Nach sechs Jahren Pause erscheint zur neuen Saison wieder das Offenbacher Kult-Fanzine ERWIN. Wir sprachen mit den Herausgebern Andreas Schmidt und Steffie Wetzel über Hoffnung in Offenbach, weinende Interviewpartner und die Eier von Manni Binz.
Steffie Wetzel, Andreas Schmidt, als das OFC-Fanzine ERWIN 1994 das Licht der Welt erblickte, ging es den Kickers sportlich und finanziell ziemlich schlecht. Nun kommt es überraschend zur Neuauflage. Wir erkennen da ein Muster…
Der ERWIN startete im Winter 1994. Die sportliche Situation war nicht gut, die finanzielle auch nicht. Aber finanziell sieht es ja eh immer schlecht aus beim OFC. Damals war die Stimmung im Umfeld katastrophal, da musste etwas getan werden. Unter dem Motto „Wir haben keine Kohle, wir können nicht kicken, aber wir können ein Heft machen“ wurde damals der ERWIN aus der Taufe gehoben. In der Hoffnung, den Spaß in die Fanszene der Kickers zurückzubringen. Und klar: Die Situation heute ist die gleiche wie damals.
ERWIN genoss recht schnell einen gewissen Kultstatus, auch jenseits der Offenbacher Stadtgrenzen. Woran lag das?
Es ging bei uns immer sehr familiär zu, das hat das ganze authentisch gemacht. Wir waren eine kleine Gruppe, die genau wusste, was sie will – die ERWIN-Family. Außerdem kam hinzu, dass ERWIN alle erreicht hat. Jenseits aller gesellschaftlichen oder politischen oder auch Altersgrenzen.
Außerdem war der ERWIN sehr humorig geschrieben.
Das auch. Es gab damals aber auch einfach nichts zum OFC. Nicht mal ein Stadionmagazin. Auf der sportlichen Landkarte Hessens waren wir für kurze Zeit sogar hinter ein Provinzteam wie die SG Egelsbach gerutscht, in der Presse fanden die Kickers damals so gut wie gar nicht mehr statt. Auch deshalb war ERWIN direkt sehr erfolgreich.
Erhofft Ihr euch in der aktuell schwierigen Situation nach dem Lizenzentzug eine ähnliche Aufbruchsstimmung wie 1994?
Es sieht so aus. Die Reaktionen im Umfeld sind durchweg positiv und viele Fans sind der Meinung, dass es genau der richtige Zeitpunkt für eine Neuauflage ist. Es gibt doch seit Monaten nur negative Schlagzeilen vom OFC. Nach dem Lizenzentzug stand und steht ja selbst das komplette Ende des Vereins noch im Raum. Da wollen wir wenigstens ein bisschen für positive Stimmung sorgen.
Ihr habt 2007 nach 13 Jahren ERWIN aufgehört. Wie war der Abschied?
Sehr emotional. Wir wurden in der Halbzeit eines Zweitligaspiels offiziell vom Verein verabschiedet, bekamen Trikots geschenkt und die Gegengerade, auf der wir ja sonst auch stehen, skandierte „ERWIN, ERWIN“. Die eine oder andere Träne haben wir damals verdrückt. Und auch überlegt, ob es die richtige Entscheidung war, aufzuhören.
Ihr habt 13 Jahre lang ein Fanzine gemacht. Ihr müsst doch auf einer wahren Schatzkiste an Anekdoten sitzen.
Das kann man so sagen. Ein Highlight war sicherlich das Interview mit Manni Binz. Binz erzählte uns von einem geplanten Transfer nach Italien. Damals flog er mit seinem Berater Klaus Gerster, der sich übrigens nie Berater sondern immer nur „Väterlicher Freund“ nannte, nach Italien, um in die Serie A zu wechseln. Nach zähen Verhandlungen reiste Gerster wieder zurück nach Deutschland und ließ Binz erstmal in Italien, woraufhin der Panik bekam und dachte, die Italiener würden ihn entführen wollen. Also rief er Gerster an und schrie ins Telefon „Klaus, die hacken mir hier die Eier ab“. All das erzählte uns Binz mit seiner schnodderigen, hessischen Art so eindringlich, dass wir beschlossen, das Interview unverändert ins Heft aufzunehmen. Mitsamt der „Ähs“ und „Mhs“
Das hätte sicherlich nicht jeder Spieler mit sich machen lassen.
Nein, nicht alle Spieler waren bei Interviews so unkompliziert wie Manni Binz. Es gab einen Spieler, den Namen behalte ich für mich, der uns ein Interview gab und ordentlich vom Leder zog. Wir schickten ihm den Text zum Gegenlesen und er bekam immer kältere Füße, weswegen wir immer mehr Änderungswünsche einarbeiten mussten. Ein riesiger Stress für alle Seiten. Irgendwann war Produktionswoche und er wollte das Interview immer noch nicht autorisieren. Wir telefonierten immer wieder mit ihm, was ihn wohl so unter Druck setzte, dass er tatsächlich irgendwann anfing zu weinen. Schrecklich. Es gab dann ein Geheimtreffen mit ihm an der Raststätte Weißkirchen, wo wir das Interview noch mal mit ihm durchgehen mussten. Wie in einem schlechten Krimi. Vom ursprünglichen Interview ist dann kaum etwas übrig geblieben.
Legendär ist auch eure Fanshop-Geschichte.
Irgendwann vor Jahren bekamen wir einen Anruf von der Polizei. Ein Mitarbeiter hatte versehentlich den Fanshop am Bieberer Berg offen gelassen, in dem dann eine Horde Fans stand und sich bediente. Die Polizei wurde gerufen, die wussten aber auch nicht so recht, was sie machen sollten. Auf der Geschäftstelle war weit und breit niemand zu sehen. Im Fanshop lag allerdings der ERWIN aus, samt unserer Nummer im Impressum. Den Polizisten fiel dann nichts Besseres ein, als uns anzurufen, und wir mussten dann dem Geschäftsführer Bescheid geben, dass bitte jemand den Fanshop abschließt, damit die Leute nicht alles plündern.
Wie wir gehört haben, ist das nicht die einzige Story, in der die Polizei eine Rolle spielte.
In den dunklen Oberligajahren hatten wir mal ein Auswärtsspiel in Flieden. Wir wollten mit der Redaktion einen Wochenendausflug dorthin machen und einen Text darüber schreiben, weswegen wir Zimmer in den örtlichen Pensionen reservierten. Auf die Idee kamen allerdings noch ein Haufen anderer Fans, so dass am Ende alle Betten in Flieden ausgebucht waren. Die Polizei bekam irgendwie Wind davon und hielt uns für Hooligans, die extra früh anreisen, um der Polizeikontrolle zu entgehen. Bald darauf tauchten Undercover-Beamte in Offenbacher Kneipen auf, um Erkundigungen einzuholen. Das ging so weit, dass Polizisten auf der Arbeitsstelle eines Fans auftauchten und dem Chef unangenehme Fragen stellten. In der Fliedener Regionalzeitung gab es dann sogar völlig absurde Sicherheitshinweise, wie man sich gegenüber OFC-Fans zu verhalten habe. Völlig verrückt. Beim Spiel selber standen dann alle friedlich am Spielfeldrand. Und abends wurde gemeinsam gefeiert.
In vier Wochen ist es nun soweit und der neue ERWIN erscheint zum ersten Spieltag. Habt Ihr etwas Besonderes geplant?
Nein, geplant ist nichts. Auch inhaltlich soll alles so bleiben, wie es war. Die einzige Änderung wird es im redaktionellen Bereich geben. Von der 2007er Redaktion sind vier der fünf Mitglieder wieder an Bord. Und langfristig werden wir das Team ein ganzes Stück erweitern. Unser erstes Spiel der Regionalligasaison ist auswärts in Koblenz, vielleicht gibt es eine kleine Release-Party vor den Koblenzer Kassenhäuschen.
Als ihr aufgehört habt, war der OFC Sechster der Zweiten Liga und finanziell einigermaßen gesund. Geht es dank ERWIN wieder dorthin?
Abwarten. Als Kickers-Fan ist man eher misstrauisch und an das Leiden gewöhnt. Meistens geht es darum, möglichst knapp dem Abgrund zu entkommen.