Ahmed Kutucu bestritt in dieser Saison seine ersten Einsätze für die Profi-Mannschaft von Schalke 04 und traf gegen die Bayern. Im Interview spricht der 19-jährige über seine Heimat, Ascheplätze und über die Kritik der eigenen Fans.
Ahmed Kutucu, Ihr Vater war 33 Jahre lang Bergmann in Gelsenkirchen, Sie sind hier geboren und seit der U12 schon bei Schalke 04 – mehr Gelsenkirchen geht kaum.
Das stimmt. Ich wohne in Gelsenkirchen Bismarck, das ist eine Bergbau-Gegend, die bekannt ist durch die Zeche „Consol“, die hier bis heute steht. Aber ich sage immer: Ohne den Fußball würde die Stadt kaum jemand kennen. Klar, Zeche und Bergbau machen die Region schon bekannt, aber der Fußball spielt schon immer eine große Rolle.
Dann sind Sie also auch früh zum Fußball gekommen?
Definitiv. Wir haben schon als wir ganz kleine Kinder waren, immer so lange bei uns im Hof gespielt, bis wir verscheucht wurden. Dann sind wir zum Fußballplatz gegangen, der etwa drei bis vier Minuten von mir zu Hause entfernt ist. Manchmal war das etwas schwierig, weil wir ja erst sechs, sieben Jahre alt waren und wir alleine hinlaufen mussten. Das fanden die Eltern nicht immer gut. Sonst war ich oft an der Zeche Consol, nach der Stilllegung wurde dort ein Park errichtet, da gab es sogar geteerte Bolzplätze, keine Ascheplätze.
Dabei gelten Sie als Fan von Ascheplätzen.
Ich habe letztens erst gesagt, dass ich auf Asche immer noch grätschen würde. Das habe ich damals gemacht, das würde ich heute noch tun. Es gehört einfach zum Fußball dazu, egal wo man spielt.
Die viel zitierte Malochermentalität also.
Mit sechs bin ich bereits zu Rot-Weiss Essen gewechselt, vorher habe ich bei den Sportfreunden Haverkamp gespielt. Bei einem Spiel war ein Scout am Platz, der mich gesehen und zum Probetraining eingeladen hat. Bei RWE habe ich dann meistens mit zwei bis drei Jahre Älteren in einer Mannschaft gespielt, da haben die anderen Eltern teilweise etwas schräg geguckt. Ich war ja viel kleiner als alle anderen. Aber im Nachhinein muss ich sagen, dass es das Beste ist, was mir passieren konnte, weil man lernt, sich durchzubeißen.
Stichwort „andere Eltern“ – wie fanden es Ihre Eltern, dass Sie so früh, so viel in den Fußball investiert haben?
Die haben mich immer unterstützt, das ist auch heute noch so, deswegen wohne ich ja auch noch zu Hause. Das wird sich, vermutlich bis ich heirate, höchstwahrscheinlich auch nicht ändern. Alleine zu wohnen ist momentan noch nichts für mich. Wenn ich mal ein schlechtes Spiel gemacht habe, ist es schön zu wissen, dass jemand zu Hause ist, mit dem man das bereden kann.
Einer der Sie auch viel unterstützt, ist Norbert Elgert. Er sagte einmal über Sie: „Ein weiteres Wunder aus der Knappenschmiede“.
Zu Herrn Elgert habe ich einen super Draht. Er hat mich sehr weit gebracht, weil er es geschafft hat, meine Zweifel, die ich zu Beginn bei der U19 hatte, zu beseitigen. Unter ihm habe ich sogar alle Läufe gerne gemacht, weil ich wusste, dass es mir helfen würde.
Sie haben dieses Jahr zusätzlich noch ihr Abitur gemacht. Wie muss man sich Ihren Tagesablauf vorstellen?
Während der Zeit bei der U19 bin ich recht früh aufgestanden, gegen 6:45 Uhr, habe gefrühstückt, wobei man sagen muss, dass ich morgens nie viel Hunger hatte. Meistens gab es deswegen nur einen Kaffee und eine Banane. Bis um 16 Uhr war ich in der Schule, dann ging es direkt weiter zum Training. Seitdem ich bei den Profis bin, ist mein Tag etwas schwieriger zu koordinieren, die trainieren ja auch oft morgens. Das haben wir im Endeffekt aber gut hinbekommen, jetzt muss ich noch auf die Notenbekanntgabe warten und hoffe, in keine Nachprüfung zu müssen.
Bei so einem vollgepackten Tagesablauf gestaltet sich das Pflegen sozialer Kontakte sicher schwierig.
Bei den Profis habe ich sogar mehr Zeit, mich mit Freunden zu treffen, weil ich nicht so lange in der Schule und dementsprechend früher fertig bin. Dann kann ich mich abends nochmal mit Freunden treffen. Aber es stimmt, ich habe meine Familie, meine zwei besten Freunde und noch ein paar Kumpels.
Das Derby gegen Borussia Dortmund war dann sicher für Sie und ihre Familie ein besonderes Spiel.
Ja, klar! Ich war früher oft Balljunge, habe Raul spielen sehen oder die Vorlage mit der Hacke von Draxler bei Rauls Abschiedsspiel, sowas war schon krass. Ich hatte schon eine etwas andere Verbindung zu diesem Spiel, ich verbringe quasi mein ganzes Leben mit Schalke. Da ist es einfach was Besonderes. Im Derby selbst saß ich aber nicht als Fan, sondern vor allem als Spieler auf der Bank. Wir haben ein super Spiel gemacht und danach mit den Fans gefeiert – für sie hat es mich besonders gefreut, dass wir gewinnen konnten. Sie hatten sich das wirklich verdient. Wir haben diese Saison viele schlechte Spiele gemacht, das muss man so deutlich sagen und zugeben.
Ist die Kritik der Fans denn gerechtfertigt?
Ja, auf jeden Fall. Als Spieler ist das natürlich nicht immer einfach, aber es gehört dazu. Als Benjamin Stambouli zum Beispiel die Kapitänsbinde abgenommen wurde, war das schon kein schöner Moment für uns. Er persönlich konnte nichts dafür und so etwas vor 60.000 Leuten zu erleben, wünscht man keinem. Nach dieser schwierigen Saison sollten wir alle jetzt das große Ganze sehen: Wir sind ein Verein. Und wir haben die Situation irgendwie zusammen gemeistert, jetzt müssen wir daraus lernen und können neu anfangen.
Hinter Ihnen liegt jetzt eine sehr anstrengende Saison – gehen Sie erleichtert in die Sommerpause?
Diese Saison war schon sehr viel los. Deswegen bin ich einerseits froh erst einmal etwas Ruhe zu finden, andererseits gibt es natürlich nichts, was mir mehr Spaß macht als Fußball zu spielen. Wahrscheinlich werde ich es in ein paar Tagen schon vermissen, aber gerade als junger Spieler ist es wichtig, sich auch Pausen zu nehmen.
Wie war es für Sie in zwei verschiedenen Mannschaften zu spielen? Sie füllen sicher unterschiedliche Rollen innerhalb der Teams aus.
Ein Spiel habe ich sogar noch für die U23 gemacht. Für mich war immer klar: Alles was ich bei den Profis erlebe, ist Bonus. Ich hatte dort Hochs, wie mein Tor gegen die Bayern. Es gab aber auch Tiefs, in denen ich nicht gespielt habe und auch nicht eingewechselt wurde. In dieser Zeit kommt man schnell ins Grübeln und fragt sich, ob man gut genug ist. Wenn ich bei den Profis nicht zum Einsatz gekommen bin, dann habe ich immer nachgefragt, ob ich bei der U19 spielen kann. Gerade bei den Halbfinals der deutschen Meisterschaft, gegen Borussia Dortmund, war es für mich persönlich wichtig, dabei zu sein.
Was tun Sie, wenn Sie beginnen zu zweifeln?
Ich spreche viel mit meiner Familie. Auch meine besten Freunde und mein Berater sind wichtige Bezugspersonen in diesen Momenten. Manchmal will ich auch mit niemandem reden, sondern mich einfach ablenken. Den Fußball einfach kurz ruhen lassen.
Das können Sie nun in der Sommerpause machen. Wie sind die Pläne für die kommende Saison?
Ich bin ganz normal bei den Profis bei der Vorbereitung und dann sehen wir weiter. Ich hoffe, dass ich auf meine Einsatzzeiten komme. Spielen ist momentan für mich und meine Entwicklung das Wichtigste.
Im Sommer ist auch noch die U21-EM, Sie spielen für die türkische U19-Nationalmannschaft. Haben Sie schon entschieden, für welche Nationalmannschaft sie später spielen wollen?
Ich halte mir da alles offen, ich habe noch nichts entschieden. Da ich bislang nur für die Junioren gespielt habe, kann ich auch noch wechseln.
Leon Goretzka hat nach rassistischen Anfeindungen beim Spiel der deutschen Nationalmannschaft gesagt: „Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets. Da antwortet man auf die Frage nach der Nationalität Schalke, Dortmund oder Bochum. Für uns ist Integration kein Thema, sondern Selbstverständlichkeit“ Spielt Herkunft für Sie eine Rolle?
Nein, wir sind alle Menschen. Mich interessiert es nicht, ob einer Türke, Afrikaner oder Deutscher ist. Ob er in Europa geboren ist. Es ist egal welche Religion, egal welche Hautfarbe oder Haarfarbe jemand hat. Wir sind alle Menschen und man sollte jeden Menschen gut behandeln. Für Rassismus besitze ich keinerlei Toleranz. Affenlaute oder Ähnliches sind einfach nicht korrekt, die Leute wollen selbst auch nicht so behandelt werden. Ich respektiere grundsätzlich jeden.