Der SV Werder holt nach zehn Jahren wieder einen Punkt beim FC Bayern. Nach der prekären Saison 2019/20 schaffen es die Bremer, sich auch ohne Personalrochaden wieder in der Bundesliga zu stabilisieren. Andere Klubs sollten sich ein Beispiel daran nehmen.
Vergangene Woche hatte Willi Lemke wieder seine fünf Minuten. Der langjährige Manager des SV Werder und Exponent der großen Erfolge unter Trainer Otto Rehhagel leidet seit dem Abschied von der sportlichen Entscheidungsebene 1999 unter einem Aufmerksamkeitsdefizit. Deshalb geriert sich der SPD-Politiker in aller Regelmäßigkeit als sorgender Klub-Patriarch, der Denkanstöße liefert, damit die handelnden Köpfe am Weserstadion nicht in Selbstgefälligkeit erstarren.
Aktuell geht es um die Vertragsverlängerung seines Nachfolgers Frank Baumann. Werder-Aufsichtsratschef Marco Bode möchte gern früh geordnete Verhältnisse schaffen und den im Sommer auslaufenden Kontrakt mit dem Geschäftsführer Sport erneuern. Willi Lemke hält diese Entscheidung jedoch für einen „Affront“ gegenüber den Mitgliedern und dem neuen Aufsichtsrat, dessen Wahl wegen Corona auf April 2021 verschoben worden ist. Zudem wirft der 72-jährige Funktionärsveteran der Führung nachlässiges wirtschaftliches Handeln vor, weil Werder noch immer keinen Ankerinvestor gefunden habe, der den Klub zukünftig auf ein solides finanzielles Fundament stellt.
Marco Bode begegnet der Kritik mit der ihm eigenen Sachlichkeit und erwägt bezüglich der Baumann-Causa eine Verlängerung zunächst für ein Jahr: „Als Aufsichtsrat sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es fahrlässig wäre, die Entscheidung jetzt nicht zu treffen. Wir können mit der Klärung einer derart wichtigen Personalie nicht bis zwei Monate vor Saisonende warten.“
Angesichts der erschwerten Handlungsmöglichkeiten in Zeiten der Virus-Krise zweifelsohne ein Kompromiss, der von Besonnenheit zeugt. Aber man kennt die Situation bei Traditionsklubs: Es gibt immer mindestens einen, der sich doch nicht adäquat mitgenommen fühlt.
Es ist kein Geheimnis, dass der SV Werder ein Klub ist, dem die Corona-Krise in besonderem Maße zugesetzt hat. Der Verein, der noch weit über die Jahrtausendwende hinaus zur Bundesliga-Spitze gehörte, ist peu à peu ins Hintertreffen geraten und hat im Zuge der freidrehenden Kommerzialisierung den Anschluss verloren. Schon SVW-Manager Klaus Allofs wusste, dass die Akquise eines gewichtigen Geldgebers in der strukturbeschränkten norddeutschen Tiefebene kein Selbstgänger ist. Seit mehreren Jahren schon spielen die Bremer gegen den Abstieg und zeitweise drohte auch in der eher von Kontinuität geprägten Hansestadt der Trainerstuhl zum Schleudersitz zu werden.
Doch seit vor drei Jahren Florian Kohfeldt das Amt als Coach von Alexander Nouri übernahm, ist intern wieder Ruhe eingekehrt. Bode und Baumann, die gemeinsam als Bremer Spieler große Erfolge feierten, leben in dem festen Glauben in die Magie der Kontinuität. Sie haben erlebt, wie Werder sich unter Thomas Schaaf durch eine stete, interne Optimierung von Potentialen und Prozessen an der Tabellenspitze etablierte – und nicht durch Personalrochaden, um dem Druck der Öffentlichkeit genüge zu tun. Als die beiden in Funktionärsämter kamen (Bode folgte Lemke 2014 als Aufsichtsratchef, Baumann wurde 2016 Sportdirektor), mussten sie zunächst genug Nervenstärke entwickeln, um dem äußeren Druck zu kanalisieren.
Doch spätestens die vergangene Saison hat in der SVW-Spitze für eine neue Qualität bei der Resilienz gesorgt. Für eine Widerstandskraft gegenüber medialen und auch den Störfeuern, die von Alt-Internationalen und sonstigen Ex-Bossen an den Klub herangetragen werden. Die Bremer standen trotz der von Kohfeldt geschürten Hoffnung, mal wieder an die internationalen Tabellenregionen heranzurücken, in der Spielzeit 19/20 fast pausenlos auf einem Abstiegsplatz. Vor dem letzten Spieltag schien die Lage an der Weser völlig aussichtslos. Erst wie durch ein Wunder gelang noch der Sprung auf den Relegationsrang und letztlich in den Ausscheidungsspielen gegen den FC Heidenheim der überglückliche Klassenerhalt.