Es heißt, 29 sei das beste Alter für einen Fußballprofi. Marcell Jansen fand, es sei das beste Alter, um mit dem Fußball aufzuhören. Ist seine Karriere deshalb unvollendet?
Was haben Sie sich von Ihrem ersten Gehalt gekauft?
Ich habe meinen Eltern ein Haus gebaut. Damit sie mal etwas teilen können, Freunde in den Garten oder den Partykeller einladen. Allerdings haben sie später manchmal gesagt, dass ihnen die 60-Quadratmeter-Wohnung auch gereicht hätte, es müsse schließlich alles gepflegt werden.
Hat Sie das viele Geld nicht glücklicher gemacht?
Ich war während meiner Karriere glücklich, aber nicht wegen des Geldes. Es waren eher kleine Momente. Ich erinnere mich etwa gerne an die ersten Trainings bei Dick Advocaat in Gladbach.
Was war daran so bemerkenswert?
Ich hatte vor ihm schon einige Male bei den Profis mittrainiert, wurde aber immer wieder zur zweiten Mannschaft zurückgeschickt. Da war ich bald der Running Gag. „Na, biste wieder hier?“, hieß es immer, wenn ich wieder meinen Spint einräumte. Dann kam Advocaat, und bei einer Einheit fehlten ihm Spieler. Irgendjemand sagte zu ihm: „Da ist doch dieser Jansen auf der Geschäftsstelle!“
Auf der Geschäftsstelle?
Da habe ich damals Zivildienst gemacht, von morgens um acht bis 15 Uhr. Während ich eines Tages die Pässe unserer Jugendspieler alphabetisch sortierte, klingelte das Telefon und Advocaats Co-Trainer war dran: „Marcell, was machste?“ – „Ja, arbeiten natürlich.“ – „Kannste kommen?“ – „Ich habe keine Sachen!“ – „Nimmst du vom Hausweiler.“ Markus Hausweiler hatte glücklicherweise dieselbe Schuhgröße. So ging das ein paar Mal, bis ich dabeiblieb. Und in der Rückrunde lief ich bei jedem Spiel der Profis auf.
Zwei Spielzeiten später, im Sommer 2007, stieg der Klub ab, und sie wechselten nach 14 Jahren bei der Borussia zum FC Bayern. Die Fans haben Ihnen das krummgenommen. Wie haben Sie reagiert?
Wissen Sie, ich mag Konflikte. Zumindest, wenn sie von Angesicht zu Angesicht ausgetragen werden. Vor Diskussionen am Trainingszaun habe ich mich nie gedrückt. Die meisten Fans hatten vermutlich angenommen, ich sei das größte Arschloch unter der Sonne, ein arroganter Schnösel, der nur aufs Geld guckt. Als ich mich aber mit ihnen unterhielt, merkten einige, dass ich gar nicht so viel anders bin als sie.
Die Fans vermissen im modernen Fußball auch Spieler wie Uwe Kamps oder Uwe Seeler. Kann es solche One-Club-Men heute überhaupt noch geben?
Es ist schwierig. Was in der Kritik oft zu kurz kommt, ist der Blick auf die Schnelllebigkeit des Fußballs. Du kannst als Identifikationsfigur eines Vereins sagen: Ich bleibe für immer. Und dann spielst du in der nächsten Saison fünf Spiele schlecht – und der Trainer setzt dich plötzlich auf die Bank. Oder es kommt ein neuer, der überhaupt nichts mit dir anfangen kann. Du hast vielleicht immer noch dasselbe Potential, aber nun sind die Voraussetzungen ganz andere.
Auch die Presse hat Sie damals oftmals kritisiert. Zurecht?
Ich hatte mit meinem Vater und meinem Berater stets zwei scharfe und gute Kritiker. Wenn ich schlecht spiele, kann man mir das sagen. Womit ich aber ein Problem hatte, war die Erwartungshaltung einiger Leute. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit nach meinen ersten Länderspielen 2005. Kurz zuvor war ich noch das Fohlen, der Gladbacher Jung, der total sympathisch ist. Plötzlich war ich der stinkreiche Superstar, der sich daran messen lassen muss, dass er Nationalspieler ist. Journalisten sagten mir: „Du wirst jetzt härter bewertet.“ Ich verstand die Welt nicht mehr – ich war doch in den paar Wochen kein anderer Mensch und auch kein anderer Spieler geworden.
Sie sagten kurz vor Ihrem Wechsel zum FC Bayern: „Es ist vieles von meiner Liebe verlorengegangen.“ Wann haben Sie Ihren Frieden mit Gladbach gemacht?
Ich war mit dem Verein nie im Krieg. Das ist und war immer ein toller Klub, mit fantastischer Jugendarbeit. Ich bin der Borussia für immer dankbar. Das Geilste war, dass ich im nächsten Jahr mit Bayern die Meisterschaft und den Pokalsieg feiern konnte – und bei Gladbach auf der Aufstiegsfeier mit auf der Bühne stand. Als Fan. Das war mein persönliches Happy End, das ich gebraucht habe.
In München blieben Sie nur eine Saison. Sind Sie dort gescheitert?
Mir haben vorher alle gesagt, du spielst ja sowieso nicht. Dann habe ich in einer Saison weit über 30 Spiele in drei Wettbewerben gemacht, viele davon in der Startelf. Und das trotz einer langwierigen Verletzung.
Als Jürgen Klinsmann im Sommer 2008 übernahm, riet er Ihnen zu einem Wechsel. Sie gingen zum HSV, dem dritten großen Bundesligaklub in Ihrer Vita. Gab es auch andere Möglichkeiten?
Ja, aber die kamen für mich nicht in Frage. Es mag kitschig klingen, aber Fußball bedeutet für mich auch, ein Leuchten in den Augen von zigtausenden Fans zu sehen. Eine besondere Energie im Stadion zu spüren. Und letztendlich ist es auch was anderes, wenn du vor fünf Leuten oder bei einem Traditionsklub vor 500 oder 5000 trainierst.
In diesem Sommer haben viele Fans dem Traditionsklub Hamburger SV trotzdem eher den Abstieg gewünscht als dem SC Paderborn. Nachvollziehbar?
Durchaus. Der HSV hat viel bessere Voraussetzungen als andere Klubs, die jedes Jahr gegen den Abstieg kämpfen. Wenn man die Vereinsbrille abnimmt, war es nicht verdient, dass andere abgestiegen sind. Aber ich war eben auch HSV-Spieler und HSV-Fan. Und ich bin mir eigentlich auch sicher, dass die meisten Fans anderer Klubs insgeheim doch lieber nach Hamburg fahren als zum nächsten Provinzverein.