Nach seiner Wahl zum HSV-Präsidenten muss Marcell Jansen beweisen, dass er als Erneuerer taugt und mehr ist als eine Marionette von Vorstandschef Bernd Hoffmann.
Nun bleibt abzuwarten, was genau er mit seinen Ankündigungen verknüpft. Kritiker halten den alerten Mönchengladbacher für einen eifrigen Erfüllungsgehilfen von Bernd Hoffmann, der seit seiner Rückkehr im Februar 2018 wie ein Mastermind hinter dem lebensgroßen HSV-Schachbrett Figuren anscheinend nach Gutdünken verschiebt.
So hatte sich Hoffmann im vergangenen Jahr zunächst zum Präsidenten des e.V. wählen lassen, kurz darauf als Aufsichtsrat die Demission von Vorstandsboss Bruchhagen forciert, so dass am Ende der Weg für ihn frei war, selbst zum Chef der Fußball AG zu werden. Zuvor hatte er clever darauf hingewirkt, dass im Aufsichtsrat mehr Fürsprecher als Gegenspieler saßen. Auch der Aufsichtsrat Jansen galt als Fan von Hoffmanns lässiger Autorität.
Deshalb fürchteten vor der Mitgliederversammlung viele, Jansen könne sich nach seiner Wahl dafür stark machen, dass der Verein – dem aktuell 76,19 Prozent der Anteile an der ausgelagerten Lizenzabteilung gehören – weitere Besitzrechte abtritt, um den unter einer Schuldenlast von 85 Millionen Euro ächzenden HSV Luft zum Atmen zu verschaffen. Dieser Option wurde jedoch noch am Samstag mehrheitlich von den Mitgliedern eine Absage erteilt.
Jansen darf nicht nur die Fußballer im Auge haben
Es sind also andere Ideen gefragt, um dem klammen Klub aus der Patsche zu helfen. Finanzvorstand Frank Wettstein verkündete auf der Versammlung, dass der HSV im grauen Abstiegsjahr 20 Millionen Miese gemacht hat. Das achte Minus in Folge. Die im September fällige Fananleihe von 17,5 Millionen Euro kann nur durch eine neu aufgelegte Anleihe zurückbezahlt werden, die den Klub erneut jährlich sechs Prozent Zinsen kosten wird.
Es ist eine vertrackte Situation, in der sich Jungunternehmer Jansen als Zünglein an der Waage entpuppen könnte. Zumal sich Gerüchte häufen, dass weitere Personalrochaden bevorstehen. Vieles spricht dafür, Jansen könnte bei der Neubesetzung des Aufsichtsrats zukünftig den Vorsitz übernehmen, um dann im Schulterschluss mit Bernd Hoffmann eine Strategie zu entwickeln, wie der HSV mittelfristig dem jahrelangen Schuldenstrudel entkommt.
Größer als die Titel, die er nie gewann
Seinem Appell, die Grüppchenbildung in den Gremien aufzugeben und mit einer Stimme zu sprechen, ist von den Mitgliedern stattgegeben worden. Nun muss Jansen das in ihn gesetzte Vertrauen auch ausfüllen, indem er als Vereinspräsident ein eigenes Profil entwickelt, ganzheitlich denkt und gegenüber Vorstandsboss Hoffmann mit einer klaren Haltung zu roten Linien tragfähige Lösungen erarbeitet. Kompromisse, die den HSV weiterbringen, ohne ihn weiter finanziell auszuweiden. Zumal er als Chef des e.V. nicht nur die Fußballer im Auge haben darf, sondern ehrenamtlich 30 Abteilungen verantwortet, etwa die Tischfußball‑, Darts und Beachvolleyballsparte.
Jansen muss also seine als Profi erlernte Sicht auf die Dinge weiten. Denn es reicht beim HSV längst nicht, nur von Spiel zu Spiel zu denken. Es braucht einen nachhaltigen Masterplan, um den Klub in wirtschaftlich gesunde und sportlich angemessene Fahrwasser zu navigieren. Wenn Marcell Jansen diesen Prozess zum Kern seiner Präsidentschaft macht und diesen Plan uneitel und auf das Wohl des Vereins bedacht umsetzt, kann sein Wirken am Ende von viel größerer Bedeutung sein, als der Titel, den er mit dem Hamburger SV als Spieler nie gewann.