayer 04 einen hervorragenden Fußball.
Das stimmt. Die Entscheidung habe ich gemeinsam mit Wolfgang Holzhäuser und dem Präsidium gefällt. Natürlich hätte ich mich auch querstellen und sagen können: „Nee, der bleibt!“ Und, glauben Sie mir, ich hatte deswegen auch ein paar schlaflose Nächte. Doch am Ende ging es um den Verein, nicht um Michael oder um mich.
„Abgänge großer Spieler tun weh“
Zurück zu Ihnen. Für eine Trainerentlassung haben Sie offenkundig die Nerven, wie nahe geht es Ihnen, sich von verdienten Spielern trennen zu müssen? Wirklich wehgetan hat es mir bei großen Spielern bisher nur, wenn deren Verträge ausliefen und sie unbedingt weg wollten, etwa bei Michael Ballack, bei Lucio oder Zé Roberto.
Spieler, die Bayer 04 ziehen lassen muss, schmerzen den Sportdirektor Völler im Endeffekt also mehr, als solche, denen er mitteilen muss, dass sie sich einen neuen Klub suchen sollen.
Man darf einen Fußballprofi nicht mit einem normalen Arbeitnehmer vergleichen. Wenn wir jemanden sagen, dass er nächste Saison nicht mehr bei uns spielt, landet er nicht in der Gosse. Wer bei uns gekickt hat, fällt immer weich. Fast alle finden einen anderen Verein. Im Übrigen verdienen Spieler in der Bundesliga gut und können sich zur Not auch ein paar Monate Auszeit leisten.
Fiel es Ihnen nie schwer, jemanden vor den Kopf zu stoßen?
Nun ja, als Coach der Nationalmannschaft war es schon schlimm, Oliver Neuville im Frühjahr 2004 sagen zu müssen, dass er nicht mit zu EM nach Portugal fliegt. Dabei hatte ich es ihm ein halbes Jahr zuvor versprochen. Doch in der Rückrunde trumpfte Lukas Podolski derart auf, dass ich nicht mehr an ihm vorbei konnte.
Wie lief das Gespräch mit Neuville ab?
Ich hatte damals noch ein Büro in der Bayer-Geschäftsstelle und bestellte Oliver hierher. Es war natürlich ein großer Schock für ihn. Er war den Tränen nah.
Nimmt ein Rudi Völler einen Spieler in solchen Momenten auch mal in den Arm.
Vor allem einen wie Oliver Neuville. Schließlich hatte ich ihn mit Reiner Calmund von Hansa Rostock nach Leverkusen geholt. Er wohnte nur zehn Minuten von meinem Haus in Leverkusen entfernt. Doch diese unpopulären Entscheidungen gehören nun mal dazu. Und ich bin in der Situation nicht für ihn oder für mich verantwortlich gewesen, sondern für das ganze Gebilde.
Sie kommen aus einer Arbeiterfamilie, ihre Mutter war Näherin, ihr Vater Dreher. Sie wuchsen in einfachen Verhältnissen im hessischen Hanau auf. Zitieren Sie deshalb gerne den Satz von Otto Rehhagel: „Fußballspieler sind von Gott geküsst.“?
Das ist mein Credo. Daran glaube ich bis heute. Deshalb rate ich allen Spielern: Hört nicht zu früh auf. Es gibt keinen schöneren Beruf, als Fußballprofi zu sein.
Warum?
Ein Spieler trägt relativ wenig Verantwortung, denn die haben andere Leute im Verein. Er macht sein Hobby zum Beruf und bekommt für das, was er jahrelang umsonst gemacht hat, plötzlich unglaublich viel Geld. Das ist doch der Traum eines jeden Kindes.
Sie traten mit 36 Jahren ab. Hätten Sie aus heutiger Sicht noch länger spielen sollen?
Nein, mit Sicherheit nicht. Ich war 18 Jahre Profi, ich konnte am Ende kaum noch laufen. Im letzten Jahr habe ich gemerkt, das zwei Trainingseinheiten am Tag wirklich zu viel für mich waren. Sportlich war es okay, wir sind nicht abgestiegen und ich habe noch ein paar Törchen geschossen. Aber eigentlich sollte man aufhören, wenn man nicht mehr zweimal am Tag trainieren kann.
Gab es einen konkreten Moment in Ihrer Karriere, in dem Sie das Gefühl, von Gott geküsst zu sein, fast sinnlich wahrnehmen konnten?
Ich habe dieses Gefühl immer gehabt, sogar bei Verletzungen. Ich habe immer gewusst, wie toll und außergewöhnlich es ist, diesen Beruf ausüben zu dürfen.
Anders gefragt: Erinnern Sie sich an einen Augenblick in Ihrer Laufbahn, in dem Sie absolutes Glück empfanden?
Die sieben Minuten, die im WM-Finale 1990 nach dem verwandelten Elfmeter von Andy Brehme noch zu spielen waren, fühlten sich unbeschreiblich an. Wir wussten, diesen Sieg nimmt uns niemand mehr. Wir wussten: Wir sind Weltmeister. Die Argentinier waren schon durch den Platzverweis dezimiert, die sind gar nicht mehr an den Ball gekommen. Und mit diesem Gefühl haben wir uns locker die Pille zugepasst. Sie wissen ja: Weltmeister bleibt man ein Leben lang.
Diesen Satz liest man öfter von Ihnen. Der Titel bedeutet Ihnen sehr viel.
Ab und zu werde ich gefragt: „Schmerzt es Sie eigentlich, dass Sie nie Deutscher Meister geworden sind?“ Dann antworte ich: „Wissen Sie was? Ich habe nur die großen und richtig wichtigen Titel geholt – Weltmeister und Champions.“ (Lacht.)
„Meine Mutter wollte, dass ich eine Lehre mache“
Sie haben zu Beginn Ihrer Karriere eine Ausbildung als Bürokaufmann gemacht, später jobbten Sie nebenher auf der Geschäftsstelle von Kickers Offenbach. Täte es der heutigen Spielergeneration gut, auf ihrem Weg zum Profidasein mehr vom Alltagsleben mitzubekommen?
Wie sich die Spieler entwickeln hängt sehr von der Trainingsarbeit und dem Umfeld ab: Spieler, die meinen als Profi etwas Besseres zu sein, sind sie bei Bayer Leverkusen falsch. Das Privileg des Fußballprofidaseins versuchen wir schon in den Jugendmannschaften zu vermitteln. Vielleicht muss man den heutigen Spielen diesen Gedanken anders näher bringen, als meiner Generation. Aber ich glaube, auch heutige Spieler werden ihn verstehen.
Wie sehr hat die Ausbildung zu Ihrer Persönlichkeitsfindung beigetragen?
Überhaupt nicht. (Lacht.) Meine Mutter wollte, dass ich eine Lehre mache. Ich wollte zwar Profi werden, aber ich verstand auch meine Mutter, die Angst hatte, ich könne mich so schwer verletzen, dass eine Fußballerkarriere flach fiel. Aber unter uns: Die Lehre in der Firma vom Kickers-Schatzmeister war eine reine Alibi-Veranstaltung. Ich war zwar Lehrling, aber fürs Training wurde ich freigestellt. Offiziell hatte ich dann also immer Training. Und wenn ich nicht auf dem Platz stand, saß ich mit meinen Freunden im Café und wir spielten Karten.
Mick Jagger sagte einmal, dass er sich nicht mehr daran erinnern könne, unbekannt gewesen zu sein. Können Sie sich noch daran erinnern?
Ich werde überall erkannt, seit als ich als 22-Jähriger zu Werder Bremen wechselte.
Nervt es manchmal, immer der nette „Ruuudi“ für die Leute zu sein?
Natürlich gibt es auch in meinem Leben Momente, wo ich es besser fände, dass mich keiner erkennt. Dennoch: Das ist alles nicht so schlimm. Und die, die sich beschweren, weil sie ab und zu mal ein Autogramm geben müssen, sind oft auch die, die abends zu Hause sitzen und schluchzen, weil sie auf der Straße einmal nicht erkannt wurden und nun denken, ihr Stern würde sinken.
Als Sportdirektor sind Sie eines der Gesichter von Bayer 04. In Ihrem Leben muss ein Sponsoren-Termin den nächsten jagen.
Solche Termine sind nun mal Teil des Jobs. Aber diese ganzen PR-Anlässe, die Partys, und all das, was dazu gehört, kann man auf ein erträgliches Maß reduzieren. Ich bin im Übrigen kein Partyhengst, der auf jeden Event und über jeden VIP-Teppich gehen muss.
Da gab es aber auch andere Zeiten. Nach dem WM-Halbfinale gegen Frankreich 1986 sollen Sie es ziemlich krachen gelassen haben.
Dazu hatten Felix Magath, Thomas Berthold, Matthias Herget und ich ja auch allen Grund. Wir haben uns nach dem Spiel einfach in Verkleidung in die Hotellobby gesetzt und den Champagner bestellt. Das ging bis in die frühen Morgenstunden, stimmt. Ein tolles Fest.
Obwohl das Finale erst noch bevor stand.
Ja, aber es waren noch ein paar Tage Zeit.
Wegen Ihrer Party ging das Finale 1986 also nicht verloren?
Nein, wir waren im Endspiel zwar spielerisch weit unterlegen, doch unsere Fitness war besser. Die Argentinier pfiffen aus dem letzten Loch. In der Verlängerung hätten wir das Ding gepackt, da bin ich mir ziemlich sicher.
Apropos: verlorene Endspiele. Wie oft träumen Sie eigentlich noch von Oliver Kahns Patzer im WM-Finale 2002?
Gar nicht, denn so ticke ich nicht. Im Fußball gewinnt und verliert man, es ist Teil des Geschäfts. Und mir ist völlig bewusst, dass allein das Erreichen des Finals ein toller Erfolg war, denn wir waren ganz sicher nicht die zweitbeste Mannschaft des Turniers, aber wir hatten einen großen Teamgeist und Siegeswillen, wir waren körperlich gut drauf und haben auch etwas defensiver gespielt.
Die Fans von Bayer Leverkusen mussten 2002 noch weitere Niederlagen hinnehmen: Die Mannschaft um Michael Ballack stand im Champions-League-Finale, im DFB-Pokal-Finale und auf dem ersten Platz der Bundesligatabelle – beendete die Saison mit drei Vize-Titeln. Hängt dieses Jahr heute noch wie ein Fluch über dem Verein?
Nein, im Gegenteil. Gelegentlich frage ich mich sogar, ob es jemals wieder so wie damals werden wird: Denn Bayer hatte eine unglaubliche Mannschaft, wir hätten die Meisterschaft verdient gehabt und auch den Sieg in der Champions League. Schließlich waren wir die bessere Mannschaft.
Oligarchen und Scheichs kaufen sich in England Traditionsvereine. Gibt es Entwicklungen im modernen Fußball, bei denen Ihnen mulmig wird?
Manchmal wird einem schon schwindelig und man denkt, jetzt muss doch das Maximum erreicht sein. Aber dann haut wieder ein Klub einen neuen Fantasiebetrag raus. Allerdings finde ich die Entwicklung in der Bundesliga nicht bedenklich, denn hier wird gesund gewirtschaftet. Hingegen in Italien und Spanien wird Geld ausgegeben, das gar nicht da ist. Und in England sitzen diese unglaublich reichen Oligarchen…
„Wie wäre das WM-Finale 2002 mit Ballack ausgegangen?“
Können Sie Fans verstehen, die mit dem „Modell Hoffenheim“ nichts anfangen können, wo Mäzen Dietmar Hopp durch private Investitionen aus einem Kreis- einen Bundesligisten gemacht hat?
Natürlich ist es am Anfang gewohnheitsbedürftig, aber ich glaube, es wird gar nicht lange dauern, da werden sich alle daran gewöhnt haben. Ich würde die Fans gerne mal fragen, was die mit 6 Milliarden auf dem Konto machen würden. Viele würden doch auch sagen: Ich kaufe mir jetzt meinen Lieblingsverein. Und Hopp hat ja nicht nur den Fußballverein als Hobby, sondern er unterstützt noch viele weitere soziale Projekte in seiner Region.
Der VfL Wolfsburg ist heute das, was früher Bayer Leverkusen war: Ein Klub, der am Tropf eines Unternehmens hängt.
Der VfL Wolfsburg steht gerade vor diesem Umbruch, vor dem wir Anfang der 90er Jahre standen. Der Verein will nicht mehr die graue Maus bleiben, sondern er will angreifen und in die Champions League. Auch, um dieses negative Image des Werksklubs in ein positives umzumünzen. Ein nachvollziehbares Ziel.
Können Sie verstehen, warum so unendlich viel Geld in den Fußball gepumpt wird?
Das wusste schon Sepp Herberger: Der Fußball besitzt so eine Anziehungskraft, weil keiner weiß, wie das Spiel ausgeht. Schauen Sie auf andere Sportarten: Im Handball wird niemals ein Zweitligist gegen den THW Kiel gewinnen. Da können alle Kieler mit der schwachen Hand werfen, die gewinnen trotzdem. Oder im Basketball: Keine deutsche Bundesligamannschaft wird jemals gegen ein NBA-Team gewinnen. Im Fußball ist es anders: Da kann ein Viertligist im Pokal immer einen Erstligsten rauswerfen.
Rudi Völler, wenn Sie auf Ihre 32 Jahre als Profi, Trainer und Sportdirektor zurückblicken: Gibt es irgendetwas, was Sie ändern würden?
Manchmal denke ich an das WM-Finale 2002 zurück. Ich frage mich, wie es wohl gewesen wäre, wenn Michael Ballack mitgespielt hätte. Mit ihm hätten wir große Chancen gehabt, das Endspiel zu gewinnen.