Rudi Assauer war Schalke 04. Und viel mehr. Eine Institution. Und eine Ausnahmeerscheinung. Hier erinnern sich unsere Autoren und Weggefährten an einen Mann, der niemanden kalt ließ.
Die Seele des Fußballs
Es gibt viele Anekdoten im Leben des Rudi Assauer – und „diese viereinhalb Minuten im Mai 2001“. Auf Ewig haben sie sich ins Schalker Gedächtnis eingebrannt und letztlich auch in meines. Der Moment in der Geschichte der Bundesliga und in meiner Reporterlaufbahn. Der „Meister der Herzen“ und ich, der „Reporter der Schmerzen“. Fast jeder Fußballfan weiß, wovon ich rede. Ich erspare mir, das nochmal auszuführen, gleichwohl der „Film“ auf der Festplatte in meinem Schädel von Zeit zu Zeit einfach automatisch abläuft. Die Seele des Fußballs lebt im Ruhrpott und Du hast sie verkörpert wie kaum ein Zweiter. Lieber Rudi, ich hoffe, dass ich Dir irgendwann die Schale mit nach oben bringen kann. Ich glaube, ich bin Dir noch was schuldig.
Rollo Fuhrmann, Fußball-Reporter
Herr Fragesteller
Es muss 2007 gewesen sein, da saß ich mit Rudi Assauer beim DSF-Doppelpass. Um beim feuchtfröhlichen Stammtisch nicht unterzugehen, lohnte es sich schon damals, ein paar griffige Thesen parat zu haben. Zumal es an diesem Sonntag im Doppelpass neben der ausführlichen Analyse des FC Bayern auch um den FC Schalke 04 gehen sollte. Ich hätte mir jedoch jede Vorbereitung sparen können, Rudi Assauer bestritt gemeinsam mit Jörg Wontorra die Sendung nahezu allein. Wir Journalisten dienten allenfalls dazu, hin und wieder nickend oder schmunzelnd eingeblendet zu werden, ansonsten duellierten sich die beiden Silberrücken mit einem beeindruckenden Arsenal an Stammtischweisheiten, flotten Sprüchen und abschätzigen Bemerkungen über den Sachverstand des jeweils anderen. Immer wenn Wontorra den Schalke-Manager mit irgendeinem unschönen Faktum (Punktestand, finanzielle Situation, was auch immer) konfrontierte, verzog Assauer spöttisch das Gesicht und schwieg erst einmal ein paar Sekunden, bis die angetrunkenen Zuschauer an den Biertischen schon ganz unruhig wurden. Und dann bequemte er sich und leitete seine Antwort stets mit dem Intro ein: „Herr Fragesteller…“, ganz so als habe sich Klippschüler Wontorra in einer Deutschstunde zu Wort gemeldet. Da lachte das Publikum und hörte auch nicht auf, wenn Assauer in seiner Antwort weder auf die Frage einging, noch sonst allzu Erhellendes von sich gab. So ging das zwei Stunden und dann war auch schon alles vorbei. Als Jörg Wontorra schließlich die Sendung abmoderierte, erhob sich Assauer mit gespieltem Stöhnen aus dem roten Sessel und zwinkerte mir dezent zu. Das hatte ihm Spaß gemacht. Und uns auch.
Philipp Köster
Bewegende Erinnerungen
Ich habe Rudi Assauer nur einmal persönlich getroffen, falls man das so nennen kann, wenn zwei Leute sich im selben Presseraum befinden. Das war im November 2000, bei einem Pokalspiel zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund. Wie passend, denn obwohl er heute vornehmlich als Schalker wahrgenommen wird, war und blieb er auch ein echter Borusse, weshalb sein Tod am Borsigplatz fast ebenso tief betrauert wird wie am Schalker Markt.
Man sieht das auch daran, dass mir Assauer später immer wieder bei irgendwelchen Buchprojekten begegnete. So hörte ich schon einige Monate, bevor sie publik wurde, von seiner Alzheimer-Erkrankung, und zwar auf Umwegen durch Dieter „Hoppy“ Kurrat, seinen ehemaligen Mannschaftskameraden beim BVB. Zwar konnte Hoppy die Diagnose nicht mit Namen benennen, aber seine Beschreibung ließ vermuten, um was es sich handelte.
Das geschah bei der Recherche zu einem Buch über die Fans des BVB, und in diesen Monaten fiel der Name Assauer noch viel häufiger. Zum einen natürlich, weil er zu den „Helden von 1966“ gehörte, der ersten deutschen Elf, die einen Europacup gewann. Zum anderen aber auch, weil viele der älteren Anhänger von einem Kino erzählten, das ein Zweig der Familie Assauer bis in die frühen Sechziger am Borsigplatz betrieb. Zwar war Rudi selbst weder in Dortmund geboren noch aufgewachsen, doch wegen dieser Verbindung galt er einer bestimmten Generation von Dortmundern als Junge vom Borsigplatz ehrenhalber.
So richtig intensiv wurde die Beschäftigung mit Assauer dann aber im Herbst 2013, denn da begann ich, mit Werner Hansch an seiner Autobiografie zu arbeiten. Für ein solches Projekt braucht man ja eine bestimmte Motivation. Meine war es, die faszinierende und fast unbekannte Familiengeschichte von Hansch zu erzählen. (Sein Vater war in der Nazizeit aktiver Kommunist.) Hansch hingegen wollte das Buch machen, weil er wegen seiner langen Beziehung zu Assauer in das Thema Alzheimer eingetaucht war und eine Plattform suchte, um die Alzheimer-Initiative bekannt zu machen.
So saßen Hansch und ich oft und lange in einem Dortmunder Café, und sehr häufig kam dabei die Rede auf Assauer. Besonders bewegend waren Hanschs Erinnerungen an einen Tag im November 2010, als er mit Assauer einen Auftritt vor dem Lions Club Borken im Schloss Raesfeld hatte. Die beiden wurden damals gerne gebucht, weil sie prima als Duo funktionierten. Wie Hansch sagte: „Ein Ahnungsloser, das war ich, stellte dumme Fragen über Fußball und Rudi beantwortete sie, indem er launig und humorig aus dem Nähkästchen plauderte.“ Doch nicht an diesem Tag, denn da war Assauer fahrig, unkonzentriert, vergesslich. Wenige Stunden später beichtete er Hansch unter Tränen, dass irgendwas mit ihm nicht in Ordnung war.
Hansch beschrieb mir eindringlich, wie überall in Assauers Wohnzimmer Kreuzworträtsel und Denksportaufgaben herumlagen, mit denen er verzweifelt versucht hatte, sein immer flüchtiger werdendes Gedächtnis zum Bleiben zu zwingen. Dann tranken wir schweigend unseren Kaffee. Mir wurde klar, dass Hansch auch deshalb an dem Buch interessiert war, weil er gerade viel über Vergehen und Bewahren nachdachte. Und weil er wollte, dass sein Freund Assauer, der immer mehr vergaß, in Erinnerung blieb.
Uli Hesse
Alles Zirkus
Man schrieb das Jahr 04 dieses Jahrhunderts. Rudi Assauer hatte gerade zum Großangriff geblasen: Ailton und Krstajic aus Bremen geholt, Bordon aus Stuttgart, Lincoln aus Lautern. Doch bevor Schalkes neues „Highflying Dream Team“ so richtig abhob – am Saisonende reichte es, wie so oft, zu Platz zwei – war erst mal Trainingslager. Ganz bodenständig, am Bodensee. Auch wir Journalisten kamen ordentlich ins Schwitzen, beim obligatorischen Pressekick. Natürlich mit „Assi“, diesem Fußballfanatiker. Die Stutzen heruntergerollt, den Kopf stets oben, dirigierte der damals 60-Jährige sein Team aus „Ahnungslosen“, wie er (nur halb) im Scherz sagte. Wer im Spiel auf „Assis“ Kommandos hörte, dem passte er gönnerhaft den Ball in die Tiefe, dem tätschelte er väterlich den Hinterkopf. Doch als ein junger Kollege von der „Buerschen Zeitung“ den Ball einmal spektakulär, aber planlos aus dem Halbfeld vors Tor löffelte, obwohl Teamkollege Assauer nebenan freigestanden hatte, wurde es ungemütlich: „Heeeyyy, wir sind hier nich‘ im Zirkus!“, schnauzte Stumpen-Rudi den armen Kerl an. Ein Satz, dahin gebrüllt im Eifer des Gefechts. Und doch sprach er Rudi Assauer aus tiefster Seele: Fußball, das war für ihn niemals Show oder Clownerie. Fußball, das war alles für ihn. Und wer dieses heilige Spiel entweihte, den stutzte er zurecht. Laut und polternd, wie er war. Im Fall des jungen Journalisten aber merkte „Assi“, dass er übers Ziel hinausgeschossen war. Nach dem Match, das Schalkes Manager persönlich für beendet erklärte, als sein Team erstmals in Führung gegangen war, legte er dem Kollegen die Hand auf die Schulter und brummte: „Hab ich nicht so gemeint vorhin.“
Rolf Heßbrügge
Beeindruckender Mut
Als Kind der späten 90er habe ich Rudi Assauers goldene Zeiten als Spieler und als Manager nicht mitbekommen. Als er mit Borussia Dortmund 1965 den DFB-Pokal und 1966 den Europapokal gewann, war ich noch irgendein Molekül im Universum, als Schalke 1997 mit Assauer als Manager den UEFA-Cup holte, war ich gerade geboren. Mein Fußballinteresse wurde bei der Weltmeisterschaft 2006 geweckt, doch da hatte Assauer den FC Schalke nach den Auseinandersetzungen mit den Aufsichtsräten bereits verlassen. Meine erste richtige Erinnerung an ihn habe ich, als er 2012 seine Alzheimer Erkrankung öffentlich bekannt gab. Meine Eltern und ich saßen vor dem Fernseher und meine Mutter seufzte: „Das war mal ein ganz Großer!“. Ich hatte sofort großen Respekt vor Rudi, der so offen und ehrlich damit umging. Denn ich kannte mich mit der Krankheit nur allzu gut aus: Kurz zuvor war mein Großvater, jemand zu dem ich immer aufgeschaut hatte, jemand, der eine starke Persönlichkeit war und nahezu alles wusste, selbst an Alzheimer erkrankt. Ich hatte immer das Gefühl, dass Alzheimer ein Tabuthema war, da sie eine so demütigende Krankheit ist. Sie lässt selbst die größten Persönlichkeiten plötzlich sehr schwach wirken. Auch Rudi Assauer, der für seinen Machismus bekannt war und dafür, dass er das Herz auf der Zunge trug, zeigte nun eine ganz andere Seite. In einer ZDF-Doku sah man ihn dann, wie er versuchte, die Zahlen auf einem Uhrenblatt aufzumalen – wie mein Großvater. Das hat mich tief beeindruckt: Dass er sich als kranker, hilfloser Mann nicht vor der Öffentlichkeit versteckte und stattdessen zuließ, dass sein Image als Macho-Man Risse bekam. Wenn ich an Rudi Assauer denke, dann denke ich an diesen Mut.
Leonie Schüler
Onkel Rudi
Genau wie Millionen anderer Menschen kannte ich Rudi Assauer nur aus dem Fernsehen, aus dem „Doppelpass“ oder dem „Sportstudio“, aus den heutzutage irgendwie schrägen „Veltins“-Werbungen, aus Aufnahmen, die ihn in teuren Anzügen und mit schicken Frauen zeigen, jubelnd und lachend, flennend und wütend. Wenn ich mir den Menschen hinter diesen Bildern vorzustellen versuche, dann sehe ich den Onkel, für dessen Herrenwitze man sich vor der neuen Freundin ein bisschen schämt. Den Onkel, der einen im Boden versinken lassen kann, weil er dem Kellner en Detail erklärt, warum genau das Steak gerade so scheiße geschmeckt hat. Einen, der zu laut lacht, zu schnell Auto fährt, zu gierig trinkt, zu dicke Zigarren raucht, zu viel Bargeld dabei hat. Einen, der aus Sicht der Genügsamen etwas zu doll lebt.
Doch wenn es wirklich ein Problem gibt, wenn man Ärger hat, mit ein paar unangenehmen Kerlen aus der Gegend vielleicht, dann ist es Onkel Rudi, der die Sache regeln kann. Der das Portemonnaie zückt, ohne Fragen zu stellen, außer vielleicht: „Wat brauchse denn, Junge?“ Onkel Rudi ist einer, der die Kohle hat, um sie auszugeben, für wen auch immer. Einer, der oft genug selber Probleme hatte und weiß, wie das so ist. Einer, in dessen Blicken keine Vorwürfe versteckt sind, denn wenn ihm was nicht passen würde, Onkel Rudi würde es ja einfach sagen. Onkel Rudi scheißt sich nichts. Vor nichts und niemandem. Nicht nur deswegen wäre man eigentlich, auch wenn man das nie zugeben würde, ganz gerne wie er.
Max Dinkelaker
Demonstrative Härte
Das hätte ich mal besser nicht gemacht: Huub Stevens zu fragen, warum Schalke beim grauenhaften Nullnull gegen Frankfurt so einfallslos gespielt hatte. Assauer hörte das, damals noch im Presseraum des alten Parkstadions, wo man seinerzeit noch zum Nachgespräch nach vorne kam. Und Assauer hörte das nicht nur, es gefiel ihm auch nicht, wie da so ein Schreiberling seinem Kumpel aufmüpfige Fragen stellte. „Was woll’nse denn damit sagen?“, knurrte er mich an. Das klang so, als würde es direkt mal was um die Ohren geben. Assauer war auch Macho und Proll, aber das war selbst in dieser Situation nicht unsympathisch, weil er das theatralisch überzeichnete. Ob er einen Freund verteidigte oder auch sonst. Ich weiß, es klingt fürchterlich kitschig, aber ich hatte wirklich immer den Eindruck, als wolle er hinter dieser demonstrativen Härte sein weiches Herz verbergen.
Christoph Biermann
Auf Teufel komm raus
Ich bin kein Eurofighter – 1997 war ich zu jung. Ich bin kein Meister der Herzen – 2001 hatte mich Königsblau noch nicht gepackt. Erst in den späten Jahren der Ära Assauer wurde ich zum Schalke-Fan. Der Pokalsieg 2002 war mein erster Triumph, Jörg Böhme mein Held. Schalke und Assauer feierten ausgiebig, so ausgiebig, dass der Manager den Pokal demolierte. 2003 mein erstes Mal in der Arena, Assauers Denkmal. Ein 1:1 gegen den VfL Wolfsburg. Auf der Rückfahrt sinnierten zwei Fans in der Straßenbahn über 2001, über Markus Merk und die Nachspielzeit. „Ich wollte einfach einmal Deutscher Meister sein, verstehse? Einmal!“ Ich verstand, obwohl ich weder angesprochen, noch dabei war. Ich verstand, was Assauer antrieb. Uli Hoeneß warf Assauer vor, er wolle „auf Teufel komm raus Titel holen.“ Vielleicht wollte er das. Und holte dafür Spieler, die zu Helden meiner Kindheit und frühen Jugend wurden. Jörg Böhme mit seinem fantastischen linken Außenrist. Gerald Asamoah, der Wühler. Hamit Altintop aus Wattenscheid. Ebbe Sand mit seinem Tor zum Derbysieg in Dortmund nach mehr als neun Monaten ohne Treffer. Frank Rost, der in diesem Spiel zwei Elfmeter hielt und Norbert Dickel in die Verzweiflung trieb. Das Abwehrbollwerk aus Bordon und Krstajic. Lincoln, der großartige Spielmacher, der Schalke am 25. Spieltag der Saison 2004/05 per Freistoß zum Sieg über Bayern und an die Tabellenspitze der Bundesliga schoss. Die Tabellenführung hielt eine ganze Woche. Näher sollte Rudi Assauer der Meisterschaft in seiner Zeit auf Schalke nach 2001 nicht mehr kommen. Er hätte sie verdient gehabt.
Florian Nussdorfer
Ungenierter Macho
Als wir Rudi Assauer im Dezember 2001 auf Schalke zum Interview trafen, befand er sich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Uefa-Cup-Sieger, Meister der Herzen, Erbauer der neuen Arena. Der Manager strahlte ein Selbstbewusstsein aus, das selbst im von Alphamännchen durchsetzten Fußballmilieu seinesgleichen sucht. Wie ein König, der weiß, dass seine Untertanen in Dankbarkeit zu ihm aufsehen. Später einmal, als sich der Wind drehte, sollte ihm diese Haltung zum Verhängnis werden. Doch im Winter 2001, das war zu spüren, konnte ihm hier keiner was. Die Zeit fürs Gespräch war auf eine Stunde begrenzt, doch als mein Kollege Volker sagte, er würde gern mal die Katakomben der Arena sehen, griff der Manager zum Telefon, bestellte einen Fahrer, der uns rüber ins Stadion fuhr, wo uns Assauer höchstpersönlich durch sein Reich führte. Dabei sprach er nicht wie ein stolzer Regent, sondern eher wie ein Steiger zu den Bergmännern. „Hier, Jungs, die Farbe der Rolltreppen: königsblau. Der Hersteller war nicht einfach zu finden.“ Im sprunghaften Fußball habe ich nie wieder einen Funktionsträger getroffen, der mit derartiger Lässigkeit in sich ruhte. Assauer war noch mit der Schauspielerin Simone Thomalla liiert. Als es um sie ging, nannte er sie „die Alte“. Wenn man es liest, wirken seine Worte stumpf und despektierlich, aber wer ihm zuhörte, spürte die liebevolle Hochachtung, die er vor seiner Partnerin hatte. Dass er offenbar genoss, wie die beiden eine Beziehung auf Augenhöhe führten, die es ihm sogar erlaubte, öffentlich weiter ungeniert den Macho zu spielen. Am Ende eines langen Nachmittags in Gelsenkirchen prophezeite er: „Spätestens 2005 wird Schalke 04 Deutscher Meister. Dann kann ich mich endlich zur Ruhe setzen.“ Auch ohne Sympathien für die Knappen, Rudi Assauer hätte man gewünscht, dass es so kommt.
Tim Jürgens
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Der Prototyp
Rudi Assauer war Schalke 04. Ich habe keine Ahnung, was er vorher gemacht hat und eigentlich will ich es auch gar nicht wissen. Meiner Wahrnehmung nach war Assauer verantwortlich für diesen Verein. Sein Manager; vielleicht der Erste, den ich kannte, der mir also ein Bild brachte zu diesem Wort, dass zu einer Berufsbezeichnung gehörte, von der ich mir nie vorstellen konnte, wofür sie eigentlich stand. Vulgär war er, im besten Sinne, nah dran, am Volk der Königsblauen, so kam es mir zumindest vor. Diese Zigarre! Er zog immer an ihr, wirklich immer, sodass seine Wangen sich ständig nach innen wölbten, während er einfach nur da stand, Fußball guckte und ein Manager war. Eine Sonnenbrille sollten die Augen dieses Mannes auch an Tagen ohne Sonnenschein abdunkeln. Warum, weiß ich nicht. Wenn ich mir heute ältere männliche Manager vorstelle, sehen sie alle ein bisschen aus wie Assauer. Dann war er lange weg aus meiner Wahrnehmung. Bis er mich mit seinem offenen Umgang mit seiner Krankheit beeindruckte.
Claudio Rizzello
Wurstwürfel ohne Ende
Ich habe Rudi Assauer nicht wirklich gekannt, aber an den wenigen Gelegenheiten, bei denen wir uns in einem Raum befanden, war er ein Mann ohne Berührungsängste. Meist war das im Presseraum der Bielefelder Alm, in dem ich als lokaler Journalist vor den Spielen und in der Halbzeitpause meinen Kaffee trank. So oft kam es gar nicht vor, dass sich die Fußballprominenz dort die Ehre gab, aber Assauer, der ja auch problemlos in den VIP-Raum hätte gehen können, schien sich in der Gesellschaft der Reporter sehr wohl zu fühlen. Er kannte Hinz und Kunz, gerade von den Schalker Berichterstattern, plauderte hier, plauderte da. Keine Scheu vor unbequemen Gesprächen, die brauchte er auch nicht zu haben, stattdessen herrschte in seiner Anwesenheit eine alle schrillen Töne à priori erstickende Jovialität. Ach ja, während es im VIP-Raum „richtiges“ Essen gab, war das Catering für die Presseleute rustikaler. Einmal hatte ich ein Auge auf einen Teller mit gewürfelter Fleischwurst geworfen, warum auch immer, wahrscheinlich Kater, ich weiß es nicht mehr. Mein Problem war der freie Zugang, denn unmittelbar vor dem Tisch plauderte Assauer in einer Traube und warf sich dabei einen Wurstwürfel nach dem anderen ein. Als der Weg wieder frei wurde, große Enttäuschung: Der Teller war leer. Er hatte ihn komplett erledigt. Rudi Assauer war ein Mann, der das Leben nahm, wie es kam, und das in vollen Zügen.
Jens Kirschneck
Vergangene Legende
Meine Familie kommt aus Ostwestfalen, mein Onkel bewirtet bei Bad Oeynhausen einen Bauernhof. Er ist HSV-Fan, immer gewesen, aber Rudi Assauer fand er supertoll. Ich erinnere mich an Abende vor dem Fernseher in den 1990ern – „ran“ guckten wir damals. Immer wenn Assauer ins Bild kam, sagte mein Onkel „dat is’ noch ‚ne Type, ne?“. Ich hatte keine Ahnung, aber heute weiß ich: Ja, das war ne Type. Einer der letzten seiner Art. Natürlich völlig unmöglich, dass so einer wie Assauer heute nochmal irgendwie Erfolg hat. Fette Zigarre, Sakkos mit steifen Schulterpolstern, kritischer Blick, bisschen maulfaul – Assauer ist der Posterboy der alten, westdeutschen Macho-Macher, so ein bisschen wie Donald Trump für den amerikanischen Reality-TV-Turbokapitalismus: irgendwie von gestern. In Deutschland werden solche Typen heutzutage gleich ins Dschungelcamp geschickt, oder sie betreiben Trikot-Klitschen im Schwäbischen wie der Trigema-Boss Wolfgang Grupp. Jedenfalls sind sie Personae non gratae für alle, die es mit Geschlechtergleichstellung halten und Angeberei nicht ausstehen können. Ich glaube, Rudi Assauer war sich seinem Image immer bewusst. Das unterscheidet ihn von Trump und Grupp, und deshalb mochte ihn mein Onkel wohl auch so. Assauer hat wahnsinnige Erfolge im Fußball gefeiert und so viel Gutes außerhalb des Fußballs getan. Das macht ihn zur Legende. Zur Legende einer Zeit, die wirklich längst vorbei ist.
Max Polonyi
Ein wundersamer Mann
Ich bin Jahrgang 1996, als die Eurofighter mit dem gewonnenen Uefa-Cup durchs Stadion tuckerten, tapste ich im Sandkasten umher. Als der HSV Schalke kurzfristig den Meistertitel kostete, kritzelte ich ein paar unlesbare Buchstaben auf Papier. Das erste Mal, dass ich Rudi Assauer wirklich wahrnahm, war, als er mir im Fernsehen sein Bier verkaufen wollte. Der Onkel aus der Werbung, dem sein Gesöff wichtiger war als seine Freundin. Ich wunderte mich: Wieso muss dieser Mann so angeben? Warum mag er die Frau im Bett nicht? Aber das Publikum verehrte ihn im Sportfernsehen. Wenn Assauer auftauchte, waren sie glücklich, jubeltem ihm zu. „Soll er eben auf seine Art das Geld verdienen, der ändert sich sowieso nicht mehr“, sagten mir dann die Älteren damals und ich hörte auf, das zu hinterfragen. Heute ärgere ich mich, Assauers große Momente verschlafen zu haben. So war er leider immer etwas zu weit weg in der Fußballhistorie. Seine Altzheimer-Erkrankung und sein Tod haben mich dennoch traurig gemacht, weil ich zumindest gelernt hatte, wie vielen Menschen er etwas bedeutete.
Leon Wohlleben
Respekt, Unsympath
Die ersten neun Jahre meines Lebens verbrachte ich in einem Land, das es nicht mehr gibt. Als Rudi Assauer 1993 zum zweiten Mal in seinem Leben Schalke-Manager wurde, war die Mauer zwar schon seit fast vier Jahren gefallen, doch Brandenburg sah noch immer ziemlich genauso aus. Seine Menschen auch. Dieser Rudi Assauer hingegen, den ich da Woche für Woche im Fernsehen sah, sah aus wie der Prototyp des Westdeutschen, vor dem sie uns im Heimatkunde-Unterricht der DDR immer gewarnt hatten. Er sah aus wie einer, der den lieben langen Tag über nichts anderes tat, als mit seinem Porsche-Cabrio von Steigenberger-Hotel zu Steigenberger-Hotel zu rasen. Die obligatorische Zigarre zwischen den Finger, die ansonsten wahlweise und jederzeit die Richtung oder anderen den Weg, also den „Effe“, anzeigen konnten. Die Sonnenbrille in den zurückgelegten Haaren. Die eine Frisur bildeten, von der ich immer annahm, sie sei so, weil Typen wie Assauer einfach so forsch durch das Leben peitschen, dass die Haare sich von ganz allein nach hinten quartieren. Kurzum: Ich hatte ein bisschen Angst vor Rudi Assauer. Was ihn mir nicht sonderlich sympathisch machte. Aber immer, bis heute, dachte ich eben auch: Dem kann man nix. Für die, für die er da sein muss, und das war immerhin eine ganze, königsblaue Religion, konnte man dann nur froh sein. Er war, er verkörperte, im wirklich wahrsten, im physischsten Sinne: Schalke 04. Das ist mir immer noch nicht sympathisch. Aber es flößt mir verdammt nochmal mehr Respekt ein, als ich zu sagen im Stande wäre.
Ilja Behnisch
Wie Opa und Enkel
Es war ein Moment wie vor dem entscheidenden, vielleicht letzten Elfmeter: Rudi Assauer stand vor den stählernen Stufen zum heiligen Schalker Rasen. Genau zwischen dem Kabinengang, der auf Schalke einem Bergwerksstollen nachempfunden ist, und der Grasnabe. An seiner Seite Rudis Tochter, Marc Wilmots und Clemens Tönnies. Glück auf, dachte ich, und sagte die Sätze ins Mikrophon, die mir so aus tiefster Seele, nein aus tiefstem Herzen kamen: „Jetzt kommt der Mann zu uns, dem alle Schalker so viel zu verdanken haben. Dem alle Schalker diese Arena zu verdanken haben – Rudi Assauer!“ Ich merkte, wie meine Stimme beinahe erstickte, und auch Reiner Calmund schossen neben mir die Tränen in die Augen. Cali hatte mich Stunden zuvor darauf hingewiesen: „Dat wird dä schwierigste Moment des janzen Abends, weil dä Rudi ja nit mehr bei allen so belieb is. Da musste als Moderator rischtisch Fingerspitzejefööl han…“ Was würde passieren? Rudi Assauer und die Drei an seiner Seite setzen ihre ersten Schritte zaghaft auf die Treppen, an Cali und mir vorbei. Unter dem langsam anschwellenden, dann tosenden Beifall zehntausender, ganz normaler Menschen die Stufen herauf. Gestützt von Willi, seinem Lieblingskampfschwein, und Clemens Tönnies, den der Schalker Macher einst geholt hatte, und von dem er viele Jahre später dann selbst entlassen worden war. Spannung pur, eben wie beim letzten Elfmeter. Aber dann: Nur warmer, immer lauter werdender Applaus. Kein einziger Pfiff! Weder von den Schalke- und Deutschland-Fans, noch von den türkischen Zuschauern, die zum Legenden-Spiel Deutschland-Türkei gekommen waren. Dieser Moment war Ruhrpott pur: Integration! Herzlichkeit! Vergeben und vergessen, was da vielleicht einmal nicht so rund gelaufen war. In Ehrfurcht und Dankbarkeit vereint – vor der Größe dieser Lebensleistung! Rudis Schritte auf seinem Rasen waren langsam und bedacht, denn schnell und polternd, wie er früher so oft reagiert und gesprochen hatte, diese Zeiten waren vorbei. Das merkte jeder – und ganz besonders Rudi Assauer selbst. Um Mitternacht, beim gemeinsamen „Happy Birthday“, ich glaube für Klaus Fischer, saß Rudi etwas in sich gekehrt an einem kleinen Tisch, neben seiner Tochter und seinen engsten Begleitern. Der volle Raum mit Nationalspielern von Icke Häßler über Kalle Riedle bis Toni Schumacher und Mario Basler war irgendwie nicht mehr seine Situation. Zwar gefiel ihm die schallende Atmosphäre der „Good Old Boys“, aber er konnte halt nicht mehr mitdiskutieren. Keine Anekdoten mehr raushauen, so wie früher. Rudis Tochter kam zu mir und sagte nur leise: „Papa möchte, dass Du Dich zu uns setzt.“ Ich Klaus Fischer und Olaf Thon noch höflich „Tschüss“, weil ich irgendwie spürte, dass dieser Abend des „Jubel-Trubel“ für mich nun zu Ende sein würde. Rudi gab mir etwas zitternd die Hand und sagte nur leise: „Danke!“
Mehr konnten wir zuerst einmal gar nicht reden, nur die Hände halten und dann gegenseitig auf die Oberschenkel legen. So, wie es Großväter und Enkel machen. Rudi war einer der Väter und Kinder der Bundesliga, irgendwie beides. Spieler, Manager, knallharter Haudegen, brachialer Vorkämpfer und großspuriger Macher. In diesen Momenten, an diesem ruhigen Tisch in der prallvollen Loge auf Schalke, war er ganz ruhig. Ganz nachdenklich, reflektiert, oft in sich gekehrt. Manchmal konnte er Gedanken klar folgen oder gar selbst formulieren. Manchmal aber auch nicht mehr. Er hatte an diesem Abend das naive Strahlen eines Kindes. Eines stolzen Kindes der Bundesliga. Und den Stolz eines Vaters und Großvaters. Und obwohl wir alle am Tisch wussten, dass wir eigentlich in den Energie-Sparmodus hätten wechseln müssen, tranken wir Bier und hielten die Zeit an. Bis auch der letzte Gast gegangen war und das Personal die letzte Runde abgeräumt hatte. Wir schlichen diesmal die Stufen der Arena hinunter und gemeinsam heraus. Stille. Nur noch wir vier Leutchen. Es war ziemlich genau um 04 Uhr morgens, als der Wachmann auf Schalke das letzte Tor hinter uns Schloss. „Mach et gut, Rudi! Und Glück auf!“
Stephan Kaußen, Moderator
Rudi hinterm Inter-Tor
Wenn wir mit der Familie in den Neunzigern zu einem wichtigen Spiel ins Parkstadion fuhren, schoben meine Eltern vor der Abfahrt immer eine VHS-Kassette Zwecks Aufzeichnung in den Rekorder. Es kam nicht selten vor, dass mein Vater nach der Rückkunft dann noch spät nachts auf Play drückte und sich nochmal die gesamten neunzig Minuten reinzog.
Das Spiel am 17. März 1998 war ein wichtiges. Schalke empfing im Jahr nach dem UEFA-Cup-Sieg erneut Inter Mailand und brauchte nach der 0:1‑Pleite im Hinspiel unbedingt ein Tor. Kurz vor Spielende bemerkten wir im Block 2, dass „Rudi gar nicht mehr bei Huub am Rand steht“. Wo war er? Sekunden später zirkelte der Belgier Michael Goossens den Ball von der Strafraumkante ins lange Eck, wie es eigentlich nur sein Gegenüber mit Namen Ronaldo konnte.
Zu Hause angekommen, schauten wir uns das Tor auf Kassette an. RTL hatte ausgestrahlt und Kommentator Florian König fast seine Stimme verloren: „Jaaaaaaaaaaaaa! Gibt’s denn daaas?!“ Dann zeigt die Kamera plötzlich Rudi Assauer, wie er direkt hinter dem gegnerischen Tor steht und jubelt. Was zum Teufel hatte er da (stilecht mit Zigarre) verloren? Man stelle sich vor, im CL-Viertelfinale 2019 kreuzt Sekunden vor Schluss unvermittelt BVB-Sportdirektor Michael Zorc hinter Tottenhams Hugo Lloris auf und mimt den Antreiber!
Dann gibt Assauer einem vorbeihuschenden Balljungen einen ordentlichen Klaps auf die Backe – ein Bild, das ich nie wieder losgeworden bin. Irgendwo zwischen „Ich hab’s doch gesagt!“ und „Du kommst mir nie wieder mit ’ner Fünf aus der Schule!“ ist da dieser nahbare Manager, der auf Außenstehende wie ein aalglatter Pate wirkte, doch die eigenen Fans und Spieler behandelte wie ein Vater. Ein Klaps eben, der tadelt und beruhigt zugleich, nicht zu weich und nicht zu hart. Und so war da für uns Fans immer dieses sichere Gefühl: Assauer hat Schalke im Griff. Wer kann und konnte das je behaupten?!
Heiko Rothenpieler