Der SV Werder holt nach zehn Jahren wieder einen Punkt beim FC Bayern. Nach der prekären Saison 2019/20 schaffen es die Bremer, sich auch ohne Personalrochaden wieder in der Bundesliga zu stabilisieren. Andere Klubs sollten sich ein Beispiel daran nehmen.
Baumann stand in diesen Monaten für seine Transferpolitik schwer unter Beschuss, Kohfeldt war als Übungsleiter praktisch ausgezählt – und wäre vermutlich bei jedem Bundesligisten, vom SC Freiburg mal abgesehen, längst entlassen worden. Stattdessen aber nahmenin der medizinischen Abteilung des Klubs mehrere Personen ihren Hut. Doch der Aufsichtsrat, der Vorstand, die Mitarbeiter der Geschäftsstelle und die sportliche Leitung hielten in dieser stürmischen See zusammen – die der Corona-Taifun mit seinen wirtschaftlichen Hiobsbotschaften noch anpeitschte – und standen es durch.
Eine Folge dieser Extremerfahrung ist die selbstsichere Haltung des Aufsichtsrats – nicht nur in der Baumann-Causa. Das Kollegium um Marco Bode hat offenbar verstanden, dass die Herausforderungen der Gegenwart zu vielfältig sind, um das Wagnis einzugehen, auf der Managerposition nicht für klare Verhältnisse zu sorgen. Der Klub geht innerlich gestärkt durch die Krise. Und glaubt, einmal mehr, an die Magie der Kontinuität. Das unmissverständliche Bekenntnis zum Trainer zeigt sich nun auch wieder im Auftritt der Mannschaft. Werder hat sich nach acht Spieltagen in der oberen Tabellenhälfte eingerichtet. Und verliert trotz fünf 1:1‑Unentschieden in Folge (sic!) nicht die Überzeugung an die eigene Stärke.
Nachdem der Klub in der vergangenen Saison mehr als 2000 Krankentage seiner Spieler zu verzeichnen hatte, bietet Florian Kohfeldt derzeit mit Ausnahme von Niclas Füllkrug und Milos Vejkovic seine Bestbesetzung auf. Wozu das Team imstande ist, zeigte der SVW am Wochenende beim FC Bayern. Die Bremer waren beileibe nicht die ersten, die mit einer 5 – 4‑1-Betontaktik versuchten, in München zum Erfolg zu kommen. Doch anders als die verschüchterte Ligakonkurrenz knickte Werder weder vor der Imposanz der verwaisten Allianz Arena ein, noch vor dem stetig wachsenden Angriffsdruck des siegesgewissen Rekordmeisters. Im Gegenteil: Am Ende konnten die Bayern fast froh sein, dass der SVW ihnen mit seinem lausbubenhaften Aushilfsstoßstürmer Josh Sargent nicht die erste Heimniederlage seit gefühlten Jahrhunderten zufügte.
Es war der erste Punktgewinn der Bremer in der bayerischen Landeshauptstadt seit zehn Jahren. Solche Negativserien können ein Eigenleben entwickeln und die Belegschaft eines Vereins in ihrer mentalen Bewegungsfreiheit einschränken. Dass es Kohfeldts Team gelingt, derlei sinnfreie Mythen vollends zu ignorieren, ist ein gutes Zeichen. Und ein Signal an schlingernde Traditionsklubs wie den FC Schalke 04 und den 1. FC Köln, die aktuell Woche für Woche ängstlicher, verkrampfter und spaßbefreiter im Angesicht des drohenden Abstiegs auftreten. Werder zeigt ihnen, wie man trotz einer Krise mit sportlichen, wirtschaftlichen und medizinischen Problemstellungen zurück in die Spur finden kann:
Indem eine Vereinsführung ihr Anspruchsdenken den Realitäten anpasst! Sich ein Klub auf Werte wie Solidarität und Zusammenhalt besinnt! Nicht an gute Ratschläge von außen, sondern nur an die intern messbaren Ergebnisse auf dem Trainingsplatz glaubt! Und daran, dass es viele Vorteile hat, wenn Menschen in einem sozialen Konstrukt zusammenarbeiten, die sich auch langfristig mit ihrem Arbeitgeber und dem Umfeld identifizieren!
So wie Baumann und Kohfeldt es tun. Da wird auch Willi Lemke nicht widersprechen.