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Gernot Rohr kann eigent­lich zufrieden sein. Der deut­sche Trainer der nige­ria­ni­schen Natio­nal­mann­schaft steht mit seinem Team im Ach­tel­fi­nale des Afrika-Cups. Das war schon nach dem zweiten Spieltag klar. Seine Mann­schaft gehört zu den Favo­riten auf den Titel. Soweit also alles gut, alles normal.

Dann das letzte Grup­pen­spiel. Gegen Mada­gaskar, Welt­rang­lis­ten­platz 108. Rohr lässt alle Stars spielen, John Mikel Obi, Ahmed Musa, auch Alex Iwobi wird ein­ge­wech­selt. Auf der anderen Seite: In Vokalen unter­ge­hende Namen wie Andria­mats­inoro, Ilai­ma­ha­ritra oder Andria­n­an­te­naina.

Ent­gegen aller Gesetz­mä­ßig­keiten des Fuß­balls schlagen diese unbe­kannten Männer den drei­ma­ligen Afri­ka­meister Nigeria mit 2:0.

Flora, Fauna, Fuß­ball

Mada­gaskar, ein Land, über das der Nor­mal­bürger genau so viel weiß wie über Quan­ten­physik. Ach Mada­gaskar, die Natur ist da ja so ein­zig­artig, jaja, da leben ja viele Lemuren und so. Den einen Film, den fand ich prima.“ Dieses Land gehört jetzt zu den besten 16 Fuß­ball­na­tionen des Kon­ti­nents.

Fuß­ball ist keine so kleine Nummer auf der viert­größten Insel der Welt, die mit 580.000 Qua­drat­me­tern etwas größer als Spa­nien ist. Von 25 Mil­lionen Ein­woh­nern sind circa 30.000 in Ver­einen aktiv. Fuß­ball könnte Natio­nal­sport sein. Wären da nicht einige struk­tu­relle Pro­bleme: Die Wege auf der rie­sigen Insel sind weit, das Gros der natio­nalen Meis­ter­schaft wird nur in regio­nalen Gruppen aus­ge­tragen. Der mada­gas­si­sche Fuß­ball­ver­band wurde 2008 vom dama­ligen Sport­mi­nister für ein paar Monate auf­ge­löst, nachdem ein­zelne Fuß­ball-Fans das Stade Muni­cipal de Maha­ma­sina in der Haupt­stadt Antana­na­rivo ver­wüstet hatten. Auch die Fifa schloss den Ver­band für eine Weile aus.

Wäh­rend Gernot Rohr nach dem ver­lo­renen Spiel gegen Mada­gaskar mit etwas grim­miger Miene dem Gegner gra­tu­liert, ver­passen die aus­flip­penden mada­gas­si­schen Spieler ihrem Trainer, einem leicht bier­bäu­chigen, kahl­köp­figen Mann, eine Trink­fla­schen­du­sche. Nicolas Dupuis trai­niert die Mada­gassen seit 2017. Der Fran­zose hatte anfangs mit dem mada­gas­si­schen Fuß­ball­ver­band zu kämpfen, angeb­lich wurde ihm lange kein Ver­trag gegeben. Finan­zi­elle Mittel vom Staat für den Sport gab es wenige. Das ändert sich seit kurzem. Anläss­lich des Ach­tel­fi­nals hat Mada­gas­kars Prä­si­dent Andry Rajo­elina jetzt ein Flug­zeug gemietet, mit dem 480 Fans zur Partie nach Ägypten fliegen können. Außerdem begleitet der mada­gas­si­sche Sport­mi­nister die Mann­schaft beim Tur­nier. Den Trainer macht das sehr glück­lich. Wir wissen, dass es eine große Begeis­te­rung um uns gibt und wir haben echte Fans in Mada­gaskar, es ist Wahn­sinn“, sagte Dupuis kürz­lich in einem Inter­view mit der fran­zö­si­schen Zeit­schrift France Foot­ball.

Unser Afrika-Cup ist gewonnen“

In seinem Hei­mat­land hat der Fran­zose selbst nie höher als viert­klassig gespielt, und auch als Trainer ging es nie über die höchste fran­zö­si­sche Ama­teur­liga, die National 2, hinaus. 15 Jahre lang war er Coach beim Viert­li­gisten AS Yzeure, danach an glei­cher Stelle für ein paar Jahre Manager – bis 2017 die Anfrage aus Mada­gaskar kam. Vor vier Jahren sagte Dupuis, nach seinem bis­he­rigen Kar­riere-High­light gefragt: Ohne zu zögern: Das Match gegen Lorient. Das war das erste Mal, dass ich ein Team der Ligue 1 besiegt habe.“ Die AS Yzeure gewann damals im Coupe de France mit 1:0 gegen den Erst­li­gisten, schied dann aber im Ach­tel­fi­nale gegen Olym­pique Lyon aus. Ein Ama­teur mit beschei­denem Erfolg. Bis­lang.

Jetzt steht er wieder im Ach­tel­fi­nale. Gegen die Demo­kra­ti­sche Repu­blik Kongo ist Mada­gaskar klarer Außen­seiter, keine Frage. Wir werden ein­fach Spaß haben, spielen und unser schönstes Gesicht zeigen“, sagt Dupuis. Unser Afrika-Cup ist gewonnen.“

Allein die erst­ma­lige Qua­li­fi­ka­tion für das Tur­nier war eine Sen­sa­tion. Die Mada­gassen setzten sich gegen den Sudan und Äqua­to­ri­al­guinea durch und mussten ein K.O‑Spiel gegen São Tomé und Prín­cipe bestreiten, das sie mit 3:2 gewannen. Beim Tur­nier folgten ein Sieg gegen Burundi und ein Unent­schieden gegen Guinea. Zuge­geben: Diese Staaten sind auch inner­halb des afri­ka­ni­schen Fuß­balls keine beson­ders großen Namen. Aber allemal größer als Mada­gaskar. Zumal Nigeria und der damit ver­bun­dene Einzug in die K.O.-Runde ja noch kommen sollten. Nun nimmt die Geschichte des mada­gas­si­schen Fuß­balls fast schon islän­di­sche Aus­maße an.

Wie immer, wenn ein Underdog das unmög­lich Geglaubte mög­lich macht, sucht der erstaunte Fuß­ballfan nach dem einen Geheimnis, das hinter dem uner­war­teten Erfolg steckt. Etwa eine gol­dene Gene­ra­tion?

Das Team von Nicolas Dupuis besteht aus vielen Legio­nären, einige spielen in der Ligue 1, in der ersten bel­gi­schen Liga, in der MLS. Manche kommen gebürtig aus der Nach­bar­insel La Réunion, haben mada­gas­si­sche Vor­fahren und wurden ein­ge­bür­gert. Ein gut zusam­men­ge­stelltes Team, sicher. Keine abso­luten Ama­teure also. Aber auch keine Aus­nah­me­ta­lente.

Team ohne Star

Da ist zum Bei­spiel Charles Andria­mats­inoro, genannt Andria. Der 29-jäh­rige fällt nicht nur wegen seiner grell­blond­ge­färbten Haare auf, son­dern vor allem wegen seiner Leis­tungen: Bereits in der Qua­li­fi­ka­tion trifft er viermal, im lau­fenden Wett­be­werb bis­lang zweimal plus Tor­vor­lage. Ein Über­flieger ist er aber bei weitem nicht, wird oft nur ein­ge­wech­selt, steht beim Al-Adalah FC in der ersten saudi-ara­bi­schen Liga unter Ver­trag. Ich habe ein Team von Guten und ich habe keinen Star, das ist der Vor­teil“, sagt Trainer Dupuis über seine Mann­schaft. Das genaue Gegen­teil von Teams wie Ägypten, deren Stärke sich primär an einem Spieler wie Mo Salah fest­ma­chen lässt. Aber diesen Vor­teil“ haben viele Teams beim Afrika-Cup. Warum aus­ge­rechnet Mada­gaskar?

Es gibt kein Geheimnis. Wir sind seit einem Monat zusammen und trai­nieren jeden Tag zweimal“, sagt Dupuis. Die Spieler seien sehr dis­zi­pli­niert, die Gegner hätten sie wohl unter­schätzt und ein biss­chen Glück sei auch dabei gewesen. Das übliche Underdog-Gesamt­paket.

Am Ende weiß keiner, warum Mada­gaskar gerade den afri­ka­ni­schen Fuß­ball umkrem­pelt. Und das ist es doch, was ein Wunder aus­macht: Man kann es nicht erklären. Nur genießen.