Im Sommer 2015 wechselte der ehemalige HSV-Keeper Sascha Kirschstein zu einem rumänischen Erstligisten. Nun versucht der Klub ihn wegzumobben. Was ist da los?
Vermissen Sie die Bundesliga?
Natürlich war die Zeit in der Bundesliga toll. Aber ich bin realistisch: Meine Zeit als Profifußballer ist in Deutschland vermutlich vorbei. Da gibt es genügend gute Keeper.
Sie verspüren keine Wehmut, wenn Sie Spiele des FC Ingolstadt oder des HSV schauen?
Überhaupt nicht. Immerhin kann ich sagen, dass ich der letzte HSV-Torwart war, der Champions League gespielt hat. (Lacht.)
Wobei Ihr erstes Champions-League-Spiel, im September 2006, ganz schön in die Hose ging.
Das stimmt. Wir spielten gegen den FC Arsenal, und ich musste nach zehn Minuten wegen einer Notbremse gegen Robin van Persie runter. Wir verloren 1:2.
Jens Lehmann traf sie danach in den Katakomben. Sie sollen geweint haben.
Ich war total fertig. Der HSV hatte jahrelang auf diesen Tag hingearbeitet – und dann das. Van Persie sagte nach dem Spiel sogar, dass ich ihn nicht berührt habe. Und Jens Lehmann plädierte für eine Regeländerung. Er nahm dieses Beispiel als Beweis für die Sinnlosigkeit der Notbremsen-Regel. Das tat mir gut. Außerdem schenkte er mir sein Trikot.
Nach Ihrem Debüt gegen Leverkusen schrieb die „Hamburger Morgenpost“ von einem „furiosen Spiel“, und die „FAZ“ nannte Sie „kühl, nervenstark und hoch konzentriert“.
Es ging wirklich ziemlich rasant los am Anfang. Wenige Wochen nach dem Leverkusen-Spiel stand ich im DFB-Pokal gegen den FC Bayern im Tor. Ich hielt wirklich alles – bis zur 114. Minute, als Owen Hargreaves das 0:1 machte. Nach dem Spiel kam Oliver Kahn zu mir und legte mir den Arm um die Schulter. „Sensationelles Spiel“, sagte er. Ein schöner Moment. Nachher gratulierte mir auch Uli Hoeneß.
Sie spielten danach in Fürth, Ahlen, Ingolstadt und Aue. Warum schafften Sie nie die Rückkehr in die Bundesliga?
Haben Sie mal meinen Namen gegoogelt?
Natürlich.
Es gibt allerhand Geschichten über mich. Viele haben vielleicht gedacht: Was ist das denn für ein Typ?
Der „Spiegel“ berichtete 2009, dass Sie an einer geplanten Manipulation des Spiels Ahlen gegen Hansa Rostock beteiligt waren und dafür bis zu 50.000 Euro verlangt haben.
Nichts von dem ist wahr. Ich wurde von einem Typen benutzt. Und weil ich nichts zu verbergen hatte, gewährte ich der Polizei die komplette Einsicht. Ich gab ihnen meine Rechner, Telefone, sämtliche Unterlagen. Sie fanden nichts. Ich wurde freigesprochen.
Hängt Ihnen das noch nach?
Natürlich. Neue Vereine sind immer skeptisch. Ich muss jedes Mal ein offizielles Schreiben des Gerichts vorlegen, das belegt, dass ich freigesprochen wurde. So war es auch bei ACS Poli Timisoara, die von dem Manipulationsvorwurf gehört hatten und mich dazu befragten. Ich unterschrieb eine Klausel, die besagt, dass sie mich entlassen können, wenn ich in diesem Fall gelogen habe.
Jetzt sind Sie in Rumänen und klagen gegen Ihren Verein. Hätten Sie sich manchmal ein wenig mehr Ruhe in Ihrer Karriere gewünscht?
Wie konnte ich wissen, dass es so läuft? Ich bereue keinen Schritt. Nicht mal den Wechsel nach Timisoara. Ich mag die Stadt. Außerdem bin ich zuversichtlich, dass ich einen neuen Verein finde. Trotzdem kann ich an dieser Stelle noch mal alle Spieler warnen: Geht nicht nach Rumänien!
Sind Sie verbittert?
Nein. Eigentlich bin ich sehr zufrieden mit meiner Karriere. Ich habe gute Zeiten gehabt, auch in Fürth, Ahlen, Aue oder Ingolstadt. Und ich habe Bundesliga und Champions League gespielt. Für einen Braunschweiger Jungen, der aus bescheidenen Verhältnissen kommt, war das eine tolle Sache. Außerdem bin ich längst nicht fertig.
Sie werden im Juni 36.
Na, und? Ich möchte noch mit 40 spielen. Fußball macht mir einfach Spaß.