Rudi Assauer war Schalke 04. Und viel mehr. Eine Institution. Und eine Ausnahmeerscheinung. Hier erinnern sich unsere Autoren und Weggefährten an einen Mann, der niemanden kalt ließ.
Alles Zirkus
Man schrieb das Jahr 04 dieses Jahrhunderts. Rudi Assauer hatte gerade zum Großangriff geblasen: Ailton und Krstajic aus Bremen geholt, Bordon aus Stuttgart, Lincoln aus Lautern. Doch bevor Schalkes neues „Highflying Dream Team“ so richtig abhob – am Saisonende reichte es, wie so oft, zu Platz zwei – war erst mal Trainingslager. Ganz bodenständig, am Bodensee. Auch wir Journalisten kamen ordentlich ins Schwitzen, beim obligatorischen Pressekick. Natürlich mit „Assi“, diesem Fußballfanatiker. Die Stutzen heruntergerollt, den Kopf stets oben, dirigierte der damals 60-Jährige sein Team aus „Ahnungslosen“, wie er (nur halb) im Scherz sagte. Wer im Spiel auf „Assis“ Kommandos hörte, dem passte er gönnerhaft den Ball in die Tiefe, dem tätschelte er väterlich den Hinterkopf. Doch als ein junger Kollege von der „Buerschen Zeitung“ den Ball einmal spektakulär, aber planlos aus dem Halbfeld vors Tor löffelte, obwohl Teamkollege Assauer nebenan freigestanden hatte, wurde es ungemütlich: „Heeeyyy, wir sind hier nich‘ im Zirkus!“, schnauzte Stumpen-Rudi den armen Kerl an. Ein Satz, dahin gebrüllt im Eifer des Gefechts. Und doch sprach er Rudi Assauer aus tiefster Seele: Fußball, das war für ihn niemals Show oder Clownerie. Fußball, das war alles für ihn. Und wer dieses heilige Spiel entweihte, den stutzte er zurecht. Laut und polternd, wie er war. Im Fall des jungen Journalisten aber merkte „Assi“, dass er übers Ziel hinausgeschossen war. Nach dem Match, das Schalkes Manager persönlich für beendet erklärte, als sein Team erstmals in Führung gegangen war, legte er dem Kollegen die Hand auf die Schulter und brummte: „Hab ich nicht so gemeint vorhin.“
Rolf Heßbrügge
Beeindruckender Mut
Als Kind der späten 90er habe ich Rudi Assauers goldene Zeiten als Spieler und als Manager nicht mitbekommen. Als er mit Borussia Dortmund 1965 den DFB-Pokal und 1966 den Europapokal gewann, war ich noch irgendein Molekül im Universum, als Schalke 1997 mit Assauer als Manager den UEFA-Cup holte, war ich gerade geboren. Mein Fußballinteresse wurde bei der Weltmeisterschaft 2006 geweckt, doch da hatte Assauer den FC Schalke nach den Auseinandersetzungen mit den Aufsichtsräten bereits verlassen. Meine erste richtige Erinnerung an ihn habe ich, als er 2012 seine Alzheimer Erkrankung öffentlich bekannt gab. Meine Eltern und ich saßen vor dem Fernseher und meine Mutter seufzte: „Das war mal ein ganz Großer!“. Ich hatte sofort großen Respekt vor Rudi, der so offen und ehrlich damit umging. Denn ich kannte mich mit der Krankheit nur allzu gut aus: Kurz zuvor war mein Großvater, jemand zu dem ich immer aufgeschaut hatte, jemand, der eine starke Persönlichkeit war und nahezu alles wusste, selbst an Alzheimer erkrankt. Ich hatte immer das Gefühl, dass Alzheimer ein Tabuthema war, da sie eine so demütigende Krankheit ist. Sie lässt selbst die größten Persönlichkeiten plötzlich sehr schwach wirken. Auch Rudi Assauer, der für seinen Machismus bekannt war und dafür, dass er das Herz auf der Zunge trug, zeigte nun eine ganz andere Seite. In einer ZDF-Doku sah man ihn dann, wie er versuchte, die Zahlen auf einem Uhrenblatt aufzumalen – wie mein Großvater. Das hat mich tief beeindruckt: Dass er sich als kranker, hilfloser Mann nicht vor der Öffentlichkeit versteckte und stattdessen zuließ, dass sein Image als Macho-Man Risse bekam. Wenn ich an Rudi Assauer denke, dann denke ich an diesen Mut.
Leonie Schüler
Onkel Rudi
Genau wie Millionen anderer Menschen kannte ich Rudi Assauer nur aus dem Fernsehen, aus dem „Doppelpass“ oder dem „Sportstudio“, aus den heutzutage irgendwie schrägen „Veltins“-Werbungen, aus Aufnahmen, die ihn in teuren Anzügen und mit schicken Frauen zeigen, jubelnd und lachend, flennend und wütend. Wenn ich mir den Menschen hinter diesen Bildern vorzustellen versuche, dann sehe ich den Onkel, für dessen Herrenwitze man sich vor der neuen Freundin ein bisschen schämt. Den Onkel, der einen im Boden versinken lassen kann, weil er dem Kellner en Detail erklärt, warum genau das Steak gerade so scheiße geschmeckt hat. Einen, der zu laut lacht, zu schnell Auto fährt, zu gierig trinkt, zu dicke Zigarren raucht, zu viel Bargeld dabei hat. Einen, der aus Sicht der Genügsamen etwas zu doll lebt.
Doch wenn es wirklich ein Problem gibt, wenn man Ärger hat, mit ein paar unangenehmen Kerlen aus der Gegend vielleicht, dann ist es Onkel Rudi, der die Sache regeln kann. Der das Portemonnaie zückt, ohne Fragen zu stellen, außer vielleicht: „Wat brauchse denn, Junge?“ Onkel Rudi ist einer, der die Kohle hat, um sie auszugeben, für wen auch immer. Einer, der oft genug selber Probleme hatte und weiß, wie das so ist. Einer, in dessen Blicken keine Vorwürfe versteckt sind, denn wenn ihm was nicht passen würde, Onkel Rudi würde es ja einfach sagen. Onkel Rudi scheißt sich nichts. Vor nichts und niemandem. Nicht nur deswegen wäre man eigentlich, auch wenn man das nie zugeben würde, ganz gerne wie er.
Max Dinkelaker