Enttäuschte Hertha-Fans nötigen die Spieler nach der Derby-Niederlage, ihre Trikots auszuziehen und vor der Ostkurve niederzulegen. Ein beklemmendes Ritual, das die prekäre Lage, in der sich der Klub befindet, weiter verschärft.
Als Sven Jablonski das Derby abpfiff, schien es, als wolle der Referee die Hertha-Elf von ihren Qualen befreien. Fast auf die Sekunde beendete der Referee nach neunzig Minuten die Partie. Niemand im ausverkauften Stadion schien davon Notiz zu nehmen, denn es war klar, dass hier auch bei einer fetten Nachspielzeit nichts mehr anbrennen würde.
Union hatte Hertha mit 4:1 besiegt. Der dritte Sieg im dritten Pflichtspiel der beiden Ortsrivalen in dieser Saison. Der ultimative Beweis dafür, dass die Wachablösung um die Frage, wer in der deutschen Metropole die Nummer eins ist, vollzogen ist. Doch wer geglaubt hatte, dass die tiefe Demütigung der Hertha-Elf an diesem Abend damit ein Ende hatte, sah sich getäuscht. Trainer Felix Magath war nach Spielende auf direktem Weg in die Katakomben abgerauscht, um sich für die bevorstehenden Interviews zu sammeln. Die Profis hingegen begaben sich wie ein Rudel getretener Straßenköter in die Ostkurve, um den Fans zumindest mit ihrer Anwesenheit noch die Ehre zu erweisen. Doch der Gang dorthin entpuppte sich für die Mannschaft nach der Blamage auf dem Rasen nun als ein Spießrutenlauf.
Erzürnte Anhänger ließen ihrem Unmut freien Lauf. Einige waren in den Stadioninnenraum gelangt, zuppelten nach heftigen Diskussionen mit einigen Akteuren an deren Oberbekleidung und nötigten sie schließlich, die Trikots abzulegen. „Es ist schwer zu erklären, was mit den Fans besprochen wurde. Das sage ich jetzt lieber nicht. Es war einfach eine Geste, das Trikot auszuziehen“, versuchte Ur-Herthaner Maxi Mittelstädt kurz darauf bei „Sky“ zu erklären, „Ob es was mit einer Demütigung zu tun hat oder nicht? Ich möchte jetzt einen Konflikt vermeiden.“
Offenbar fühlte sich die ohnehin schon durch das Spiel desillusionierte Elf von dem Verhalten der Fans derart eingeschüchtert, dass sie um eine weitere Eskalation zu vermeiden dem harschen Befehl einiger Anhänger nachgab, die offenbar der Ansicht waren, dass diese Profis es nicht verdienten, das Jersey mit dem Hertha-Wappen zu tragen.
Am Ende stapelten sich die durchschwitzten Trikots wie in einer Wäschekammer formlos auf einem Häufchen auf dem Boden des Innenraums. Dieses Bild wird Hertha, die Spieler, aber auch die Fans bis zum Ende dieser verkorksten Saison begleiten. Auch die Fans, die für diese Szenen mitverantwortlich zeichnen, werden sich am Ende fragen müssen, welchen Einfluss ihr Handeln auf den weiteren Verlauf dieser Spielzeit gehabt hat. Denn der Fußball lebt bekanntlich auch durch seine Symbolik. Mit Stolz versammeln sich Anhänger unter den Fahnen in Vereinsfarben. Das Wappen ist nicht nur für treue Supporter, sondern auch für etliche Spieler (vielleicht nicht alle, aber doch für einige) ein Signet, an dem sie sich ausrichten. Ein identitätsstiftendes Zeichen, das auch dafür steht, gemeinschaftlich an eine Sache zu glauben und in schwierigen Zeiten für diese einzustehen. Und natürlich ist auch das Vereinstrikot eine Insignie, die in dieser Übereinkunft nicht in den Schmutz gezogen (in diesem Fall: geworfen) werden sollte.
Es ist wichtig und gut, dass Fanrechte und auch das Mitspracherecht des Anhangs im Profifußball sukzessive gestärkt wird. Und dass auf Seiten der Vereine ins Bewusstsein gelangt ist, dass Anhänger nicht nur schmückendes Beiwerk oder zahlende Kundschaft sind, sondern ein integraler Bestandteil dieses Spiels. Die Ödnis der Corona-Krise hat allen, die den Fußball lieben, klar gemacht, wie unverzichtbar volle Stadien und die Begeisterung von den Rängen für diesen Sport ist. Doch wer fester Bestandteil des Spiels ist, sollte erkennen, dass es sich hier um einen Sport handelt, der nach bestimmten Regularien funktioniert und dessen Fundament die Fairness und Respekt ist. Heißt: Wer Niederlagen nicht erträgt, hat das Spiel nicht verstanden.