Vor vier Tagen wurden die Oscars verliehen. Die großen Verlierer waren „Joker“, „1917“ und Borussia Dortmund. Denn obwohl niemand bessere Unterhaltung liefert als der BVB, ging er auch in Hollywood leer aus.
Man darf getrost davon ausgehen, dass Keegan und Lee das Herz aufgeht, wenn sie in dieser Saison Spiele von Borussia Dortmund sehen. Da muss man gar nicht bis in den Herbst zurückgehen, zu dem 3:2‑nach‑0:2‑Spektakel gegen Inter Mailand oder dem 3:3‑nach‑0:3‑Drama gegen die anderen Schwarz-Blauen, den SC Paderborn. Allein unter den letzten sieben Partien des BVB waren nicht weniger als vier, die sehr gute Chancen darauf haben, in den Top Ten zu landen, wenn wir Ende Mai an die besten Kicks des Fußballjahres zurückdenken.
Manchmal gewinnt Dortmund solche Spiele sogar, wie etwa beim turbulenten und torreichen Ausflug nach Augsburg, der den historischen Haaland-Hattrick brachte. Aber wie Keegans Entertainer, so erheben auch Lulus Borussen vor allem das Scheitern zur hollywoodreifen Kunstform. Geradezu Kintopp, wie man Julian Brandt beim 3:3 gegen Leipzig erst ein Traumtor ins Drehbuch schrieb, dann einen Alptraumfehler. Und an die beiden jüngsten Actionkomödien, in Bremen und Leverkusen, muss man wohl nicht erinnern.
Wer den Fußball als Unterhaltung versteht, möchte den Dortmundern den Titel eines bekannten BVB-Songs zurufen: „Boh ey, boh ey, Borussia – geh nie vorbei!“ Macht weiter so! Aber durch die schwarz-gelbe Brille sieht das alles natürlich ganz anders aus. So mancher Borusse wird sich wünschen, dass doch bitte, bitte endlich der richtige Lucien Favre vortreten möge. Der Zauderer mit seinem langweiligen, aber nervenschonenden Matchplan. Der Mann, der sein System nie variiert und den Gegner zur Verzweiflung bringt. Und vor allem: Der Trainer, der die Zahlen schlägt.
Es ist noch keine zwei Jahre her, dass der geschätzte Kollege Christoph Biermann sich an dieser Stelle mit dem „Favre-Rätsel“ beschäftigte. Um es kurz zusammenzufassen: Seit vielen Jahren stellt Lulu ein unerklärliches Faszinosum für Statistikfreaks und Analysten dar, weil seine Mannschaften immer mehr Tore schießen, als sie eigentlich dürften, und stets weniger Treffer kassieren, als sie eigentlich müssten.
Immer? Stets? Nein, nur bis zu dieser Saison. Jetzt bekommt Favres Mannschaft Gegentore, die man eigentlich nicht bekommen könnte, selbst wenn man wollte. Man denke nur an die slapstickartigen Laufduelle seiner Abwehrspieler gegen Paderborn oder die verunglückten Rückpässe und Torwartaktionen gegen Leipzig. Und obwohl es auf den ersten Blick aussehen mag, als würde wenigstens die Offensivabteilung des BVB ihren Job erledigen, verballert Favres Elf viel zu viele Großchancen und verpasst dadurch immer wieder die Gelegenheit, Spiele früh zu entscheiden. So wäre Erling Haalands Auftritt in Augsburg überhaupt nicht nötig gewesen, wenn Marco Reus vorher auch nur die Hälfte seiner Hundertprozentigen verwandelt hätte.
Wer weiß, vielleicht sind diese nicht erklärbaren Ausreißer nach unten am Ende einfach nur ein verspäteter statistischer Ausgleich für die ganzen nicht erklärbaren Ausreißer nach oben, die Favres Karriereweg pflasterten, bis er ihn nach Dortmund führte? Wenn das stimmt, dann stehen BVB-Fans noch einige anstrengende Wochen bevor, denn es dürfte dauern, bis sich Favres Trainerwerte wieder beim Durchschnitt einpendeln. Der neutrale Zuschauer hingegen deckt sich erwartungsfroh mit Popcorn ein. Schon morgen gibt’s die nächste Vorstellung. Und nur vier Tage später kommt Paris St. Germain. Mit Thomas Tuchel in der Schurkenrolle. Großes Kino.