Der Uefa-Cup wurde immer so behandelt wie eine sympathische, aber biedere Dame beim Blind Date. Vor genau zehn Jahren schrieb der FC Bayern in Getafe die Geschichte um.
91. Minute: Javier Casquero überwindet Kahn mit einem krachenden Distanzschuss, Innenpfosten, drin. 93. Minute: Lucio rutscht weg, Braulio schiebt listig ein, und 16.000 klingen plötzlich wie 60.000. „Das ist das Aus für die Bayern! Ein Alptraum für Oliver Kahn, ein Alptraum“, ruft von Thurn und Taxis ins Mikro. Kahn sitzt im Spagat am Fünfer und schaut ins Nichts.
„Nach dem 1:3“, wird Rummenigge sagen, „habe selbst ich keinen Pfifferling mehr auf unsere Mannschaft gesetzt“. Doch noch sind die Münchner nicht erledigt. Spätestens seit dem Traumata des verlorenen Champions-League-Finals von 1999 wissen sie, dass erst dann nichts mehr geht, wenn die dicke Dame singt (und damit ist nicht unser Blind-Date-Fräulein gemeint).
Ausgerechnet Sosa
Fünf Minuten, ein Freistoß von Mark van Bommel, maximal harmlos, doch Roberto Abbondanzieri leugnet die Tatsache, früher mal argentinischer Nationalkeeper gewesen zu sein; die Kugel hüpft aus seinen Fangarmen, Luca Toni staubt ab. „Um Gottes willen, um Gottes willen“, japst von Thurn und Taxis, „was macht denn der Abbondanzieri? In diesem Spiel ist und bleibt alles möglich.“
Der Möglich-Macher heißt Toni. Und natürlich heißt er Kahn. Verzweifeltes Anrennen der Bayern und ein Torwart-Titan, der sein Territorium verlässt: „Als ich raussprintete, wusste ich, es sind noch eineinhalb Minuten. Es wäre der optimale Zeitpunk gewesen, mein erstes Tor zu schießen.“ Am Getafe-Strafraum schmeißt er sich grobmotorisch in Luftzweikämpfe, was einen Spieler namens José Ernesto Sosa zum Protagonisten erhebt.
Eine Frrrrrrreude
Dieser Argentinier wird es in seiner kompletten, wiewohl kurzen Bayern-Laufbahn auf exakt einen lichten Moment bringen, und es hat gewisse Vorteile, dass es sich dabei um jene 120. Minute von Getafe handelt. Toni wuchtet Sosas Flankenball – „keine Ahnung, wo der herkam“ – im Getümmel per Aufsetzer ins Netz. „Toooor! Toooor für die Bayern! Luca Toni, 3:3“, plärrt von Thurn und Taxis. „Es ist ein Wahnsinn. Sowas habe ich noch nicht erlebt. Ein unfassbares Spiel mit einem irren Finale, ein Finale furioso.“
Und endlich, endlich: die Zigarette. Eine Frrrrreude.
Indes hat Kahn seine Lust am Spurten entdeckt, auf dem Rückweg rudert er so wild mit den Armen, dass der arme van Bommel einen Handschuhschlag aufs Nasenbein abkriegt. Kahn fällt Hitzfeld um den Hals, dieser seufzt halb erschöpft, halb erleichtert: „Ach, Olli, was wir noch alles zusammen erleben müssen.“ Getafe als Mahnmal.
Und Petersburg als Menetekel. 1:1 und 0:4 im Halbfinale. Das nächste Blind Date entpuppt sich als Reinfall. Wie im richtigen Leben.